Gemeinsame Wurzeln – Neue Wege. Verlag Otto Lembeck, Frankfurt/M. 1995. 149 Seiten.
Hans Ucko ist verantwortlich für christlich-jüdische Beziehungen beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Ziel seines Buches ist, „die Christen in der Ökumenischen Bewegung an einigen der Früchte des christlich-jüdischen Dialogs teilnehmen zu lassen“ (10 ff.). Dabei geht es um die folgenden Themen: Erben gemeinsamer Wurzeln. Erwählung und verheißenes Land. Identität und Berufung einer Minderheit. Das Christentum und die anderen Religionen. Der Mensch — Ebenbild Gottes. Das Reich des Himmels als Bekenntnis. Messiaserwartung. Raum für andere. Das ist eine reichhaltige Thematik, auf die Ucko als hervorragender Kenner der hebräischen Bibel und des frühjüdischen Schrifttums Licht zu werfen vermag, stets verbunden mit der Frage: Wie sieht das Judentum diese Themen? Und: Was können die Christen von dieser Sicht lernen? Wer sich die Mühe macht, das Buch durchzuarbeiten, kann aus ihm sehr viel lernen, was zugleich hilft, antijüdische Vorurteile abzubauen. Die Christen können erkennen: „In ihrer Begegnung mit den Juden hat die christliche Kirche es nicht mit Fremden, sondern mit Verwandten zu tun“ (64), eben mit unseren „älteren Brüdern“ (Johannes Paul II.).
Ich zitiere aus dem Kapitel „Der Mensch — Ebenbild Gottes“ folgenden Text: „Die Geschichte der Schöpfung und des Menschen ist mehr als ein Ereignis. Sie ist eine Voraussetzung. Das erste Kapitel der Genesis erzählt die Geschichte einer Beziehung, sie steckt ihre Grenzen und ihre Möglichkeiten ab ... Da wird kein Versuch unternommen, Gott zu erklären oder eine Begründung für Gott zu geben. Gott ist von Anfang an ... Gott hat den Möglichkeiten des Menschen, in das einzudringen, was nicht offenbart ist, Grenzen gesetzt. Doch der Himmel und die Erde sind geöffnet“ (85 ff.). In welchem christlichen Genesiskommentar findet man solche Sätze, die wie ein erhellender Blitz wirken?
Im letzten Kapitel seines Buches („Raum für alle“) kommt Ucko auch auf die „Notwendigkeit einer anderen Christologie“ zu sprechen, etwa in der Begegnung mit den großen Religionen Asiens, für die die westlichen Formeln der Christologie (z. B. die Lehrformeln der Konzilien von Nikaia und Chalkedon) oder die Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury oder auch das „solus“ der lutherischen Rechtfertigungslehre unverständlich sind. Was der Ökumeniker Ucko dazu sagt, ist zweifellos bemerkenswert, aber bedarf doch wohl weiterer Überlegungen.
Franz Mußner
Jahrgang 4/1997 Seite 145