Die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia in Bad Teinach. Sternberg-Verlag, Metzingen 1996. 108 Seiten.
Die Aufklärung des 17./18. Jahrhunderts mit ihrem Rationalismus ist mit ihren positiven Folgen für uns nicht mehr wegzudenken. Daß durch sie auch einiges Positive, was vorher lebendig war, zurückgedrängt und dann vielfach vergessen worden ist, ist nur wenigen Spezialisten bekannt. Zu den zurückgedrängten geistesgeschichtlichen Erscheinungen gehört auch die christliche Mystik. Otto Betz, emeritierter Theologe, und seine Frau Isolde haben ein großartiges künstlerisches Werk — die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia — dessen Gestaltung durch die jüdische Mystik bestimmt worden ist, in seinen Einzelheiten der Vergessenheit entrissen.
Prinzessin Antonia von Württemberg lebte von 1613-1679. Am Hofe ihres Bruders — ihre Eltern waren früh verstorben — widmete sie sich früh den Künsten und Wissenschaften. Insbesondere fand sie an der hebräischen Sprache und der jüdischen Kabbala Interesse. Die Frucht davon war der Plan, zusammen mit einigen Gelehrten und Künstlern eine Lehrtafel zu erstellen, eine christliche Lehrtafel, geprägt von den Grundgedanken der jüdischen Kabbala. Anhand der Lehrtafel als einer „Leiter der Frömmigkeit“ (scala devotionis) sollte die „Gott suchende Seele Stufe um Stufe in das Reich ewigen Lichtes aufsteigen“ (9). Aus der als Dreieinigkeit dargestellten Gottheit kommt die Erlösung des Menschen. Als „Lehrtafel des christlichen Glaubens“ enthält das Bild eine Fülle von symbolischen und wirklichen Gestalten, die im einzelnen gedeutet werden können. Vieles muß dem heutigen Betrachter verborgen bleiben, weil er die Feinheiten jüdischer Kabbala und auch die Details an den Figuren vielfach nicht ohne sachkundige Hilfe verstehen kann.
Nach einer Einführung, in der Werk und Person der Prinzessin Antonia und ihrer Helfer vorgestellt werden, wird zunächst in einer klaren, wissenschaftlich begründeten und doch allgemein verständlichen Sprache erklärt, was jüdische Kabbala ist. Wer außer den Fachleuten weiß schon, was die kabbalistische Lehre von den Sephiroth ist? Und doch wird deren Kenntnis auf der Lehrtafel vorausgesetzt. Sinn und Bedeutung der Einzelheiten werden durch den kenntnisreichen Kommentar verdeutlicht. Die detaillierte Beschreibung der Figuren und Bilder zeugt von einer Vertrautheit einerseits mit der jüdischen Kabbala, insbesondere mit der Gematria, andererseits mit den dargestellten biblischen Figuren, die in den biblischen Kontext eingeordnet werden. Ein farbiges Ganzbild und zahlreiche Detailwiedergaben der Lehrtafel ermöglichen es dem Leser, der detaillierten Beschreibung mit Verständnis zu folgen und die genannten Einzelheiten auf den Darstellungen wiederzufinden. Schließlich wird ihm deutlich, warum die Schöpfer der Lehrtafel diese als „eine komprimierte Gesamtdarstellung des göttlichen Wirkens in Natur und Geschichte“ verstanden wissen wollten (93). Insgesamt ist das auch bibliophil gestaltete Buch eine hervorragende und äußerst anschauliche Einführung in die christliche und jüdische Kabbala und damit auch ein Beitrag zum christlich-jüdischen Gespräch.
Adalbert Böning
Jahrgang 5/1998 Seite 125