Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1995. 160 Seiten.
Der Jüdische Almanach 1996 erscheint zum 40jährigen Bestehen des herausgebenden Leo Baeck Instituts, und wieder stellt er eine Vielfalt an Beiträgen zu den unterschiedlichsten Themenbereichen aus Geschichte und Gegenwart, Kunst, Literatur, Politik und Religion des Judentums vor. Am aktuellsten und vielleicht auch provokantesten scheinen die Beiträge zur Beziehung zwischen Israel und den Palästinensern zu sein. Gerade in der Zeit der schwierigen und ständig zu scheitern drohenden Friedensverhandlungen untersucht Paul Mendes-Flohr, Professor für Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, die Haltung Martin Bubers zum „israelisch-palästinensischen“ Dialog. Und Muhammad Abu-Said, Mitglied einer Arbeitsgruppe palästinensischer und israelischer Autoren, untersucht das „Selbstverständnis des Palästinensers vor 1967“. Dabei kommt unter anderem auch der derzeitige Palästinenser-Präsident Yassir Arafat zu Wort. In beiden Artikeln wird deutlich, daß diese Verhandlungen nicht nur politische Bedeutung haben, sondern daß „die arabische Frage in Wirklichkeit eine jüdische Frage“ ist, daß dieser Dialog „eine Prüfung der jüdischen Seele“ darstellt, die nicht scheitern darf. Weitere Beiträge befassen sich mit der Situation der jüdischen Kunst zwischen den beiden Weltkriegen, dargestellt an der Wiener jüdischen Kulturzeitschrift „Das Zelt“, oder dem Leben der jüdischen Schriftstellerin Else Lasker-Schüler anläßlich ihres 50. Todestages. Der Antisemitismus in Deutschland Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts steht bei zwei Beiträgen auf unterschiedliche Art und Weise im Mittelpunkt. Jakob Borut untersucht am Beispiel des „Central-Vereins“ und seiner Vorgeschichte die Reaktionen der Juden auf die antisemitischen Ausschreitungen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Clemens Picht durchleuchtet eingehend die schillernde Persönlichkeit Walter Rathenaus und sein ambivalentes Verhältnis zum Judentum. Ausgelöst wurde dieser Beitrag des späteren Außenministers der Weimarer Republik, der einem Attentat zum Opfer fiel, durch das Wiederauftauchen der handschriftlichen Fassung von Rathenaus Aufsatz „Höre Israel!“ In diesem Aufsatz kreidet der Jude Rathenau den Juden an, daß sie zu jüdisch seien, und er fordert sie zur „Selbsterziehung“ auf. Der Aufsatz, von dem sich Rathenau selbst später distanzierte, diente den Nationalsozialisten immer wieder als Rechtfertigung für ihr antisemitisches Handeln. Der Jüdische Almanach 1996 enthält also vielfältiges, interessantes und nachdenkenswertes Material, zu dem sicherlich auch die Gedichte Jehuda Amichais zu zählen sind, die Stellungnahme zum Film „Schindlers Liste“ sowie eine Rezensionsanalyse der Autobiographie Ruth Klägers unter dem Titel „Weiter leben“ von Sigrid Bauschinger.
Herbert Winklehner
Jahrgang 4/1997 Seite 132