Theologische Aufsätze zum Verhältnis von Judentum und Christentum. Verlag F. Schöningh, Paderborn 1996. 250 Seiten.
Was der Verfasser, Dogmatiker an der kath.-theol. Fakultät der Universität Bonn, in seinen Beiträgen vorlegt, ist ungewöhnlich und bis zum glühenden Kern einer heutigen Glaubensrechenschaft vorstoßend (1 Petr 3,15). Das Buch enthält fünf Problembereiche: Grundsätzliches zur Unterscheidung des Jüdischen vom Christlichen, Aspekte des Schöpfungsglaubens, Gott und unsere Erlösung, Eschatologie und theologische Ästhetik.
Im Zentrum dieses thematischen Aufrisses steht die Auseinandersetzung mit den jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas und Walter Benjamin. Die Schriften dieser prägenden Geistesgestalten im Judentum des zwanzigsten Jahrhunderts beginnen, das christliche Welt- und Geschichtsverständnis zu befruchten. Der Verfasser stellt zunächst in seiner Lévinas-Analyse die Bedeutung der Wende von abendländischer Ontologie zur Ethik, den Weg vom Sein zum Anderen aus jüdischer Inspiration heraus. Er läßt keinen Zweifel daran, daß es sich im Fall Lévinas um eine revolutionäre Umkehr der Philosophie handelt, um den Abschied vom absichernden Bei-sich-selbst-Sein zur Verantwortung für den anderen. Anders formuliert: Lévinas versuche den ontologischen Seinsrahmen zu durchbrechen und menschliche Existenz als verletzbares Ausgesetztsein im Angesicht des anderen zu verstehen. Der Verfasser hebt mit Recht hervor, daß Karl Rahners transzendentalphilosophischer Ansatz noch der Seinsphilosophie verhaftet bleibt, den anderen eigentlich gar nicht braucht. Erst durch die „gnadentheologische Korrektur“ dieses Denkens nähert sich Rahner einer Gotteserfahrung, die sich durch inkarnatorische Geschichtlichkeit auszeichnet.
Was der Verfasser dann zum Verständnis der Schöpfung bei Lévinas aufzeigt, führt erneut in die Streitzone zwischen Ontologie und Schöpfungsglaube. Die absolute Welttranszendenz des Schöpfers fordert eine Philosophie der „creatio ex nihilo“. Wer sie zu entwerfen beabsichtigt, steht vor einem großen Sprachproblem, denn Schöpfung aus nichts zu denken heißt, sich von Gott als der ersten Ursache und dem letzten Grund des Seienden zu verabschieden. Gott, der seinen Geschöpfen Raum gibt und Zeit läßt, ihnen Eigenständigkeit und die freie Anerkennung des Unendlichen gewährt, zieht sich selbst zurück. Dieser für Lévinas zentrale Gedanke stammt aus der jüdischen Mystik. Ist er für das christliche schöpfungstheologische Gespräch nachvollziehbar? Wird der Mensch durch die zurückgenommene Gegenwart Gottes nicht in Gottverlassenheit gestürzt? J. G. Hamann gibt uns in merkwürdiger Nähe zu Lévinas als Christ zu bedenken, daß vor der geschichtlichen Offenbarung an das erwählte Israel schon die Schöpfung das Werk der höchsten Demut des Schöpfers sei. Deshalb erscheine sie in ihrer Verborgenheit wie das Nichts, „ein Beweis der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung“. Weiter ist zu fragen: Ist nicht das tägliche Wunder der fortbestehenden Schöpfung die Urvoraussetzung für jeden philosophischen und theologischen Versuch, im abgründigen Unterschied zum Seienden vom Nichts zu sprechen? Wenn jeder Denk- und Glaubensweg in dieser Richtung immer schöpfungsvermittelt ist, dann wäre Lévinas kritisch entgegenzuhalten, daß Schöpfung als UrBejahung (Gen 1,31) dem Gedanken der Trennung des Geschaffenen von seinem Ursprung vorausgeht, so daß mit Rahners später Erkenntnisformel „Welt in Gott“ die Auseinandersetzung mit Lévinas aufgenommen werden müßte. Christliche Schöpfungstheologie könnte sich gerade von dieser Position aus nur um den Preis eines bedenklichen Vertrauenverlustes aus der Diskussion zwischen heutiger Kosmologie und biblischem Schöpfungsdenken zurückziehen.
In einem inszenierten Dialog zwischen Walter Benjamin, Augustinus und Emmanuel Lévinas über das Verhältnis von Schöpfung und Sprache wird aus wortgläubiger Existenzerfahrung Grundlegendes zum sprachlichen Verständnis der Schöpfung vermittelt. Der Verfasser folgt der tiefsinnigen Genesisauslegung von Benjamin aus dem Jahre 1916, in welcher die adamitische Benennungskraft der Sprache als gottebenbildliche Kraft verstanden wird:
„... im Menschen entließ Gott die Sprache, die ihm als Medium der Schöpfung gedient hatte, frei aus sich. Gott ruhte, als er im Menschen sein Schöpferisches sich selbst überließ.“ Die Sprache der Dinge in ihrem Geschaffensein als namenlose Anrede für die empfängliche Erkenntnis und die Sprache des Menschen sind einander untrennbar zugeordnet. Die Gleichnisse Jesu erscheinen in diesem Beziehungsfeld von Natur und Sprache in dankbar stimmender Leuchtkraft. Und wenn im Denken von Lévinas die Schöpfung, von abstrakt-ontologischer Begrifflichkeit gelöst, sich in die Sprache zeitgewährender Gastfreundschaft verwandelt, dann wird die Kultur des Sabbat zu einer die Zeit heiligenden, Leben erhaltenden Erinnerung, eine Zeiterfahrung, die der augustinischen Tendenz zur Flucht aus der Zeit in die Ewigkeit widerspricht. Der Verfasser zeigt auf einen wunden Punkt in der christlichen Sonntagsfeier, wenn er sagt, sie müßte das Gedächtnis von Tod und Auferstehung Jesu deutlicher an das Schöpfungsgeheimnis als Urbejahung des Geschaffenen zurückbinden, um eine spirituelle Ausdünnung des Sonntags zu vermeiden.
„Vielleicht kommt der Tag, da die Christenheit mit der Judenheit am Sabbat das Lob der ersten Schöpfung feiert und die Judenheit mit der Christenheit am Sonntag Ausschau hält nach der vollendeten Schöpfung, dem messianischen Reich, in dem auch der letzte Feind, der Tod, überwunden ist.“
Der Abschnitt des Buches über Eschatologie erreicht einen Höhepunkt im Vergleich der „Geschichtsphilosophischen Thesen“ von Walter Benjamin mit christlicher Endzeitlehre. Es ehrt den Verfasser, daß er sich vom jüdischen Messianismus beunruhigen und dergestalt herausfordern läßt, daß auch noch der letzte Rest eines christlichen Glaubensübermutes im unauflösbaren Schattenwurf des Theodizeeproblems zersetzt wird.
Jüdischer Glaube hält dem Christentum vor, die Welt sei noch nicht erlöst. Dagegen verkündet christlicher Glaube die durch Jesu Tod und Auferstehung schon geschehene Erlösung. Der Verfasser erkennt, wie schwerwiegend dieser Gegensatz ist, und gibt als katholischer Theologe zu, „daß der faktische Katastrophenverlauf der Geschichte post Christum alles andere als ein Plädoyer für einen (bereits gekommenen) Messias ist, der aller Verblendung, aller Herrschaft und dem Schicksal der Toten ein Ende gesetzt haben könnte!“
Was also heißt Erlösung in dieser Weltzeit? Gibt es ein vermittelndes Gespräch zwischen Juden und Christen? Benjamins geschichtsphilosophische Thesen, so der Verfasser, weisen auf „ein Grundproblem aller fundamentalen Theologie“ hin. Sie habe zu fragen: „Ist angesichts der faktischen Geschichte von Gewalt und Tod auf das christliche Urkerygma Verlaß, das davon spricht, daß dieser eine jedenfalls nicht im Tod belassen wurde und so die göttliche Kraft besitzt, das Schicksal aller Toten zu wenden?“
Daß Emmanuel Lévinas einen extremen Humanismus vertritt, der, erschüttert von der Schoa und gespeist von messianischer Unruhe, in Gefahr gerät, das durch die Gottebenbildlichkeit des Menschen geehrte Schöpfertum (Ps 8,6-7) in Dichtung, bildender Kunst und Musik zu unterschätzen, zeigt seine Bild- und Kunstkritik. Jeder Bibelkundige weiß, daß es sich beim Bilderverbot der Hl. Schrift um eine zentrale Position des Glaubens handelt. Der Gott Israels als der Unvergleichbare (Jes 40,18) kann in seiner erhabenen Transzendenz nicht bildlich dargestellt werden. Sicher ist es wahr, daß vom jüdischen Standpunkt aus eine Bildwerdung des Einzigen ausgeschlossen ist, während im Christentum durch Ikone und Sakrament diese Strenge etwas abgemildert wird. Treibt aber Lévinas in seiner Kunstkritik die Reduktion auf Bildlosigkeit nicht doch zu weit? Wohlmuth läßt sich auf diese Frage nicht ein. Deshalb bleibt folgender Sachverhalt undurchdacht: Wie schon die Philosophie aus dem Ringen um Sein und Schein nie entlassen wird, so steht auch die Kunst in diesem menschlichen Spannungsfeld, d. h. genauer zwischen wahrer Symbolik und Idolatrie. Aber, es ist verfehlt, z. B. die griechische Plastik der klassischen Zeit des Dienstes der „Schönheit als Idolatrie“ zu verdächtigen. Ähnlich verhält es sich mit dem hohen Ernst der Zeusfrömmigkeit in der Dichtung des Aischylos und Sophokles. Das Satyrspiel, das auf die Tragödie folgte, ist eine ästhetische Aufheiterung, die als spielendes Können entlastender Menschlichkeit außerhalb des Bilderverbotes steht.
Wer sich auf die vorliegenden Beiträge von Josef Wohlmuth einläßt, kann guten Gewissens nicht mehr behaupten, jüdisches Denken im zwanzigsten Jahrhundert berühre die Sache christlicher Theologie nicht wesentlich. Josef Wohlmuth zeigt in sprachlicher Klarheit, in welche Glaubenskonflikte, aber auch Glaubensmöglichkeiten, philosophisches Fragen reicht. Dieses fordert innerhalb christlicher Theologie unabweisbar einen Sprachwandel menschlicher Gottesrede. Begleitet vom unzerstörbaren Schöpfungslicht (1 Petr 4,19) bleibt geschichtsbedingt neu zu fragen, was es denn heißt, daß der Glaubende nur als Hoffender gerettet ist (Röm 8,24).
Walter Strolz
Damit die Liebe die Welt, die die Erlösung ist, durchdringen kann, damit die Zeit auf die Ewigkeit zugehen kann, darf die Liebe nicht im Zustand eines individuellen Unternehmens verharren, sie muß das Werk einer Gemeinschaft, die Zeit einer Gemeinschaft werden. (Lévinas, Zwischen zwei Welten 143) |
Jahrgang 5/1998 Seite 38