Anläßlich einer Studientagung zur Mitgliederversammlung des Deutschen KoordinierungsRats der Gesellschaften für Christlich Jüdische Zusammenarbeit vom 10. bis 11. Mai 1997 in Bonn hinterfragte die Journalistin Ruth Ahl den jüdisch-christlichen Dialog in bezug auf die Frauenbewegung. Sie kritisierte den interesselosen Parallellauf und plädierte für eine Integration beider Bewegungen.
In extremen Kreisen der Frauenbewegung wurden Religionen allgemein und jüdisch-christliche Tradition im besonderen für die Minderbewertung von Frauen undifferenziert verantwortlich gemacht. Andererseits wurde in Kreisen des weitgehend von einer Männer-Elite geführten jüdisch-christlichen Dialogs die Frauenfrage bagatellisiert. Ihre Erwähnung erntete, selbst bei Frauen, Unverständnis bis Ablehnung. In den USA hatten bereits in den späten siebziger Jahren jüdische Feministinnen heftig darauf reagiert, daß sowohl christliche wie sogenannte postchristliche feministische Theologinnen das Judentum und seinen Monotheismus für den sogenannten ,Mord an der Göttin‘ und für den ,Sieg des Patriarchats‘ verantwortlich machten und auf dem Hintergrund eines düster gemalten frauenfeindlichen Judentums Jesus als ersten Feministen hochstilisierten. Diese amerikanische Auseinandersetzung wurde hier zunächst kaum rezipiert. Erst als die evangelische Theologin Katharina von Kellenbach diesen Fragenkomplex auch auf die deutsche Szene übertrug, kam der Stein ins Rollen. Überwiegend im evangelischen Raum wurden die zutagegetretenen theologischen Antijudaismen zur Debatte gestellt und in bemerkenswert hohem Maße auch ausdiskutiert. Dabei stellte sich heraus, daß die meisten feministischen Theologinnen antijudaistische Vorurteile unkritisch übernommen und in ihre eigenen theologischen Entwürfe mit eingebaut hatten. In Einzelfällen wurden sogar Veröffentlichungen zurückgezogen und überarbeitet. Kritisch anzumerken ist, daß diese außerordentlich wichtige Diskussion von den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit nicht aufgegriffen wurde. Clemens Thoma, ein namhafter Vertreter des christlich-jüdischen Dialogs, hatte bereits Mitte der achtziger Jahre die visionäre These vertreten: „Die Theologie der Befreiung, die feministische Bewegung und die jüdisch-christliche Begegnung werden das geistige Antlitz der Welt von morgen gestalten und verändern.“ Er wies dabei auf die Dynamik dieser drei Strömungen hin, die darin übereinstimmten, daß sie bestehende Unrechtsstrukturen kritisierten.
Gerade die feministische Bewegung, inklusive ihrer religiösen Komponente als feministische Theologie und jüdisch-christlicher Dialog, könnten sich geschwisterlich nahe sein. In ihrem 1996 erschienenen Buch „Auf der Seite des Todes das Leben. Auf dem Weg zu einer christlich feministischen Theologie nach der Schoa“1 stellt Britta Jüngst bedauernd fest, daß sich die beiden Diskussionszusammenhänge „getrennt voneinander zu behaupten“ suchten. Ziel ihrer Arbeit ist, die beiden Fragestellungen aufeinander zu beziehen. Sie hofft, „daß besonders der erfahrungsbezogene Ansatz feministischer Theologien für das krisengeschüttelte jüdisch-christliche Gespräch in der Bundesrepublik Deutschland bedeutsam werden könnte“.
Auch im deutschen Judentum geht die Zeit der Einheitsgemeinden, wie sie in den Nachkriegsjahren sich entwickelt haben, ihrem Ende entgegen. Eine jüngere Generation von Jüdinnen beginnt, gegen den Stachel eines ihnen nicht mehr gemäß erscheinenden Frauenbildes in diesen Gemeinden zu löcken. Solche Entwicklungen im zeitgenössischen deutschen Judentum müßten von den christlich-jüdischen Gesellschaften aufgegriffen werden. Sie sollten Foren schaffen, wo sich jüdische und christliche Frauen, die über die herkömmlichen Rollenzuweisungen in ihren Denominationen hinausgewachsen sind, ohne sie verlassen zu wollen, austauschen und einander bestärken könnten.
Ich nenne nur ein Stichwort: Die Schekhina-Vorstellung im mystischen Strang des Judentums. So hat zum Beispiel die allzu früh verstorbene Marianne Wallach-Faller aus Zürich die weibliche Schekhina-Anrede für Gott in ihre Gebets-Formulare eingebaut. Welcher Bedeutungsreichtum gerade mit der Schekhina-Vorstellung ins Gottesbild einziehen kann, das sei hier nur angedeutet. Pnina Navè Levinson hat drei bedeutende Bücher zu dem hier anstehenden Fragenkomplex veröffentlicht.2 In „Eva und ihre Schwestern“ hat sie selber den Schritt getan zum vollen Bekenntnis zu einer jüdisch-feministischen Theologie. Das Erstaunliche ist, daß nicht nur Frauen aus dem liberalen oder Reformjudentum, sondern auch orthodoxe Jüdinnen anfangen, ihre Tradition mit frauenbewußten Augen anzusehen. Pnina Navè Levinson gibt aber auch zu verstehen, wie wenig die breitere Öffentlichkeit sich dieser Problematik stellt. Höchst aufschlußreich ist auch das Buch „Die jüdische Mutter — das verborgene Matriarchat“ von Rachel Monika Herweg,3 einer Schülerin von Pnina Navè Levinson.
In den USA gibt es seit fast 30 Jahren eine reiche jüdisch-feministische Literatur. Nur ganz wenig davon ist ins Deutsche übersetzt, nicht einmal der von Susannah Heschel vor ca. vierzehn Jahren herausgegebene und seither mehrmals wieder aufgelegte Klassiker „On Being a Jewish Feminist“4. Auch die wichtige Sammlung von jüdischen Frauen-Gebeten und spirituellen Frauen-Texten „Miriam‘s Well“5 gibt es nicht auf Deutsch, und schon gar nicht die seit 1979 bestehende jüdische Frauenzeitschrift Lilith, von der Susanna Keval sagt, daß sie ihr Lebensbrot sei. In „Und wieder stehen wir am Sinai — Eine jüdisch-feministische Theologie“ fordert Judith Plaskow6 nicht weniger als ein Zurückgehen bis zum Sinai, um den vergessenen und verdrängten Frauenanteil in der jüdischen Überlieferung herauszuarbeiten.
Abschließend soll noch an zwei Frauen erinnert werden, deren Andenken auch ein Anliegen der christlich-jüdischen Gesellschaften sein sollte: Regina Jonas, die erste deutsche Rabbinerin, 1935 vom liberalen Rabbiner von Offenbach ordiniert, eine Frau mit Vorbild- und Schrittmacher-Funktion für die inzwischen zahlreichen Rabbinerinnen. 1902 in Berlin geboren, wurde Regina Jonas 1942 nach Theresienstadt deportiert und ist 1944 in Auschwitz umgebracht worden. Die andere ist Charlotte Klein.7 1914 in Berlin geboren, emigrierte sie in den dreißiger Jahren nach Israel, fand dort den Weg zum Christentum und trat 1945 in Jerusalem dem Orden der Sionsschwestern bei. Sie hat ihr Jüdisch-Sein nie verleugnet. Als sie 1984 in London starb, sprachen im Totengottesdienst für diese katholische Nonne vier Rabbiner das Kaddischgebet. Rabbiner Lionel Blue hielt die Predigt unter dem Motto „Ist schwer zu sein ein Yid“. Charlotte Klein entfaltete eine breitgefächerte Dozententätigkeit in den USA und in England und veröffentlichte 1975 ein wichtiges Buch über die Antijudaismen in der zeitgenössischen christlichen Theologie, speziell der deutschen. Dieses Buch wurde von der theologischen Wissenschaft nicht rezipiert, ja totgeschwiegen — bis heute.
- Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1996, vgl. FrRu 1/1997, 52.
- Eva und ihre Schwestern – Perspektiven einer jüdisch-feministischen Theologie, 1992; Was wurde aus Saras Töchtern – Frauen im Judentum,‘ 1993; Esther erhebt ihre Stimme – Jüdische Frauen beten, 1993; Gütersloher Verlagshaus (Gerd Mohn).
- Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, vgl. FrRu 3/1995, 226-227.
- Schocken Books & Knopf, New York 1995.
- Untertitel: Rituals for Jewish Women Around the Year. Biblio, New York 1990.
- Edition Exodus, Luzern 1992.
- Das Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf hat 1992 ein Erinnerungsbuch mit Texten von ihr und über sie herausgebracht: Edith Sauerbier (Hg.), Charlotte Klein — „Pionierin der Verständigung“ (vgl. FrRu 2/1995, 141-142).
Ruth Ahl, geb. 1927, freie Publizistin und Vortragstätigkeit, 1947-1986 Redakteurin der Zeitschrift Frau und Mutter; 1990 Veröffentlichung des Buches Eure Töchter werden Prophetinnen sein (Herder) und Auszeichnung mit dem kath. Journalistenpreis für eine Artikelserie zur feministischen Theologie.
Jahrgang 5/1998 Seite 1