Innenansichten von Gewalt und Hoffnung. Herder Verlag, Freiburg 1995. 155 Seiten.
Anke Martiny, Journalistin und Politikerin, entschließt sich im Alter von 52 Jahren, die Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv zu vertreten. Ihre Erfahrungen dokumentiert sie in diesem Buch. Martiny beweist eine hohe Sensibilität für die Problematik ihres Tuns — eine Deutsche schreibt über Israel — und leistet gerade damit einen beachtenswerten Beitrag zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Juden und Deutschen. Es ist beeindruckend zum Beispiel wenn sie schreibt: „Wo auch immer man sich aufhält in Israel, mit wem immer man ins Gespräch kommt ... zu allen Zeiten muß man gegenwärtig sein, Todesgeschichten zu erfahren. Da sind ja nicht nur die schlimmen Überlebens- und Todeskämpfe der Nazi-Opfer. Da sind auch Israels zahlreiche Kriege, die Terrorattacken der arabischen Nachbarvölker, ... die Anschläge der Palästinenser aus den besetzten Gebieten, die gleichfalls Tausende von Opfern forderten.“ Ebenso beeindruckend ist, daß Martiny sich nicht scheut, neben all den Fakten auch ihre Gefühle zu beschreiben, gerade dort, wo sie schmerzliche Erfahrungen machen muß. Als sie etwa bei einer Veranstaltung öffentlich als „deutsche Sau“ beschimpft wurde, schreibt sie: „Was ich aus meiner eigenen emotionalen Reaktion auf dieses Erlebnis lernte, sitzt jetzt tief wie groß nämlich menschliche Verletztheit ist, wenn man in solcher Weise öffentlich angegriffen wird, allein aufgrund der Tatsache, daß man zu einer bestimmten Personengruppe gehört, ohne daß differenziert wird, ob man selbst sich so verhält, wie der Aggressor es der Gruppe unterstellt. Ich habe mich im Dezember 1992 vermutlich so gefühlt, wie ein deutscher Professor jüdischen Bekenntnisses, den man irgendwann in den dreißiger Jahren als ,Judensau‘ anbrüllte.“ Der Alltag in Israel wird dabei genauso geschildert wie die innen- und außenpolitischen Probleme des jungen Staates, vor allem, was die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten betrifft.
Herbert Winklehner
Jahrgang 5/1998 Seite 216