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Deaglio, Enrico

Die Banalität des Guten

Die Geschichte des Hochstaplers Giorgio Perlasca, der 5200 Juden das Leben rettet. Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1994. 203 Seiten.

Der Titel dieses Buches läßt eigentlich einen mehr oder weniger guten Nachfolger des verfilmten Bestsellers „Schindlers Liste“ von Thomas Keneally erwarten. Hier wird aber nicht der Einsatz des „Lebemannes“ Oskar Schindler geschildert, sondern das Engagement des „Hochstaplers“ Giorgio Perlascas. „Die Banalität des Guten“ von Enrico Deaglio ist aber viel, viel mehr als ein banaler Versuch, im Fahrwasser eines Erfolgsbuches ebensogute Erfolge zu erzielen. Perlasca war kein Hochstapler, sondern ein ganz normaler italienischer Bürger. Er erlebte die Judenverfolgungen und Deportationen in Budapest, sah dabei aber nicht wie Tausende andere teilnahmslos zu, sondern handelte. Was im Untertitel als „Hochstapelei“ angesprochen wird, war Perlascas einzige Möglichkeit, auch in den letzten Monaten der deutschen Besatzung in Ungarn Juden zu retten: Nachdem der offizielle Botschafter des neutralen Spanien seine Botschaft verlassen hatte, gab sich Perlasca kurzerhand als oberster Vertreter Spaniens aus und durfte in dieser Funktion weiterhin Schutzbriefe für Juden ausstellen. Dafür wurde er am Ende seines Lebens mit der Yad-Vashem-Ehrenmedaille als Gerechter der Welt ausgezeichnet. Das Buch enthält aber nicht nur Perlascas Geschichte und Tagebuchaufzeichnungen, sondern eine Fülle von hochinteressanten Informationen über die Judenverfolgung in Italien und Ungarn während der Naziherrschaft, sowie über die Rolle des neutralen, aber doch hitlerfreundlichen Franco-Spaniens im Zusammenhang der Judenrettungen. Gerade im Fall Ungarns wird damit ein Kapitel europäischer Geschichte aufgearbeitet, das durch die Diktatur des Kommunismus bis heute mehr oder weniger verschüttet blieb. Das Buch macht außerdem deutlich, daß nicht nur die Opfer der Schoa in Gefahr sind, von der Welt vergessen zu werden, sondern auch die wenigen, die ihr Leben einsetzten, um die Opfer zu retten. Es dauerte nämlich rund vierzig Jahre, bis Perlasca und seine Rettungsaktionen in der spanischen Botschaft in Budapest, die den Aktivitäten des schwedischen Gesandten Raoul Wallenberg in nichts nachstanden, aus dem Vergessen wieder in die Öffentlichkeit gelangten und gebührend geehrt wurden. Giorgio Perlasca starb am 15. August 1992 im Alter von 82 Jahren an Herzversagen. Deaglios Buch verhindert, daß er noch einmal vergessen wird.

Herbert Winklehner


Jahrgang 3/1996 Seite 278



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