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Steppe, Hilde

„... den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre ...“

Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Mabuse Verlag, Frankfurt 1997. 400 Seiten.

Mit der Herausgabe dieses Buches hat sich Hilde Steppe mindestens zwei große Verdienste erworben. Zum einen handelt es sich bei ihrem Werk um die erstmalige Darstellung eines bisher noch nicht wissenschaftlich bearbeiteten Forschungsfeldes. Zweitens trägt die Autorin dazu bei, die durch den Nationalsozialismus ausgelöschte und aus der Geschichte der deutschen Krankenpflege verschwundene jüdische Krankenpflege vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren.

Steppe rekonstruiert die Geschichte und Entwicklung bzw. die Vernichtung der jüdischen Krankenpflege aus Primärquellen, deren historisch-kritische Analyse und Interpretation sie ergänzt mit hermeneutisch ausgewerteten Berichten von wenigen noch lebenden jüdischen Krankenschwestern aus jener Zeit. Die Geschichte der jüdischen Krankenpflege wird dargestellt im Kontext der historischen Situation Deutschlands, der Stellung der Juden im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus, sowie innerhalb der Berufsgeschichte der deutschen Krankenpflege. Erläuterungen zu den jeweiligen sozio-strukturellen Merkmalen. demographischen Bewegungen und kulturellen Unterschieden der jüdischen Bevölkerung stellen einen wertvollen Hintergrund zum Verständnis der Entwicklung und der Eigenheiten der jüdischen Krankenpflege dar. So zeigt sich beispielsweise, wie sich die innerjüdischen religionspolitischen Strömungen auch in der Berufsorganisation der Krankenpflege niederschlugen. In der detaillierten Darstellung der Entwicklung der jüdischen Krankenpflege zwischen 1893 und 1945 gelingt es der Autorin, Archivmaterial und Berichte von Zeitzeuginnen wirksam ineinanderzufügen. In Tabellen wird statistisches Material zu Schülerinnen, Schwestern, Arbeitsfeldern und Arbeitsorten etc. aufgeführt. Steppe gewährt Einblick in Organisationsformen, Arbeitsbedingungen, Rechte und Pflichten, soziale Herkunft, Aus- und Fortbildung, Ideale, Selbstverständnis, Berufsalltag und Lebensgestaltung, Verhältnis zwischen Pflege und Medizin und in den Karriereverlauf von 113 namentlich genannten Schwestern.

Die jüdische Krankenpflege war ein Ausdruck der Beteiligung der jüdischen Gemeinschaft an Entwicklungen des deutschen Sozial- und Gesundheitswesens. Trotzdem war sie während ihrer Entstehungszeit geprägt durch eine starke apologetische Motivation. Diese kehrte sich allmählich um in zweierlei Ambitionen: Die jüdische Krankenschwester mußte fachlich hervorragend gebildet, gleichzeitig aber auch Repräsentantin eines Judentums sein, das sich die Anerkennung des deutschen Bürgertums erwerben wollte. Die jüdische Krankenpflege wurde so bald zu einem kleinen, aber voll akzeptierten Teil der Krankenpflege Deutschlands bis 1933. Ihre Besonderheit gegenüber anderen konfessionell gebundenen Einrichtungen lag im zwar konfessionsbezogenen, aber explizit nicht religiösen Auftrag. Die jüdische Krankenschwester war im Gegensatz zu anderen konfessionell gebundenen Schwestern nicht zu lebenslanger Berufsausübung und zu dadurch bedingten Entsagungen verpflichtet. Das Profil der jüdischen Pflege war ferner charakterisiert durch ihre Entwicklung zwischen Assimilation und Bewahrung einer typisch jüdischen Identität. Ihre Vergleichbarkeit mit der christlichen Krankenpflege lag in der halachisch bedingten Bedeutung der Armenpflege, der christlichen Caritas.

Steppes Buch bietet eine ungeheure Dichte und Fülle an exakter und mit großem Verständnis und analytischer Präzision aufbereiteter Information. Es ist nicht nur Ergebnis außerordentlichen Engagements und Fleißes, sondern auch von wissenschaftlicher Ehrlichkeit bezüglich Lücken und Unsicherheiten in Quellen und bibliographischen Angaben.

Silvia Käppeli


Jahrgang 5/1998 Seite 224



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