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Pinkus, Oscar

Aschenwolken

Friede Hopf Verlag, Waddewarden 1996. 228 Seiten.

Geboren 1927 in Polen, erlebte Oscar Pinkus den Beginn des Zweiten Weltkriegs in der kleinen Stadt Losice, in der heute nichts mehr — nicht einmal ein Gedenkstein — an die etwa 70 000 Juden erinnert, die dort lebten und ermordet wurden. Pinkus überlebte die ersten Jahre der russischen bzw. deutschen Besatzungszeit in verschiedenen Gettos. Von 1942 bis zur Befreiung durch die russische Armee im Sommer 1944 versteckte er sich mit einem Teil seiner Familie in einem Loch unter einem Stall bei einem polnischen Bauern sowie in verschiedenen Unterschlupfen im Wald. Oscar Pinkus machte sich damals fast täglich tagebuchartige Notizen, auch im Versteck, obwohl die Beschaffung von Papier und Tinte ein erhebliches Problem darstellte. Dieses so entstandene Tagebuch bildete die wesentliche Grundlage für das vorliegende Buch „Aschenwolken“, das zunächst in Israel und in der englischen Fassung 1964 in den USA unter dem Titel „The House of Ashes erschien. Der Initiative von Friede Hopf ist es zu verdanken, daß diese Aufzeichnungen, die einen weiteren Puzzlestein in der jüdischen Vernichtungsgeschichte durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bilden, nun auch in deutscher Sprache vorliegen. Hopf selbst hat in enger Zusammenarbeit mit dem Autor die Übersetzung erstellt. Das Tagebuch wurde an einigen Stellen vom Autor durch zusätzliche Informationen ergänzt, die ihm erst nach dem Krieg bekannt wurden und dem besseren Verständnis dienlich sind. Die Aufzeichnungen erstaunen zunächst durch die oft sehr lyrischen Beschreibungen von Landschaften und Stimmungen, um im nächsten Moment mit ganzer Wucht die Greueltaten der SS mitgeteilt zu bekommen. Nur ein Beispiel von vielen:

„Ich schlief wunderbar im frischen Heu auf Enochs Boden. Die warmen, süß-duftenden Sommernächte gingen schnell vorüber. Aber jeden Tag fuhr ich kurz vor der Dämmerung jäh auf ... Irgendwo bellte ein Hund, eine Tür schlug zu; Schießen, Massenansammlungen, Mord.“

Eine andere Tatsache macht diese Aufzeichnungen außerdem bedeutsam: Erstmals wird die zwielichtige Rolle des polnischen Untergrunds und Widerstandskampfes gegenüber der jüdischen Bevölkerung deutlich angeklagt. Das Buch dokumentiert, daß nicht nur einzelne polnische Partisanenverbände Jagd auf jüdische Verstecke machten und diese sofort liquidierten, sondern daß dies sogar von oberster Stelle, nämlich von General Bor-Komorowski, dem Kommandanten der Armia Krajowa, die Widerstandsbewegung der Mitte-rechts-Parteien, befohlen wurde. Für ihn waren die versteckten Juden nichts anderes als „Banditen“. Es verwundert daher in keinster Weise, daß der Tag der Befreiung durch die russische Armee von Oscar Pinkus nicht als Tag der großen Freude erlebt wurde. Der letzte Satz seiner Tagebuchaufzeichnungen ist Ausdruck dessen, was viele andere ebenso bei ihrer Befreiung fühlten:

„Eine Weile war es ganz still. Eine Leuchtkugel stieg in den Himmel auf, und ihr zitterndes Magnesiumlicht fiel auf unsere Gesichter. Zusammengedrängt auf dem Mist schauten wir alle durch die offene Tür auf den Schein dieses Lichtes und warteten auf die Freudentränen. Sie kamen nicht.“

Herbert Winklehner


Jahrgang 5/1998 Seite 63



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