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Seibert, Winfried

Das Mädchen, das nicht Esther heißen durfte

Eine exemplarische Geschichte. Reclam, Leipzig 1996. 308 Seiten.

Winfried Seibert ist Jurist, Fachanwalt für Namens- und Urheberrecht. Mit großer Spannung liest man die Geschichte seiner Recherche in Sachen Esther, einem nur scheinbar unbedeutenden Fall der nationalsozialistischen Unrechtsgeschichte. Es geht um den Kampf eines protestantischen Pfarrers, dessen Tochter Esther heißen sollte. In dem Zwangsverzeichnis jüdischer Vornamen aus dem Jahre 1938 ist Esther als „typisch jüdischer Vorname“ deklariert. So befinden Juristen aller Instanzen im nationalsozialistischen Deutschland, bis hin zum Reichskammergericht in Berlin, daß die Pastorentochter als Deutsche eben nicht Esther heißen dürfe. Beeindruckend ist die mutige Hartnäckigkeit des Pfarrers L., zutiefst deprimierend der Gehorsam von Juristen, auch der eines obersten Gerichtes, von Männern in führenden, unangefochtenen Positionen. In der abschließenden Urteilsbegründung, die inhaltlich „Esther-Exegesen“ deutsch-christlicher Alttestamentler noch überbietet, überschlagen sie sich in antisemitischen Formulierungen und Wertungen: es handele sich um die exemplarische Geschichte der „jüdischen Hure“ Esther, der Feindin des arischen Haman. Vorauseilender Gehorsam allein kann es nicht gewesen sein; der war selbst andeutungsweise nicht gefragt. Am Fall des Mädchens, das nicht Esther heißen durfte, wird deutlich, daß auch Richter Judenhaß als prägenden Zeitgeist durch Urteilsspruch legitimierten, „Rechtswahrer“, die in ihrer späteren Berufslaufbahn ihre exemplarische Schuld verschwiegen, verdrängten, vergaßen.

Fritz Hofmann


Jahrgang 5/1998 Seite 66