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Rothgangel, Martin

Antisemitismus als religionspädagogische Herausforderung

Eine Studie unter besonderer Brücksichtigung von Röm 9-11 (Lernprozeß Christen und Juden, Bd. 10). Herder, Freiburg 1994. 367 Seiten.

Der jährliche Bericht des Londoner ,Institute of Jewish Affairs‘ über Antisemitismus in der Welt berichtet unter der Überschrift „Sorgenkind Deutschland“ für 1994 von einem sprunghaften Anstieg antisemitischer Übergriffe um mehr als 40%.

Diesem allzuoft allzuschnell zur Seite geschobenen Thema stellt sich der Religionspädagoge Martin Rothgangel in seiner Dissertation (Universität München) als einer Herausforderung für den Religionsunterricht, dessen einstellungsbildende Funktion im Hinblick auf das Judentum nicht zu unterschätzen ist.

Das ,Schlüsselproblem‘ Antisemitismus geht der Autor mit dem Ziel an, „den Blick auf solche elementaren Strukturen und Inhalte zu gewinnen, mit deren Hilfe der Religionsunterricht seinen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus leisten kann“ (8).

Dieses Ziel verfolgt M. Rothgangel in drei Hauptteilen seiner Arbeit. Er strukturiert zunächst das vielschichtige Problem Antisemitismus aus soziologischer, historischer und psychologischer Perspektive (12-112), untersucht dann die Darstellung des Judentums im Religionsunterricht, als einer der wichtigsten Informationsquellen zum Thema (114-196), und läßt drittens eine intensive Auseinandersetzung mit Röm 9-11, der für die Verhältnisbestimmung von Christen- und Judentum maßgeblichen Grundlage, folgen (198-303).

Im ersten Teil wird nach eingehender Bearbeitung antisemitischer Phänomene und Einstellungen herausgearbeitet, daß sich auch der gegenwärtige ,säkulare‘ Antisemitismus aus christlichen Wurzeln speist. Entsprechend korreliert im zweiten Teil die Analyse der Darstellung des Judentums im evangelischen Religionsunterricht in Bayern (anhand der dort zugelassenen Religionsbücher) mit diesen Beobachtungen: „Trotz unübersehbarer Reformprozesse“ werden noch immer die „antithetischen Wertungsmuster“ weiter tradiert, „in denen das Judentum die Negativfolie des eigenen Selbst- und Weltverständnisses bildet. Diese kognitiven Kontrastmodelle dienen letztlich . . . der Absicherung der eigenen Identität angesichts der Fortexistenz des Judentums“ (194). Dies tritt besonders deutlich an bestimmten „neuralgischen Punkten“ des Religionsunterrichts zutage, wie etwa bei der Darstellung der Pharisäer, des Gesetzes, der Passion u.a.m.

Es bedarf also — gerade im religionspädagogischen Bereich — einer Verhältnisbestimmung von Christen- und Judentum, die weder die eigene Identität verdeckt noch die Kontrastierung fortführt. Diese sieht der Autor in Röm 9-11 gegeben, einem Text, der im Gegensatz zu seiner Bedeutung in kirchlichen Verlautbarungen in nur drei der insgesamt 40 untersuchten Lehrplänen explizit erwähnt wird.

M. Rothgangel bedenkt diesen grundlegenden Text in einem ausführlich exegetischen Teil, in dem er zu einer Neuinterpretation insbesondere des 9. Kap. kommt. Hier, so weist er schlüssig nach, differenziert Paulus nicht zwischen einem ,empirischen‘ und einem ,wahren‘ Israel, sondern er reflektiert die „erwählungstheologische Differenz zwischen Israel und den Heiden“ (227). Damit bestreite Paulus die „Nivellierung der Sonderstellung Israels“ (236). Auf diese Weise hält der Autor nicht an einem Widerspruch zwischen Kap. 9 und 11 fest, sondern gewinnt aus Röm 9-11 eine ,elementare‘ Struktur, in der „positive paulinische Aussagen hinsichtlich der ,ungläubigen‘ Juden (Röm 9,1-29; Röm 11) seine von der Rechtfertigungslehre bestimmten israelkritischen Aussagen (Röm 9,30-10,21) rahmen“ (294).

Es entspricht dem Anliegen einer religionspädagogischen Arbeit, daß als zusammenfassende Bemühung praktische Anregungen zur Weiterentwicklung der noch defizitären Verhältnisbestimmung gegeben werden, indem Röm 9-11 als Korrektiv für die Lehrplan- und Schulbucharbeit, als Orientierung für Religionslehrer und Religionslehrerinnen sowie als attraktiver Text für Schüler und Schülerinnen (Ölbaumgleichnis!) fruchtbar gemacht wird. Es ist sehr zu hoffen, daß diese Anregungen aufgenommen und in die Praxis umgesetzt werden.

Christiane Müller


Jahrgang 3/1996 Seite 134



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