Aus dem Französischen von Peter Wild und Ute Wikenhauser. Herder, Freiburg 1997. 636 Seiten.
Wohl keine frühere Publikation zur jüdischen Kunst kommt in Umfang und Qualität diesem Bildband gleich, der in der großen Reihe „Ars Antiqua“ erscheint und 798 Illustrationen enthält, davon 272 Farbabbildungen in durchgängig guter, in vielen Fällen unübertroffener Qualität. Gabrielle Sed-Rajna, emeritierte Direktorin am Centre National des Recherches Scientifiques in Paris, geht jüdischer Kunst von den Anfängen in der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. bis in die Gegenwart nach. Die Übersicht beginnt mit archäologischen Funden, z. B. aus Hazor, Bet Schean und Megiddo, sie zeigt Synagogen des Altertums und des Mittelalters mit ihrer Architektur, ihren Wandbildern und Mosaiken, stellt dann ausführlich die jüdische Kunst im Abendland (Architektur, Miniaturen, Kultgegenstände) dar, um dann mit einer kompakten Darstellung in der Neuzeit und in der Gegenwart zu enden, unter Berücksichtigung der Situation sowohl in Israel wie in der Diaspora. Hier seien nur einige Künstler genannt, die in den großen Museen der Welt einen Namen haben: Ben Shan, Marc Rothko, Marc Chagall, Amedeo Modigliani, Chaim Soutine, Mordechai Ardon, Roy Lichtenstein, George Segal und Jaakov Agam. Der Anhang gibt einen informativen Überblick über die Synagoge vom Altertum bis in die Gegenwart.
Im Vorwort stellt sich die Herausgeberin der Frage, was denn „jüdische Kunst“ eigentlich sei, ohne zu einer abschließenden Antwort zu kommen. Unbestreitbar ist, daß jüdische Kunst bis an die Schwelle der Neuzeit ohne jüdische Religion nicht zu verstehen ist. Von ihr hat sie im Bilderverbot ein Spezifikum übernommen, das die Entwicklung jüdischer Kunst in entscheidender Weise geprägt hat, indem sie alle künstlerischen Kräfte darauf konzentrierte, auf den Unsichtbaren hinzuweisen und auf das zu hören, was von ihm geschrieben steht. Nur so sind Tempel und Synagogen zu verstehen. In der Neuzeit nehmen jüdische Künstler die Ideen der Aufklärung, Assimilation und Emanzipation auf. Daß im 20. Jahrhundert der Zionismus und nach 1945 auch die Schoa zum Gegenstand künstlerischen Mühens wurde, kann nicht verwundern. Bedeutend ist die respektvolle Einstellung, mit der die Autoren an die Aufgabe herangegangen sind, sich vornehmlich mit einer Kunst zu befassen, die von religiösen Erfahrungen inspiriert ist.
Werner Trutwin
Jahrgang 5/1998 Seite 223