Freiburger Rundbrief Freiburger Rundbrief
    Archiv Neue Folge > 1996 > 412  

Home
Leseproben

Inhalt Neue Folge
Archiv Neue Folge
1993/94
1995
1996
1997
1998
1999
2000

Inhalt der Jg. vor 1993
Archiv vor 1993

Gertrud Luckner
Bestellung/Bezahlung
Links
Mitteilungen
 
XML RSS feed
 
 
Display PRINT friendly version
Prégardier, Elisabeth - Mohr, Anne (Hg.) unter Mitarbeit von Roswitha Weinhold

Passion im August

Edith Stein und Gefährtinnen: Weg in Tod und Auferstehung. Plöger Verlag, Annweiler 1995. 335 Seiten.

Seit Edith Stein als Karmelitin und Märtyrin Theresia Benedicta a Cruce am 1. Mai 1987 in Köln von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurde, steht sie im Licht der Öffentlichkeit. Dabei wurde bekannt, daß es auch Proteste gab, weil ihre zur Katholischen Kirche konvertierte Schwester Rosa Stein, die als Tertiarin und Pförtnerin im Echter Karmel lebte, gleichfalls am 2. August 1942 mit ihrer Schwester verhaftet und in Auschwitz vergast, nicht auch selig gesprochen wurde. Unter den katholischen Menschen jüdischer Abstammung in den Niederlanden, die in einem Racheakt gegen die Katholische Kirche das gleiche Schicksal erlitten, befanden sich auch weitere Ordenschristen: Schwester Aloyisia (Luise Löwenfels, Arme Dienstmagd Jesu Christi), Schwester Mirjam (Else Michaelis, Schwester vom hl. Josef in Trier), Dr. Lisamaria Meirowski (Dominikanertertiarin), die dem Trappistenorden angehörenden fünf Löb-Geschwister: Sr. Hedwige (Lien Löb), Sr. Maria Theresia (Door Löb), P. Ignatius (Georg Löb), P. Nivardus (Ernst Löb), Br. Linus (Robert Löb) (Sr. Veronika oder Wies Löb wurde später verhaftet, aber wieder freigelassen und konnte versteckt werden), Br. Wolfgang (Fritz Rosenbaum, Franziskaner), Sr. Charitas (Resi Bock, Schwester vom Heiligsten Herzen Jesu), Sr. Judith Mendes da Costa (Dominikanerin, verhaftet, freigelassen und 1944 deportiert). Schließlich sollen auch die katholischen Laien genannt sein, die zusammen mit den Hunderten katholischer und weiterer Juden jene Passionswoche vom 2. bis 9. August 1942 durchlitten, nämlich: Dr. Ruth Kantorowitz, Alice Reis, die jugendlichen Geschwister Annemarie und Elfriede Goldschmidt, Hans Löb, Edith Bock, Leni Bock, Hermine Bock-Merkelbach, Eva Maria de Man-Kalker und ihre fünf Kinder Anneke, Jochie, Magdaleentje, Pieterje und Jan sowie Elvira Platz.

Über sie alle, die als Passionsgefährtinnen und -gefährten am 9. August in Auschwitz ermordet wurden oder später gewaltsam zu Tode kamen, wird im obigen Buch eine allgemeine Einleitung und kurze Lebensbeschreibung mit ausführlicher Dokumentation vorgelegt: Nazi-Unterlagen, Martyrologium, geographische Karte, Urkunden, Schriften, Briefe, Besuchsprotokolle, mündliche oder schriftliche Stellungnahmen von Bekannten, Fotos von Personen und Orten, Totenzettel, Stellungnahmen der holländischen Kirchen und der deutschen Bischöfe und anderes mehr. All das wurde von den Herausgeberinnen in zweieinhalbjähriger Forschungsarbeit zusammengetragen und zu erschütternden Lebensbildern verfaßt.

Allen oben genannten ist gemeinsam, daß sie, von jüdischer Abstammung, entweder selbst oder im Falle der Löb-Geschwister schon die Eltern, den katholischen Glauben annahmen (über das Leben von Elvira Platz gibt es zu wenige Unterlagen) und in seltsamer Verschränkung von Judentum und Christentum deshalb ihr Leben lassen mußten. Sie wurden ermordet, weil sie katholische Juden waren, die als „Juden“ auszurotten waren, und weil sie jüdische Katholiken waren, da sie als „Christen“ zur Beute der Rache gegen die Katholische Kirche wurden. So wurde ihnen ihr Judentum und Christentum zum Verhängnis oder zum Martyrium — je nach Sichtweise.

Sind somit ihre Namen durch dieses Buch, das insgesamt von der Literaturform her als „Martyrologium“ bezeichnet werden kann, der Vergessenheit entrissen, so gehören sie zugleich zu den Millionen Leidensgenossinnen und -genossen, deren Namen entweder in der „Halle der Namen“ und im „Zentralarchiv“ der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem aufbewahrt oder nur noch schwer ausfindig zu machen sind, da von den unmittelbar an den Rampen der KZ selektierten und vergasten Menschen keine Namenslisten angelegt wurden. So bleibt es der Forschung überlassen, das Lebensschicksal und Lebensende der weiteren katholischen und anderen Juden, die in die Passionswoche des August 1942 hineingezwungen wurden, zu erhellen. Viele von ihnen haben nach der Dokumentation wie Edith Stein ihr grausames Lebensende als Sühne in der Nachfolge des „Juden und Christen Jesus“ begriffen und bewußt als solches auf sich genommen. Im Rahmen der Erhellung jüdischer Schicksale in der NS-Zeit kann die vorliegende Schrift nicht hoch genug veranschlagt werden.

Bernd Bothe


Jahrgang 3/1996 Seite 293



top