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Martin, Vincent

A House Divided

The Parting of the Ways between Synagogue and Church. Paulist Press, New York, Mahwah 1995. 194 Seiten.

Das Bild vom Haus, das aufgeteilt werden muß, ist ein geläufiges; der Schriftsteller Amos Oz benutzt es immer wieder im Hinblick auf eine friedliche Lösung des Konfliktes zwischen Israel und Palästina. Das Verhältnis zwischen Synagoge und Kirche wurde mit Bezug auf das „alte Israel“ eher als eines zwischen Mutter und Tochter gesehen. Im vorliegenden Buch verlagert sich die Perspektive auf die nahezu gleichzeitige Entstehung von Christentum und rabbinischem Judentum im 1. Jh. n.Chr., eine Zwillingsgeburt, die auf beiden Seiten traumatische Spuren hinterließ.

Der Autor, Vincent Martin (*1912), studierter Soziologe und im christlich-jüdischen Dialog engagierter Benediktinermönch, wählt für seine Studie über die Trennung von Kirche und Synagoge nicht einen theologischen oder historischen, sondern einen soziologisch-psychologischen Ansatz. Auf der Basis von soliden Sachinformationen über die politischen und religiösen Veränderungen im 1. Jh. füllt er die Lücken der historischen Quellen aus dem Blickwinkel des „teilnehmenden Beobachters“ mit der Zielsetzung, „in die Erfahrungen der Akteure eines großen religiösen Dramas einzudringen, um zu verstehen, wie und warum sie so handelten, wie sie es taten“. Ausgangspunkt ist die Beurteilung der Person Jesu aufgrund einer neuen, die Forschung der letzten Jahrzehnte einbeziehenden Lektüre der neutestamentlichen Schriften. Losgelöst von der späteren Christologie paßt Jesus von Nazaret zunächst ins Bild eines radikalen jüdischen Reformers, der die Gebote hielt und den Pharisäern nahestand, aber von der Tempelaristokratie der Sadduzäer abgelehnt wurde. Dementsprechend bestand die frühe Jesus-Bewegung in Palästina aus Judenchristen, also Juden, die Jesus als messianische Heilsfigur verehrten. Anders verhielt es sich in der Diaspora des übrigen Mittelmeerraums, wo das Judentum zunächst noch einen relativ starken Zulauf hatte. Ein Paradigmenwechsel vollzog sich mit Paulus und dessen Proklamation des neuen Bundes als einer Offenbarung im Geist, losgelöst von den Geboten und dem realen Volk der Juden. Die allmähliche Ausgliederung setzte sich fort mit der Taufe von Nichtbeschnittenen, womit die Jesusbewegung ihrerseits den sinaitischen Gottesbund verließ und für das Judentum nicht mehr integrierbar war.

Die stärkste Zäsur in dem Trennungsprozeß sieht Martin in der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. Für die Juden war nun erwiesen, daß Jesus nicht der Messias sein konnte, während sich die Christen als das neue, wahre Israel, als die legitimen Nachfolger des Judentums betrachteten und dabei Heidenchristen und Judenchristen einander gleich werden ließen.

Den point of no return auf dem Weg der Trennung markiert Martin um das Jahr 90 n. Chr. mit zwei historischen Ereignissen: Auf jüdischer Seite führte die Einfügung des sogenannten Ketzersegens (birkat ha-minim) in die Amida zur konsequenten Ausgrenzung von christusgläubigen Juden. Im Johannesevangelium wurde die Gottgleichheit Jesu proklamiert, und die dortige pauschale Stilisierung der Juden zu Feinden Jesu bildete eine der Hauptreferenzen für den christlichen Antijudaismus der folgenden Jahrhunderte.

Die Tragik der Entfremdung liegt darin, daß beide Seiten einen blinden Fleck aufweisen, den es zu verdrängen galt: Indem das rabbinische Judentum die Christen als Gojim ausgrenzte, mußte es auch deren jüdischen Anteil ignorieren. Entsprechend löste das Christentum sein Problem der Selbstdefinition, indem es die jüdischen Wurzeln der eigenen Tradition negierte.

Martins Buch ist ein engagiertes Buch, das sich wohl vor allem an die Adresse des schuldig gewordenen Christentums wendet — und gerade darin liegt seine einzige Schwäche. Die anteilnehmende Interpretation und die Aussagen über Glaubenswahrheiten liegen — wie der Autor selber bemerkt — außerhalb von soziologischer und psychologischer Analyse. Nicht unproblematisch ist seine Methode, zwischen historischer Faktizität und schmückender Deutung kaum zu unterscheiden. Dies führt zu anachronistischen Vergleichen mit neuzeitlichen Ereignissen und Befindlichkeiten und zum inflationären Gebrauch von einschlägiger Terminologie (zu behaupten, die Römer hätten nach dem Bar Kochba Aufstand Palästina als „judenrein“ erklärt [163], und u. a. die späteren Beschneidungsverbote Kaiser Hadrians als frühe Form von „final solution“ [Endlösung, 160] zu bezeichnen, ist eine wenig nützliche Verzerrung historischer Fakten).

Somit liegt mit A House Divided nicht wirklich eine soziologische Studie vor, aber ein im besten Sinne anteilnehmendes, klärendes Buch, das gegenseitiges Verständnis fördern und zu einer Wiederannäherung beitragen kann.

Heidy Zimmermann


Jahrgang 4/1997 Seite 293



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