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Gertrud Luckner
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Wiesel, Elie

Die Nacht

Herder, Freiburg 1996. 153 Seiten.

Der Kardinal von New York, John O‘Connor, hält dieses Buch für so wesentlich, daß er es wenigstens einmal im Jahr liest. Martin Walser nennt es in seinem Vorwort „die einzige Literatur, die notwendig ist“. Und François Mauriac bezeichnet in seiner Vorrede die „Nacht“ als ein „Buch, dem meines Erachtens kein anderes an die Seite gestellt werden kann“. Worum geht es in diesem ersten „Roman“ Elie Wiesels? Die „Nacht“ ist die Kurzfassung des in Jiddisch verfaßten Buches „Un di Welt hot geschwign“, mit dem Elie Wiesel sein zehnjähriges, fassungsloses Schweigen über die unmenschlichen Erfahrungen der Zwangsdeportation und der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald beendete. In „Nacht“ geht es um den kleinen jüdischen Elieser aus dem siebenbürgischen Dorf Sighet, der zusammen mit seiner Familie Opfer der nationalsozialistischen „Endlösung“ wird, der aus seiner Kindheit und kindlichen Frömmigkeit herausgerissen, in das „Königreich der Nacht“ von Auschwitz eintritt und dieses Königreich gerade noch überlebt — als einziger seiner Angehörigen. Es ist die dramatische Auseinandersetzung eines Juden mit dem unbeschreibbaren Leid, das Menschen anderen Menschen antun können und angetan haben. Es ist der Versuch, Zeugnis über ein Kapitel menschlicher Geschichte abzulegen, das gerade wegen seiner einzigartigen Brutalität und Grausamkeit in die große Gefahr läuft, als unglaubwürdig und damit unwirklich in die Verdrängung und schließlich in die Vergessenheit zu geraten. Es ist der Schrei eines Menschen zu Gott, an den er immer geglaubt hat, und den er nun nur noch mit Leichengeruch wahrnehmen und trotzdem nicht verstoßen kann.

Die „Nacht“ ist das einzige Buch, in dem der Schriftsteller, Journalist und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel direkt auf den nationalsozialistischen Holocaust eingeht, alle anderen Bücher sind aber nur durch dieses sein erstes Werk zu verstehen.

Über die „Nacht“ ist schon sehr viel und auch sehr viel Gutes und Wichtiges geschrieben worden, diese gut 150 Seiten gehören jedoch mit Sicherheit zu jenen Werken der Literatur, die zu lesen man sich auch durch die ausführlichste Rezension nicht ersparen kann und darf.

Herbert Winklehner


Jahrgang 4/1997 Seite 147



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