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Gertrud Luckner
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Oz, Amos

Nenn die Nacht nicht Nacht

Übersetzt aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1995. 240 Seiten.

Die Geschichte ist simpel — auf den ersten Blick. Bei Oz‘ Romanen liegt das eigentliche Problem nicht in der Handlung, sondern in der Inkompatibilität der Charaktere der Protagonisten, meistens eine Frau und ein Mann, die auf unerklärliche Weise zusammengeschweißt sind. Und immer sind die Frauen neurotische, ziemlich egozentrische Wesen, allerdings äußerst attraktiv, beinahe zerbrechlich von Gestalt und den männlichen Schutz fast provozierend, ihres Wertes in jeder Hinsicht sehr bewußt, gar nicht anschmiegsam. Die Männer allerdings üben einen handfesten Beruf aus, sind dazu emotional, rücksichtsvoll, stellen die eigenen Ansprüche stets zurück, um den oft unverständlichen Launen ihrer Partnerinnen nachzugeben. Und immer sind sie, die Männer!, gut im Haushalt, räumen die Wohnung picobello auf, waschen, bügeln, kochen. (Sind wohl alle die harten israelischen Krieger, Techniker, Geheimdienstleute so? Dann ist Israel das Traumland der Frauen.)

Amos Oz ist in seinen Essays ein aufmerksamer Beobachter der Politik seines Landes, aber in seinen Romanen spielt sie überhaupt keine Rolle, ebensowenig wie die Religion; dafür lernen wir das banale alltägliche Leben der Bewohner eines großstädtischen Quartiers oder — wie in „Nenn die Nacht nicht Nacht“ — eine traditionslose, auf dem Reißbrett entstandene Kleinstadt am Rand des Negev kennen. Kleine Intrigen der städtischen Beamten, Geschäftsinteressen, Liebesaffären. Nichts Weltbewegendes. Kuriose Gestalten, Spekulanten, Wichtigtuer, wie überall. Doch auf einmal kommt für kurze Zeit Bewegung ins dumpfe Städtchen. Ein Mittelschüler, wahrscheinlich drogenabhängig, kommt durch Unfall oder Selbstmord um; man weiß es nicht so genau. Der im Ausland tätige Vater will zum Andenken seines Sohnes eine Auffangstation für Drogensüchtige gründen. Er gewinnt schnell Noa, die ehemalige Lehrerin seines Sohnes, für sein Projekt. Die Gemüter im Städtchen spalten sich in Pro und Kontra, auch wie überall. Noa verliert sehr bald das Interesse am Projekt, der administrative Kram wächst ihr über den Kopf und langweilt sie, sie ist ohnehin mehr mit sich selbst beschäftigt, und aus der Sache wird nichts. Obwohl sich Theo, Noas Freund und erfahrener Architekt und Städteplaner, nun seinerseits dafür einsetzt. Es ist allerdings auch gar nicht erheblich für die beiden. Wichtig ist, daß Noa darauf beharrt, ihren Kopf durchzusetzen und Theo, trotz besseren Wissens, nachzugeben bereit ist, ohne es die eifersüchtig auf ihrer Position als ursprüngliche Projektleiterin beharrenden Dame merken zu lassen. Wie das vor sich geht, erfahren wir in monologisch bis zum Überdruß abgehandelten Kapiteln jeweils aus der Sicht der Partner. Bei aller Diskrepanz stellt sich im Bett die fürs Weiterleben vorerst nötige Übereinstimmung ein. Die Unvereinbarkeit der Charaktere, des Lebensverständnisses ist so unüberwindbar, daß es schon schwer ist zu ermessen, was so ein Paar zusammenhält.

Schön, ja faszinierend, und das ist überhaupt die Stärke von Oz, sind die eindringlichen Beschreibungen der Landschaft und Städte, ja aller leblosen Dinge. Die Gegend am Rande des Negev, staubig, grau, steinig und gottverlassen, wird so intensiv geschildert, daß man sogar beim Lesen eine trockene Kehle bekommt und dazu die Sehnsucht, in dieser weglosen Ödnis herumzustreifen und sich vielleicht darin zu verlieren. Den „Platz an der Ampel“, das Zentrum der gesichtslosen Provinzstadt, glauben wir seit Jahren zu kennen. Er ist Sinnbild des uns allen vertrauten seelenlosen Durchschnitts der schnell hochgezogenen, nicht in Generationen gewachsenen Vorstädte. Und der fehlende, natürlich nie ersetzte Buchstabe der Inschrift auf dem Gefallenendenkmal in der Mitte des „Platzes an der Ampel“ zeigt Amos Oz‘ sensible Kunst der Vermittlung der Atmosphäre. Er beobachtet mit präziser Pedanterie.

Die Wohnungsausstattung spielt gleichfalls eine große Rolle, genauso wie die Ästhetik der Kleidung, der er viel Aufmerksamkeit widmet. Seine Frauen sind entweder sehr gut und chic angezogen oder dann das Gegenteil. Die eleganten Kleider bekommen die Frauen übrigens immer von ihren Partnern geschenkt, die sie auch selber auswählen. Diese Äußerlichkeiten des Rahmens um die Romanfiguren bilden einen auffallenden Kontrast zu ihren strukturlosen inneren Beziehungen. Wie die Zukunft solcher Menschen aussehen wird, das bleibt offen und dem Leser zum Weiterspinnen anheimgegeben. Man lasse sich also auf das Alltägliche in Israel ein.

Eva Auf der Maur


Jahrgang 4/1997 Seite 141



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