Das Alte Testament. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Lambert Schneider im Bleicher Verlag, Gerlingen 1997.
In einer schmucken Kassette, mit vier in Leinen gebundenen Bänden, in sehr dezent bebilderten Schutzumschlägen liegt das Jahrhundertwerk in Neuauflage vor. Der Text wurde gründlich überarbeitet, Kapitel- und Verszählungen sind in alle Texte eingefügt worden. In den Inhaltsverzeichnissen der einzelnen Bände finden wir Hinweise auf die christlichen Bezeichnungen der biblischen Bücher. Die Neuausgabe ist äußerlich ansprechend gestaltet und stellt eine beträchtliche Verbesserung der vorausgegangenen Edition dar.
Als Martin Buber und Franz Rosenzweig 1925 mit der Verdeutschung der Schrift begannen, gingen sie von der Erkenntnis aus, daß es für die meisten Juden ihrer Zeit keinen unmittelbaren Zugang zur Bibel mehr gab. Die Prozesse der Säkularisation und Assimilation hatten zu einer beträchtlichen Entfremdung von Glauben und Tradition geführt, so daß Rosenzweig bei der Eröffnung des Frankfurter Neuen Lehrhauses feststellen mußte: „Da ist keiner, der nicht entfremdet wäre.“
Zu dieser Diagnose kam dann noch die Überlegung hinzu, daß der moderne Mensch, wenn er über die Bibel spricht, nur ganz bestimmte Bibelstellen im Kopf und zur Hand hat, meistens solche, die er von seiner Kindheit an kennt und bis ins hohe Alter erinnert. Mit diesem eingeschränkten Wissen kommt man aber an die ursprüngliche, biblische Erfahrung nicht heran. In der Beilage zum ersten Band „Die fünf Bücher der Weisung“ gibt Martin Buber diesem Sachverhalt einen markanten Ausdruck. Der heutige Mensch, dem die Glaubenssicherheit der biblischen Menschen verlorengegangen sei, dem man aber die Glaubensaufgeschlossenheit zumuten müsse, sollte sich
„die Schrift vornehmen, als kennte er sie noch nicht; als hätte er sie nicht in der Schule und seither im Schein religiöser und wissenschaftlicher Sicherheiten vorgesetzt bekommen; als hätte er nicht zeitlebens allerlei auf sie sich berufende Scheinbegriffe und Scheinsätze erfahren; neu muß er sich dem neugewordenen Buch stellen, nichts von sich vorenthalten, alles zwischen jenem und ihm geschehen lassen, was geschehen mag. Er weiß nicht, welcher Spruch, welches Bild ihn von dort aus angreifen und umschmelzen wird ... er liest laut, was dasteht, er hört das Wort, das er spricht, und es kommt zu ihm“ (4 f.).
Soll es also zu einer wirklichen Begegnung mit der Botschaft des Alten Testaments, der Hebräischen Bibel, kommen, dann muß „die Geschriebenheit der Schrift als Schallplatte ihrer Gesprochenheit erfahren werden“. Die Bibel soll also nicht nur als ein erneut in seiner Ursprünglichkeit hergestellter Text mit den Augen gelesen werden, sondern es kommt darauf an, daß die aus der Bibel sprechende und die Menschen ansprechende Stimme in ihrer Unmittelbarkeit wieder als solche vernehmbar wird.
Bubers Freund und Partner bei der Arbeit der Verdeutschung, Franz Rosenzweig, hatte bereits mit der Übersetzung der Hymnen und Gedichte Jehuda Halevis, des jüdischen mittelalterlichen Dichters hebräischer Sprache, Kategorien einer angemessenen Übertragung hebräischer Texte ins Deutsche erarbeitet, die nun auch für die Hebräische Bibel in Anwendung kamen. Dabei spielt die Lebendigkeit und Unverfügbarkeit der biblischen Texte eine besonders große Rolle. Er sagt:
„Denn die Stimme dieses Buches darf sich in keinen Raum einschließen lassen, nicht in den geheiligten Innenraum einer Kirche, nicht in das Sprachheiligtum eines Volkes, nicht in den Kreis der himmlischen Bilder, die über eines Landes Himmel ziehen, sie will immer wieder von draußen schallen, von jenseits dieser Kirche, von jenseits dieses Volkes, von jenseits dieses Himmels. Sie verwehrt nicht, daß ihr Schall sich echohaft in Räume verfängt, aber sie selber will frei bleiben“ (Franz Rosenzweig, Die Schrift und Luther. Gesammelte Schriften Band 3, 758).
Nach dem Tod Franz Rosenzweigs im Jahr 1929 führte Martin Buber die Übersetzungstätigkeit alleine fort. 1961 war das Werk abgeschlossen. Erneut stellte sich die Frage, für wen war übersetzt worden, und wer hätten jetzt die Leser sein können, wo doch das deutsche Judentum vernichtet worden war. Wer benutzt heute die Verdeutschung der Schrift? Buber hoffte darauf, daß Juden und Christen auch in der Gegenwart die ursprünglichen biblischen Stimmen hören wollen und sein Übersetzungswerk vielleicht einmal missionarischen Charakter annehmen könnte.
Werner Licharz
Jahrgang 5/1998 Seite 127