Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Rowohlt, Reinbek 1997. 203 Seiten.
Eine traditionelle Fabel mit Anfang, Mitte und Ende gibt es hier nicht. Weder Konflikte noch Entwicklung, auch keine Spannung im gewöhnlichen. Und doch ist „Christus der Fische“ eines der aufregendsten und schönsten Prosawerke der hebräischen Gegenwartsliteratur. Aus 233 numerierten Textminiaturen, keine länger als 100 Worte, entsteht ein facettenreiches Mosaik. Satzbrüche, Gedankenfetzen und Wortklänge erzeugen eine einzigartige Stimmung, die wiederum die Komplexität der Einwanderergesellschaft in Erez Israel widerspiegelt. Hoffmann (Jg. 1937), der an der Universität Haifa fernöstliche Philosophie lehrt, schildert nicht, er erweckt seine Figuren zum Leben: den Vater des Kind-Erzählers, Tante Magda und deren Mann Herbert, ein Experte für Sanskrit, der auf einem Cembalo zu spielen pflegte, Herr Doktor Staub, der „die Luft in zwei Teile“ teilte, und andere — allesamt Europäer, die weder die Sprache der neuen Heimat meistern, noch sich in der Levante heimisch fühlen. Die Fremdheit in jenem Zufluchtshafen im Orient, die tragische aber auch groteske Existenz dieser Flüchtlinge, deutet Hoffmann vor allem durch die Sprache an. Sein Text ist eine Art linguistischer Collage: Hebräisch, Deutsch, Latein, Englisch sind ineinander verflochten, eine hybride semantische Mischung, die eine wundervolle Melodie hervorruft. Ja, diese Prosa klingt oft wie Musik, harmonisch und gleichzeitig gebrochen, dissonanzenreich.
Yoel Hoffmann versucht, das Vergängliche zu fixieren, jene fernen Momente der Kindheit, jene einmaligen Erlebnisse — ein Geruch hier, eine Stimme dort — festzuhalten. Das Wort des Dichters vermittelt Zeichen und Klang für „all die Dinge, die das Herz vergißt“. Immer wieder spielt bei Hoffmann die Dichotomie eine wichtige Rolle: das Sichtbare und das Verborgene, Sterblichkeit („Ich sagte zu meinem Vater: ,Onkel Herbert ist doch tot. Träume ich denn?‘ Und mein Vater sagte: ,Er lebt‘.“) und Geburt („... diese Welt in die kommende Welt weiterführt, so wie sie ist. Es gibt keine Teilung. Nur die Richtungen verkehren sich.“) Das ständige Oszillieren verleiht dem Erzählten etwas Geheimnisvolles oder Mystisches, was noch durch die Anspielungen auf kabbalistische Motive unterstrichen wird. Der vorletzte Abschnitt, Hoffmanns Reise in die Geheimnisse der Existenz, endet mit zwei schwarzen geometrischen Formen auf dem weißen Blatt. Das Nichts, den schrecklichen Verlust der Geliebten, können keine Worte vermitteln.
Hoffmanns anspruchsvollem hebräischen Text als Übersetzer gerecht zu werden, ist nicht leicht, zumal die Mischung von Hebräisch und mehreren Fremdsprachen die Besonderheit dieser Prosa ausmacht. Anne Birkenhauer hat diese Herausforderung gemeistert, auch wenn gelegentlich Fehler („Zvaiim“ mit ,Alef‘ sind nicht Farben, sondern Böcke, „Ruchot chamot“ nicht Winde des Todes, sondern warme Winde) oder kleinere Ungenauigkeiten zu bemängeln sind.
Anat Feinberg
Jahrgang 4/1997 Seite 214