ein Profil (Hebräisch). Am Oved Verlag, Tel Aviv 1997. 480 Seiten.
Stachelig von außen, zuckersüß von innen — so der Feigenkaktus, auf Hebräisch „Sabra“. Das ist auch die Bezeichnung für die im Lande geborenen Juden, und dieses obwohl diese Kakteenfrucht keine einheimische ist: der Feigenkaktus kam vor etwa 200 Jahren aus Mittelamerika nach Palästina. In einer umfangreichen und mustergültigen Studie setzt sich der israelische Soziologe Oz Almog mit dem Mythos des Sabra als zionistischem Ideal und seinen gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen auseinander. Dies macht das Buch zu einem der interessantesten und wichtigsten, die zum Thema Israel in den letzten Jahren erschienen sind.
Hochgewachsen, biblische Sandalen tragend, sonnengebräunt, gutaussehend, mutig und selbstbewußt — dieses sind die Attribute des Sabra, der auch als der neue Jude bezeichnet wird. Dieser Idealtypus wurde dem Diaspora Juden diametral entgegengesetzt und sollte die nationale Antwort auf die jüdische Geschichte sein, die für die Juden größtenteils Verfolgung oder Demütigung und Abhängigkeit vom Willen anderer bedeutete. Obwohl die Zahl der Sabras in der Gesamtbevölkerung des vorstaatlichen Israel nicht übermäßig groß war, darf ihr Einfluß nicht unterschätzt werden. Er nahm nach dem Unabhängigkeitskrieg (1948) verständlicherweise noch zu. Die Neueinwanderer, die nach dem Holocaust aus Europa oder aus den verschiedenen arabischen Ländern nach Israel strömten, wollten so sein wie sie, wollten ebenfalls zu jener gesellschaftlichen Elite, den besten Söhnen des auserwählten Volkes (O. Almog) gehören. Laut dem Autor ähnelt die nationale (zionistische) Ideologie in vielem einer Religion. Die Fruchtbarmachung der Wüste wurde als heilige Arbeit betrachtet, die Gedenkbücher für die Kriegsgefallenen zu nationalen Gebetbüchern stilisiert. Für den Auswanderer benützte man dagegen die pejorative Bezeichnung Jored, die auf die Ausgrenzung von Ketzern und Ungläubigen verweist.
Die Weltanschauung vom neuen Juden bezeichnet Almog als ethnozentrisch. So lag der Schwerpunkt in der Erziehung auf Geschichte und Landeskunde, was zur Verbreitung so mancher Staatsmythen, wie z. B. der Erlösung Israels, dem Recht auf das Land oder der Legende von der Opferbereitschaft beitrug. Für den Sabra galten Opferbereitschaft und Hingabe als unangefochtene Ideale. Daß die zionistische Ideologie den richtigen Weg der jüdischen Geschichte darstellte, stand für die Propagandisten dieses Leitbildes ebenfalls außer Frage. Die 35 jungen Soldaten, allesamt Studenten der hebräischen Universität, die Elite unserer Jugend, die im Verteidigungskampf neben Gush Etzion fielen, wurden zu Idolen einer ganzen Nation. Denn in der Armee (oder vor 1948 in der Palmach) zu dienen, war eine Selbstverständlichkeit, eben eine Möglichkeit, seine Hingabe an die zionistische Idee zu beweisen. Die Militarisierung und die Glorifizierung des kämpfenden Sabra nahmen nach dem Sinai-Feldzug im Jahre 1956 deutlich zu, und Generäle wie Moshe Dayan wurden zu Helden der Nation. In der offiziellen Militärzeitung Ba-machane wurde der Sinai-Feldzug mit Hannibals Überquerung der Alpen und Feldzügen Dschingis Khans verglichen. Dazugehören lautete die Devise. Die aus der Diaspora eingewanderten Juden wählten hebräische Vor- und Familiennamen, ahmten die asketische Kleidungsweise der Einheimischen nach, machten sich den Slang und die Alltagssprache zu eigen. Die Bezeichnung Sabra wurde zu einem Synonym für einen aschkenasischen Jugendlichen. Im Gegensatz zu den orientalischen Juden sollte der Israeli weltlich orientiert, gebildet und modern sein.
Die nationale Trauer um Yitzhak Rabin, der ein typischer Repräsentant dieses Idealtypus gewesen ist, nennt Almog eine vorübergehende Renaissance des Sabra-Mythos, denn seit den 1960er Jahren zeichnet sich eine eher kritische Haltung gegenüber dem Sabra ab, die ihren Höhepunkt in den letzten Jahren erreichte, als die sogenannten neuen Historiker oder Post-Zionisten ganz bewußt gegen Tabus angingen und Staatsmythen kritisch hinterfragten. Almog zählt nicht zu denjenigen, die Geschichte zu revidieren und heilige Kühe zu schlachten suchen. Seine außergewöhnliche Studie ist eine spannende Analyse der gesellschaftlichen Werte und ihrer kulturellen und politischen Auswirkungen. Für ihn steht fest: „Aus zionistischer Sicht ist der Sabra zweifellos eine phänomenale Erfolgsgeschichte.“
Anat Feinberg
Jahrgang 5/1998 Seite 42