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Niewöhner, Friedrich (Hg.)

Klassiker der Religionsphilosophie

Von Platon bis Kierkegaard. Verlag C. H. Beck, München 1995. 396 Seiten.

Der Sammelband enthält 18 Porträts von Philosophen, Theologen und Mystikern, die hier von Fachleuten unter dem unterschiedlich gebrauchten Begriff „Religionsphilosophen“ vorgestellt werden. Die drei antiken paganen Philosophen Platon, Seneca und Plotin wurden aufgenommen, weil sie „religionsphilosophische“ Grundmuster des Denkens entwickelt haben. Ansonsten wurden nur Gestalten berücksichtigt, die in der Tradition einer Offenbarungsreligion stehen, die also „Leute der Schrift“ sind, wie der Koran sagt, und die sich mit ihrer Tradition auf dem Boden der Vernunft auseinandergesetzt haben. Das bedeutet, daß dieser Band neben neun Philosophen aus dem Bereich des Christentums — hier sind es Augustinus, Dionysius Areopagita, Thomas von Aquin, Meister Eckhart, Nikolaus von Cues, Marsilio Ficino, Schleiermacher, Hegel und Kierkegaard — auch Philosophen aus der islamischen und jüdischen Welt nahezubringen versucht. Die Autoren der entsprechenden Artikel kommen ebenfalls aus dem Islam bzw. Judentum.

Ob man von einer „islamischen Religionsphilosophie“ sprechen kann, ist umstritten. Daß es aber im Islam ähnliche Denkprobleme und Denkprozesse gibt wie im Christentum und im Judentum, rechtfertigt die Aufnahme der vier muslimischen Denker Al-Razi (865-925), Al-Ghazali (1058-1111), Ibn Tufail (ca. 1100-1185) und Averroes (1126-1198), wobei das Porträt des bislang noch weitgehend unbekannten Al-Razi, der schon in den Anfängen des Islam über das religiöse Wissen und das philosophische Leben nachgedacht hat, besonders interessant ist.

Zwei Beiträge sind jüdischen Denkern gewidmet. Der ausgezeichnete Artikel über Maimonides (1135-1204), einer der größten jüdischen Autoritäten, ist von Jakob S. Levinger/Hannah Kasher verfaßt. Levinger, der während der Drucklegung starb, ist der Band gewidmet. Sein Porträt des mittelalterlichen Rabbiners, Philosophen und Arztes Maimonides ist an der Arbeit orientiert, die Salo W. Baron schon 1960 in dem Band „Great Jewish Personalities“ (1972 bei Flamberg/Benziger in der Übersetzung „Große Gestalten des Judentums“ erschienen) vorgelegt hat.

Nach einem kurzen biographischen Teil werden wir in die für die Religionsphilosophie wichtigsten Schriften des Maimonides eingeführt: den Kommentar zur Mischna, die Mischneh Tora, das Buch der Gebote und den Führer der Unschlüssigen. Daraus ein paar Stichworte: Anthropomorphismen in der religiösen Sprache, Lehre von den Attributen Gottes, Zeitlichkeit der Welt (gegen Aristoteles), Beweise für die Existenz Gottes, Prophetie, göttliche Vorsehung und das Böse, Tora, die 13 Grundlehren des jüdischen Glaubens, Wunder, Auferstehung, Messias. Auch die rabbinischen Kritiker des Maimonides kommen zu Wort. Zusammenfassend wird die philosophische Lehre des Maimonides in ihren Grundzügen so festgehalten: „Sie enthält den Versuch, zu zeigen, daß ein richtiges Verständnis der heiligen jüdischen Schriften nicht im Widerspruch zu den Schlußfolgerungen der theoretischen Philosophie steht und daß das praktische Leben gemäß dem jüdischen Gesetz nicht den Tendenzen der praktischen Philosophie oder Ethik entgegensteht“ (186). Hier ist ein Programm beschrieben, das in analoger Weise einige Jahrzehnte später auch Thomas von Aquin, den großen mittelalterlichen Philosophen der Christenheit, bewegt hat. Erheblich kürzer ist die Charakterisierung von Moses Mendelssohn (1729-1834). Dieser sympathische und originelle Denker hat als erster die Tora ins Deutsche übersetzt und ist zum Vater der jüdischen Haskala (Aufklärung) geworden. Er vertrat die Auffassung, daß das Judentum keine eigenen Wahrheiten über Gott habe, sondern nur solche, die allen Menschen durch die Vernunft zugänglich sind. Die den Juden zuteil gewordene Offenbarung beziehe sich nur auf das Gesetz und die Sitten. Diese Trennung sollte es den Juden ermöglichen, an der modernen Welt teilzunehmen und zugleich gesetzestreue Juden zu bleiben. Vielleicht hätte der Artikel mehr auf die problematischen Konsequenzen dieses Ansatzes hinweisen können.

Mit der Einbeziehung muslimischer und jüdischer Denker durchbricht der Band die Begrenzung der Religionsphilosophie auf das Christentum. Diese Erweiterung der Perspektive ist sehr zu begrüßen.

Kritisch sei angemerkt, daß die Auswahl trotz aller Begründungsversuche des Herausgebers im Vorwort etwas willkürlich erscheint und am ehesten aus Platzgründen zu rechtfertigen ist. Man vermißt unter den „Klassikern“ Namen wie Avicenna (Ibn Sina), Bonaventura, Spinoza, Leibniz, Kant, Schelling, um nur einige zu nennen. Ferner wünschte man sich dringend einen Folgeband, in dem nicht nur die „Klassiker“ zur Sprache kommen, sondern auch die neueren christlichen (z. B. Rahner, Welte, Tillich, Brunner), jüdischen (z. B. Cohen, Rosenzweig, Buber, Lévinas) und islamischen (z. B. Iqbal, Arkoun, Falaturi) Versuche zu einer zeitgemäßen Religionsphilosophie vorgestellt werden.

Der Band möchte zu einer Verständigung zwischen den Anhängern der drei großen Offenbarungsreligionen beitragen (12). Man kann ihn auch als einen historischen Kommentar zu der sich immer mehr entwickelnden pluralistischen Religionstheologie lesen, die heute im angelsächsischen und deutschen Sprachraum heftig und kontrovers diskutiert wird.

Werner Trutwin


Jahrgang 4/1997 Seite 139



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