Freiburger Rundbrief Freiburger Rundbrief
    Archiv Neue Folge > 1996 > 360  

Home
Leseproben

Inhalt Neue Folge
Archiv Neue Folge
1993/94
1995
1996
1997
1998
1999
2000

Inhalt der Jg. vor 1993
Archiv vor 1993

Gertrud Luckner
Bestellung/Bezahlung
Links
Mitteilungen
 
XML RSS feed
 
 
Display PRINT friendly version
Kollek, Teddy

Jerusalem und ich

Memoiren. In Zusammenarbeit mit Dov Goldstein. Mit einem Vorwort von Yitzhak Rabin. Aus dem Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1995. 432 Seiten, 32 Seiten Abbildungen.

Ohne den Vorwurf der Anmaßung dürfte kein anderer als Teddy Kollek diesen Titel wählen: „Jerusalem und ich“. Es ist schon so: Man hätte Teddy Kollek, der mehr als 28 Jahre lang Bürgermeister von Jerusalem war, erfinden müssen, wäre er nicht schon am Werk. So klang es, und so klingt es aus Jerusalem und von weither aus der Welt.

Er war die Seele dieser Stadt, der Mittelpunkt ihrer Menschen. Keiner litt oder lachte wie er mit dieser Stadt über diese Stadt, keiner gestaltete sie mehr. Er darf sie seine Stadt nennen.

Wer das Glück hatte, mit diesem selbstlosen, gebildeten, urteilssicheren Bürgermeister sich zu unterhalten, gar mit ihm — stets ohne Sicherheitsbeamte und „admiradores“ — durch Jerusalem zu spazieren, wem er dabei Augen und Sinne öffnete — er ließ die Steine sprechen und malte Bilder aus Geschichte und Geschichtchen — wer so beglückt wurde, erfuhr: Jerusalem ist seine Stadt. Darüber schreibt er nun.

„Ich durchquere die Stadt — und das Herz geht mir auf.“ — „Jerusalem muß man mit eigenen Beinen erkunden und nicht mit Papieren, Statistiken, Protokollen und umständlichen Gutachten.“ — „Mit Geduld, ohne Zorn und ohne die Bürger wegen ihrer Ablehnung zu verurteilen, aber mit Hartnäckigkeit und Ausdauer, ist es mir gelungen, die Herzen der Bürger . . . zu öffnen.“

Premier Rabin lobte Teddy Kollek mit diesen Worten: „Dein Wunsch war es immer, ein Netz von Beziehungen zu schaffen, das Brücken des Verständnisses zwischen den verschiedensten Bevölkerungsgruppen Jerusalems schlagen sollte, zwischen ultraorthodoxen und nichtreligiösen Juden, zwischen Einwanderern aus den unterschiedlichsten Diaspora-Ländern, zwischen Aschkenasim und Sephardim, zwischen Juden und Moslems, zwischen Juden und Christen. Dieser bunte Regenbogen kultureller, geistiger und religiöser Gegensätze, das ist Dein Jerusalem.“

Präzise und konkret, auch mit Witz und Hintersinn, erzählt Teddy Kollek aus seinem politischen Leben, verschweigt nicht seine Stärken und Schwächen, geißelt den politischen Betrieb, belegt seine Meinung. Aus seiner Erfahrung ruft er aller Welt diese Einsicht zu: „Bei uns, nicht bei den Arabern, liegt die Beweislast, daß eine Koexistenz möglich ist.“ — „Die Juden bestehen auf einem Jerusalem, nämlich einem jüdischen. Die Araber bestehen ebenfalls auf einem Jerusalem, einem arabischen. Weder die einen noch die anderen streben ein gemeinsames Jerusalem an, in dem zwei Völker miteinander leben . . .“ Diese besorgten Einsichten kommen von einem, der denkt, bevor er redet oder schreibt; von einem, der immer noch — aus dem Mandat seines Gewissens und seiner Vernunft — dabei ist, aus der „Heiligen Stadt der Menschheit“ (Teddy Kollek) einen Ort des Friedens zu machen. Danke!

Und ohne den Frieden dort wird im Nahen Osten kein Frieden werden. Das geht uns an.

Den Weg dahin weist Teddy Kollek so: „Jede Eigentümlichkeit der menschlichen Kultur hat Ehre und Achtung verdient, auch wenn sie uns fremd sein sollte.“ — „Dies ist der Kern meines Wertesystems: niemanden zu verurteilen, weil er anders ist als die anderen. Die Andersartigkeit zu respektieren. Keinen Glauben, keine Lebensweise geringzuschätzen. Die Ausdauer nicht zu verlieren bei dem unablässigen, schweren und komplizierten Versuch, all das Schöne, Andersartige und Besondere in ein Geflecht der Gemeinsamkeit einzubinden.“

Ein großer Mann schrieb ein großes Buch — ehrlich, lehrreich, wertvoll. Und immer unmißverständlich: „Wir werden auf keinen Fall und unter keinen Umständen auf das vereinigte gesamte Jerusalem verzichten.“ Die Verantwortlichen sollten das Buch lesen, nicht nur lesen lassen.

Rainer Barzel
Mit freundlicher Genehmigung aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 196, 24. August 1995.


Jahrgang 3/1996 Seite 129



top