Tagung anläßlich des 50jährigen Bestehens des Staates Israel
Unter dem Titel „1938 — 1948 — 1998“ fand vom 6. bis 8. März 1998 im August-Pieper-Haus in Aachen eine christlich-jüdische Tagung statt. Mitveranstalterin war die Aachener Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Die drei Daten sollten Hinweise auf „Verfolgung und Zerstörung, Aufbau und Zukunftsfähigkeit“ sein. Zu Beginn las der Leiter der Akademie, Hans Hermann Henrix, zur Einstimmung ein mystisches Gebet des 1994 verstorbenen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle vor, das die geforderte christliche Haltung angesichts der Leiden des jüdischen Volkes und der Errungenschaften seines Staates moniert.
Man hat meinem Gott das Haus angezündet
— und die Meinen haben es getan.
Man hat es denen weggenommen,
die mir den Namen meines Gottes schenkten
— und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen ihr eigenes Haus weggenommen
— und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen ihr Hab und Gut,
ihre Ehre, ihren Namen weggenommen
— und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen das Leben weggenommen
— und die Meinen haben es getan.
Die den Namen desselben Gottes anrufen,
haben dazu geschwiegen
— ja, die Meinen haben es getan.
Man sagt:
Vergessen wir‘s und Schluß damit.
Das Vergessene kommt unversehens, unerkannt zurück.
Wie soll Schluß sein mit dem, was man vergißt?
Soll ich sagen:
Die Meinen waren es, nicht ich?
— Nein, die Meinen haben es getan.
Was soll ich sagen?
Gott sei mir gnädig!
Was soll ich sagen?
Bewahre in mir Deinen Namen.
bewahre in mir ihren Namen,
bewahre in mir ihr Gedenken,
bewahre in mir meine Scham:
Gott sei mir gnädig!
Clemens Thoma breitete in seinem Vortrag „Bekehrung eines Papstes zum Antirassismus – Pius XI. und das Schicksalsjahr 1938“ aus, was er kurz zuvor in FrRu NF 4(1997), 241-249 schon ausführlich dargelegt hatte. 1938 war ein Schicksalsjahr für den Papst und für die ganze christliche und jüdische Welt. Pius XI. brach unter dem Eindruck zusammen, nicht rechtzeitig den judenmörderischen Rassismus verurteilt zu haben. Die eilig geplante Enzyklika Humani generis unitas erwies sich bald als ein ungenügendes Dokument. Ehe der Papst dann Einsicht nehmen konnte, starb er am 11. Februar 1939 an gebrochenem Herzen.
Den Beitrag „Die Staatsgründung Israels vom 14.5.1948: Voraussetzungen, Gründe, Perspektiven“ leitete Arno Herzig (Professor für neuere Geschichte in Hamburg) mit der Frage ein: „Was besagt die Geschichte des antiken jüdischen Staates für die Wiedererrichtung eines jüdischen Staates 1900 Jahre später in (nahezu) derselben geographischen Landschaft? Eine Legitimation läßt sich, meiner Ansicht nach, daraus nicht ableiten. Doch ist es auffällig, daß sich nach nahezu 2000 Jahren für den Staat ähnliche Probleme ergeben wie in der Antike: Ein Staat in einer Region, auf die auch andere Ethnien Anspruch erheben und die nach wie vor eine Konfliktzone ist. Auch die innerjüdischen Konflikte zwischen Traditionalisten und Akkulturierten scheinen sich zu wiederholen.“
Die geschichtliche Entwicklung, die am 14.5.1948 zur Gründung des Staates Israel führte, ist kompliziert und läßt sich nicht auf die fünf großen Einwanderungswellen zwischen 1882 und 1939 oder auf eine geradlinige zionistische Bewegung zurückführen. Herzl hatte die berühmte Bemerkung „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet“ 1897 nur in sein Tagebuch eingetragen. Er war sich sicher, „daß ihm ein universelles Gelächter antworten würde“, wenn er dies laut sagen würde.
Mit dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg trat Großbritannien als Mandatsmacht auf den Plan (1922 durch den Völkerbund legitimiert). In der berühmten Balfour-Deklaration (1917) sagte Lord Rothschild den Zionisten im Namen der britischen Regierung zwar die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden zu, betonte aber, daß „nichts getan werden darf was die Bürgerrechte und religiösen Rechte der in Palästina lebenden nicht jüdischen Bevölkerung ... betrifft“. Die Briten betrieben eine ständige Schaukelpolitik zwischen Arabern und Juden. Einerseits gaben sie das Zugeständnis zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte der Juden in Palästina“, andererseits gab es die Politik des sogenannten ,Weißbuches‘ (17.3.1939) mit dem Ziel, „daß Palästina (nicht) gegen den Willen der arabischen Bevölkerung des Landes in einen jüdischen Staat verwandelt werden sollte und daß Palästina nach einer Übergangsphase von 10 Jahren in die Unabhängigkeit entlassen werden sollte“. Gleichzeitig wurden die Einwanderungen rigoros beschränkt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Vollversammlung der UNO mit dem „Zwei-Staaten-Plan“ am 29.11.1947 eine relative Lösung. Der arabische Teil der Bevölkerung lehnte ihn jedoch ab. Am 14. Mai 1948, dem Tag des Auslaufens der britischen Mandatsherrschaft, proklamierte David Ben Gurion als Vorsitzender des jüdischen Volksrates im Museum von Tel Aviv den Staat Israel. Große soziale und kulturelle Leistungen waren vorausgegangen. Seit 1920 hatte die israelische Gewerkschaftsbewegung, quasi als Staatskern, umfassende Systeme sozialer Sicherung und des Bildungswesens aufgebaut. Von identitätsbildender Kraft war die Entscheidung, statt des von manchen gewünschten Jiddisch das moderne Hebräisch als Landessprache einzuführen und zu entwickeln. Das Rechtswesen übernahm Elemente aus dem osmanischen und britischen Gesetz, aber auch aus der Halacha.
In seinem zweiten Beitrag „Der Staat Israel und die Christen. Theologische Anmerkungen“ arbeitete Clemens Thoma die religiösen Motive der Staatsgründung Israels heraus. „Es gab den Fußtritt ... aber es gab auch die Erinnerung und Sehnsucht.“ Dieses Wort von Rabbi Adin Steinsalz faßt die historische und die religiöse Komponente zusammen: Israel ist, auf der einen Seite, Zufluchtsort der bedrängten Juden in der ganzen Welt, vor allem der vom Antisemitismus und von der Schoa bedrängten Juden. Auf der anderen Seite ist es das Land der Väter und Zion der Sammelpunkt der Zerstreuten. Dies kommt zum Ausdruck im Gebet für den Staat Israel, das in verschiedenen Formen am Ende des Sabbat-Morgen-Gottesdienstes gesprochen wird:
„Unser Gott und Gott unserer Väter! Sende deinen Segen über den Staat Israel und auf alle, die darin wohnen! Sende dein Licht und deine Wahrheit auf die Führer des Volkes. Leite sie durch Weisheit und Verständigkeit, so daß Frieden in seinen Grenzen und Ruhe in seinen Häusern herrschen können. Möge der Geist der Brüderlichkeit und des religiösen Verständnisses alle Wunden heilen und Gemeinschaftlichkeit ermöglichen. Die Hoffnung des Staatsvolkes und die Arbeit der Söhne des Staates möge die Vision der Propheten fruchtbar machen: Denn vom Zion wird die Tora ausgehen und das Wort des Ewigen von Jerusalem (Jes 2,3).“
Israel kann aber nicht als eschatologischer, theokratischer oder sakraler Staat gedeutet werden. Die Landverheißungstexte in der Hebräischen Bibel sind zahlreich, und sicherlich spielt in prophetischen Texten besonders Jerusalem als Zeichen unter den Völkern und für die Völker und als Stadt des Wohnens Gottes mitten im Volk Gottes eine herausragende Rolle. Aber religiöses Denken darf nicht vergessen: Der Staat Israel ist nicht identisch mit dem Land Israel. Der Staat Israel befindet sich im Land Israel, im heiligen Land, er ist aber nicht das heilige Land. Im Land Israel haben sich auch die Palästinenser (Christen und Moslems) Rechte erworben. Zudem ist zu bedenken, daß die Diaspora für das Judentum nicht nur Fremde, sondern auch Ort der Bewährung war und ist. Man wird also mit Hermann Levin Goldschmidt und anderen modernen Juden bildlich sagen können: „Das Judentum ist elliptisch. Es hat zwei Brennpunkte: Einer ist das Land Israel und der andere die Diaspora.“
Im letzten Beitrag zog Arno Herzig Bilanz: „Der Staat Israel heute – Eine Bestandsaufnahme“. Auf den ersten Blick sieht die Bilanz recht positiv aus: Israel hat gegenüber einer Überzahl von Gegnern in der arabischen Welt seine Existenz behaupten und verbessern können; Israel ist kein Schwellenland mehr, sondern zählt mit zu den führenden High-Tech-Industriestaaten, und nicht zuletzt: Trotz aller inneren Spannungen ist Israel das einzige funktionierende demokratische Staatsgebilde im Vorderen Orient. Aber zwei Problemfelder sind nicht gelöst und führen immer wieder zu inneren Zerreißproben: (1) die Araber- und die Friedensfrage und (2) ein weltanschaulich neutraler Staat oder ein fundamentalistisch geprägter Staat.
Das heutige Erscheinungsbild Israel ist recht widersprüchlich. Eine neoliberal geprägte High-Tech-Gesellschaft huldigt einem starken Individualismus, während gleichzeitig orthodox-religiöse Anschauungen immer stärkeren Einfluß auf das öffentliche Leben nehmen. Die einst die Gesellschaft prägenden Leitbegriffe der Linkszionisten (Solidarität, Kollektivität) sind weitgehend obsolet, wie auch deren Institutionen (Histadrut, Moshavim, Kibbuzim), die das Land mit aufbauen halfen. Symbolwert für diese Entwicklung haben die Städte Jerusalem (Berg Zion, Licht der Völker) und Tel Aviv (säkulare Stadt).
Das Ende der Tagung hatte symbolischen Charakter. Während in München an Lea Rabin die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen wurde, gedachten zur selben Zeit die Tagungsteilnehmer bei der Übergabe einer Gedenkstätte im Innenhof der neuen Aachener Synagoge der in der Schoa ermordeten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Aachen.
Wolfgang Krücken
Wiederaufgefundene Torarolle
Der Vorsitzende des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises südlicher Oberrhein e. V. (DIA), Robert Krais, konnte im Oktober 1997 mit der gebürtigen Kippenheimer Jüdin Hedy Epstein anläßlich des Besuches in der ehemaligen Synagoge in Kippenheim einen wiederaufgefundenen Teil einer Torarolle präsentieren (siehe Bild). Die 72jährige Hedy Epstein hatte von 1946 bis 1948 im Auftrag der amerikanischen Regierung als Dokumenteforscherin am Nürnberger Arzteprozeß mitgewirkt. Bei ihrem Vortrag in der Kippenheimer Synagoge (1997) erinnerte sie sich auch an den Raub der Torarollen aus der Synagoge während der Reichspogromnacht. Später seien die Torarollen zum Rathaus gebracht worden, wo man jüdische Männer zum Spott darin eingewickelt habe. Teile der Torarollen wurden an einer Bahnüberführung am Lahrer Bahnhof aufgehängt. Die von dort aus nach Gurs deportierten Kippenheimer Juden sollten auf diese Weise mit der wiederholten Schändung ihrer Torarollen gedemütigt werden. Einem Mitarbeiter der Lahrer Johannisdruckerei gelang es, einen Teil der Torarollen abzunehmen und sie auf dem Dachboden der Druckerei in einer mit dem Hakenkreuz versehenen Kiste zu verstecken. Dort fand Jahrzehnte später Friedrich Erb die ca. 1 Meter lange Pergamentrolle. Über 15 Jahre hat er diese Überreste bei sich verwahrt. Das wiederaufgefundene Schriftstück soll in der ehemaligen Synagoge in Kippenheim ausgestellt werden. Inzwischen ist am selben Ort ein weiteres Teilstück einer Toraralle aufgefunden worden.
Martin Groß
X. Königswinterer Tagung der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli“
Die Forschungsgemeinschaft 20. Juli wurde 1973 aus dem Kreis der Angehörigen der Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944 gegründet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die wissenschaftliche Erforschung des deutschen Widerstandes anzuregen und zu begleiten. Im Blick der Tagung „Der Widerstand und die Juden“ (28. bis 30. November 1997) standen besonders jene Gruppen, die sich 1944 zum Attentat auf Hitler zusammengefunden hatten oder mit ihnen in Verbindung standen. Dabei kam es hinsichtlich der Einstellung dieser Gruppen zu den Juden und zur nationalsozialistischen Judenpolitik zu unterschiedlichen Beurteilungen.
Christof Dipper (Darmstadt) legte in seinem Referat „Widerstand und Judenfrage aus zeitgeschichtlicher Perspektive“ dar, daß die von ihm als „national-konservativ“ bezeichneten Kreise des Widerstands zwar den „Radau-Antisemitismus“ eines Julius Streicher ablehnten, im Grunde aber mehr oder weniger antisemitisch eingestellt waren. Die nationalsozialistische Judenpolitik sei bis zum Novemberpogrom 1938 kein Motiv für ihren Widerstand gewesen, und die Kenntnis der Judenmorde im Osten seit 1941 hätte keinen Einfluß auf ihre Attentatspläne gehabt. Ekkehard Klausa (Berlin) mit seinem Referat „Ganz normale Deutsche. Zum Judenbild des konservativen Widerstandes“ postulierte eine durchgängige antisemitische Einstellung in konservativen Kreisen, wollte diese aber in gradueller Abstufung und im Vergleich zu anderen Ländern differenziert bewerten. Gegen den Rassenantisemitismus seien die Konservativen jedoch immun gewesen. Ihre Belastung liege in ihrer moralischen Schwäche. Der konservative Antisemitismus sei nicht harmlos gewesen und habe dem Regime die Judenverfolgung erleichtert. Das auf Zustimmung angewiesene Regime hätte jedoch einen offenen Widerspruch beachtet.
Peter Hoffmann (Montreal, Kanada) dagegen ging in seinem Referat „Widerstand und Judenverfolgung“ davon aus, daß der Widerstand im Dritten Reich von Einzelpersonen getragen war und daß deren Verhalten zur „Judenfrage“ durch biographische Studien zu belegen sei. An Beispielen einzelner Personen wie Goerdeler, von Dohnanyi, die Brüder Stauffenberg u. a. machte er deutlich, daß das Bekanntwerden der Massenmorde an Juden in vielen Fällen der Beweggrund zum aktiven Widerstand war.
Drei konkretisierende Referate befaßten sich mit Einzelfragen. Thomas Sandkühler (Bielefeld) behandelte das Thema „Der militärische Widerstand und die Judenfrage“ . Wolfgang Gerlach (Essen) untersuchte „Die Positionen in der Bekennenden Kirche und die Haltung Dietrich Bonhoeffers“. Tobias Korenke (Essen) analysierte die Haltung des „Freiburger Kreises“ zur nationalsozialistischen Judenpolitik. Mit einem Überblicksreferat über die deutsche Bevölkerung und die Judenverfolgung 1933-1945 hatte Ursula Büttner (Hamburg) den Rahmen für die Tagungsthematik abgesteckt. In seiner Bilanz der Tagung forderte Klemens von Klemperer von der Zeitgeschichtsforschung „disziplinierte Wahrheitssuche“. Die Zeitgeschichte dürfe nicht zur Geisel von Pauschalurteilen werden wie in dem Buch von Daniel Goldhagen. Er wandte sich auch gegen die Mode der „Enthüllungen“ über das Verhalten einzelner Persönlichkeiten. So sei Goldhagens Verurteilung Bonhoeffers als Antisemit unverantwortlich und sie gründe sich auf Unkenntnis der Quellen. Die „Judenfrage“ habe nicht im Mittelpunkt der Gravamina des Widerstands gestanden. Den Vorrang im Kampf gegen Hitler habe der Sturz des Naziregimes gehabt. Für „eliminatorischen“ Antisemitismus im Sinne Goldhagens gebe es im Widerstand keine Belege. Doch von einer „allzu verallgemeinernden Sicht des Widerstands“ müsse man „wegsteuern“. In Deutschland habe es, im Gegensatz zu anderen Ländern, keine organisierte Widerstandsbewegung gegeben. Von Klemperer verlangte von den Historikern, nicht aus heutiger Kenntnis zu urteilen. Die „vielfältige Ambivalenz“, die die Menschen im Widerstand kennzeichnete, sollte für Historiker kein Anlaß zur Aburteilung sein. Wenn sie auch nicht unfehlbar gewesen seien, so seien sie doch „großartige Menschen“ gewesen, und wir hätten „allen Grund, uns ihrer mit Stolz zu erinnern“.
Gottfried Mehnert
Emil-Frank-Institut eröffnet
Mit einem Festakt wurde Ende November 1997 in Wittlich das neue Emil-Frank-Institut an der Universität und der Theologischen Fakultät Trier eröffnet. Leiter des Instituts ist Reinhold Bohlen, Ordinarius für Biblische Einleitung und Biblische Hilfswissenschaften. In seinem Festvortrag würdigte Michel Friedman, Mitglied des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Errichtung des Instituts als „ermutigendes Signal“ der Bemühungen zum besseren Verständnis und zur Begegnung von Juden und Nichtjuden. Der Bürgermeister der Stadt Wittlich, Helmut Hagedorn, betonte, daß das Anliegen des Instituts auch Anliegen aller Bürgerinnen und Bürger der Stadt sei. Von seiten der Theologischen Fakultät Trier erklärte deren Rektor, Wolfgang Lentzen-Deis, daß sich die bedauerliche Geschichte der Entfremdung zwischen der Kirche und dem Judentum nicht allein durch offizielle Erklärungen und Dokumente aufheben ließe. Die Gründung des Emil-Frank-Instituts charakterisierte er als Teil eines theologischen und menschlichen Neuanfangs im Verhältnis zwischen Juden und Christen. Das nach Emil Frank, dem langjährigen Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Wittlich, benannte Institut dient der Begegnung von Juden und Nichtjuden. Es fördert durch Forschung, Lehre und Weiterbildung das Wissen um Wesen und Geschichte des Judentums. Es ermöglicht Kontakte mit jüdischen Repräsentanten, Institutionen sowie Aus- und Fortbildungsstätten im In- und Ausland.
Vor allem die inneren Beziehungen zwischen Christentum und Judentum sollen dabei bewußt gemacht werden. Darüber hinaus will das Institut die Geschichte der ehemaligen und bestehenden jüdischen Gemeinden in der Stadt Wittlich und im Regierungsbezirk Trier erforschen und dokumentieren. Das im Aufbau befindliche Archiv- und Dokumentationssystem soll Schüler, Studierende und Heimathistoriker bei derartigen Projekten unterstützen.
Hardy Ostry
Synagogenfund in Jericho
Der bisher älteste Synagogenbau wurde kürzlich (März 1998) durch Ehud Netzer, Leiter der Grabung, in Jericho gefunden. Sie gehört zum Komplex des Hasmonäerpalastes, der teilweise von Herodes dem Großen nach einem Erdbeben im Jahre 31 v. Chr. überbaut wurde. Mit diesem Zerstörungsdatum und der hasmonäischen Bautätigkeit zwischen 75 und 50 v Chr. ist die Anlage ebenso gut datiert, wie die bisher einzige in einem Stadtbereich aus dem ersten Jahrhundert bekannte Synagoge in Gamla (Golan), die möglicherweise erst 23 v Chr. durch Herodes erbaut und bereits im November 67 n. Chr. zerstört wurde. Die Zelotensynagoge in Masada und die aus derselben Zeit stammende provisorische Anlage in der Ruine des Herodion sind durchaus als atypisch anzusehen. Die Synagoge von Jericho ist somit dreißig bis fünfzig Jahre älter als alle bisher bekannten. Etwas kleiner als Gamla, scheint sie aber das Bauschema von Gamla vorauszunehmen. In der Jericho-Synagoge gibt es auch keine umlaufenden Sitzreihen wie in Gamla, Masada und auf dem Herodion, sondern die Gemeinde saß auf Bänken zwischen den Säulen, die als Geviert das Zentrum des Raumes umstehen. In einer Ecke ist eine Nische, die vielleicht die Torarolle aufnahm. Zum Komplex gehören eine Mikwe und mehrere kleine Räume, darunter ein ungewöhnliches Triklinium mit drei gemauerten Wandklinen (Ruhebetten) — eine Anlage, die bisher nicht im Zusammenhang mit einer Synagoge gefunden wurde. Wie in Gamla, Masada und Herodion ist auch in Jericho der Zentralbereich des Baus traditionsmäßig nicht gepflastert, sondern hatte der Erdverbundenheit wegen nur einen Stampferdeestrich.
Rolf-Christian Goethert
Katholisch-jüdisches Unterrichtsprogramm in den USA
In den vergangenen sechs Jahren haben das Erzbistum und das American Jewish Committee (AJC) von Los Angeles gemeinsam ein katholisch/jüdisches Programm entwickelt: das Catholic/Jewish Educational Enrichment Program (C/JEEP). Das in seiner Art einzigartige interreligiöse Austauschprojekt entsendet jährlich einen Rabbiner in über dreißig katholische Gymnasien, wo er über Judentum, Antisemitismus, Holocaust und den Staat Israel unterrichtet. Ein katholischer Professor dagegen lehrt im Austausch an einem jüdischen Gymnasium in Los Angeles über Katholizismus und die katholische Kirche. Sowohl auf katholischer wie auch auf jüdischer Seite ist das C/JEEP in den Lehrplan integriert. Der Erfolg dieses Programms hat das Amerikanische Jüdische Komitee bewogen, es auf die Städte New York und San Francisco auszudehnen. So unterrichtet bereits ein Rabbiner an einem katholischen Gymnasium in Harlem und ein Priester am jüdischen Gymnasium Solomon Schechter auf dem Gelände des jüdischen Theologischen Seminars in New York City. In San Francisco unterrichtet ein Rabbiner in vier katholischen Gymnasien, und auch hier nimmt eine jüdische Schule am Programm teil. Steven Spielberg hat 500 000 Dollar zur Verfügung gestellt, um das Programm auf die gesamte Nation auszuweiten.
Fritz B. Voll
Brückenbauen durch Theater
Im Theater der Stadt Heilbronn ist zur Zeit die deutsche Erstaufführung des israelischen Bühnenstücks „Scheindele“ von Rami Danon und Amnon Levy zu sehen. Das Ensemble unter der Leitung von Regisseur Frank Hellmund zeigt ein Drama aus der Welt der orthodoxen Juden. Die Inszenierung Hellmunds will nicht nur die tragische Geschichte von der jungen Ehefrau Scheindele (jiddisch: die Schöne), die kinderlos bleibt und deshalb zum Opfer eines grausamen Machtspiels zwischen rivalisierenden orthodoxen Familienclans wird, einfühlsam darstellen, sondern auch den nicht-jüdischen Zuschauern einen Blick in das ultra-orthodoxe Milieu vermitteln, eine Welt, die sogar für laizistische Juden Geheimnisse birgt. Die Inszenierung vermeidet gängige Klischees der Judendarstellung und ist frei von „Jiddelei“ und Philosemitismus. Ernsthaft und liebevoll werden jüdische Rituale und Gebräuche dargestellt.
Mit der Inszenierung wird eine Tradition fortgesetzt. Bereits seit einigen Jahren führt das Heilbronner Theater auf Initiative des Intendanten Klaus Wagner in jeder Spielzeit ein Stück eines israelischen oder jüdischen Bühnenautors auf. Darunter waren bemerkenswerte Schauspiele wie Herbst von Motti Lerner, Joshua Sobols Holocaust-Drama Ghetto, Aliza Olmerts Phantasie für ein Klavier oder der Liederabend Chansons und Satiren aus Theresienstadt. Nicht weniger verdienstvoll war die Einladung des Tel Aviver Gesher („Brücke“)-Theaters unter der Leitung ihres Intendanten Yevgeni Arye mit Sobols Stück Dorf zu einem Gastspiel im März 1998. Das Stück handelt vom Leben in einem kleinen Dorf im Israel der vierziger Jahre, als Juden und Araber noch friedlich zusammenlebten. Dorf ist gleichzeitig Sobols Erinnerung an seine Kindheit und an die heile Welt von Gestern, wobei die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft nicht fehlen darf. Die Wirkung dieser gelungenen Inszenierung wird noch durch den Umstand verstärkt, daß die Mehrzahl der Schauspieler russische Einwanderer sind. Der Wert der Aufführungen liegt, neben der künstlerischen Bereicherung, in den ungewöhnlichen Bemühungen um eine Annäherung von Juden und Christen, von Israelis und Deutschen mit den Mitteln der Bühnenkunst.
Anat Feinberg
Orientalische Juden in Zentralasien und im Kaukasus
Die Existenz jüdischer Gruppen in Usbekistan, Aserbaidschan, Dagestan und Georgien ist so gut wie unbekannt. Orientalische Juden leben dort schon jahrhundertelang inmitten anderer Völker in einem islamischen oder auch christlichen Umfeld. Im 19. Jahrhundert wurden diese Gebiete an das russische Reich angeschlossen. Zur Erschließung dieser Völker und Kulturen wurden Ende des 19. und Anfang dieses Jahrhunderts Expeditionen unternommen, bei denen auch die jüdischen Bevölkerungsgruppen erfaßt wurden. Die damals zusammengetragenen einzigartigen Sammlungen befinden sich im Russischen Museum für Ethnographie (RME) in St. Petersburg. Die Sammlungen, die sich auf die orientalischen Juden Zentralasiens und des Kaukasus beziehen, werden jetzt erstmals in Amsterdam im joods historisch museum (vom 27. Februar bis 22. September 1998) gezeigt.
Die Buchara-Juden (Usbekistan, Zentralasien), die Bergjuden (Aserbaidschan, Dagestan, Kaukasus) und die georgischen Juden (Georgien, Kaukasus) haben jeweils andere geschichtliche Entwicklungen durchlaufen. Was sie verbindet, ist die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft und die Abstammung von persischen Juden. 559 v. Chr. begannen sich die ersten Juden in Georgien und Zentralasien niederzulassen. Im 7. und 8. Jahrhundert begann die Einwanderung nordpersischer Juden in Aserbaidschan. Ein paar Jahrhunderte später ließen sie sich in Dagestan nieder. Die Juden Zentralasiens und die Bergjuden im Ostkaukasus lebten unter muslimischer Herrschaft. Sie mußten Sondersteuern bezahlen, in eigenen Vierteln wohnen und sich den Kleidungsvorschriften unterwerfen. Die Zwangsbekehrung zum Islam erfolgte in großem Maßstab. In Georgien dagegen lebten die Juden in einer christlichen Umgebung mit dem Status von Leibeigenen. Die Unterwerfung unter die örtlichen Feudalherren bot ihnen Schutz. Nachdem Georgien 1864 ins Russische Reich eingegliedert worden war, wurde die Leibeigenschaft abgeschafft. Die ehemaligen jüdischen Leibeigenen wurden Pächter. Aus religiöser Überzeugung und zionistischen politischen Idealen floß aus diesen Gebieten seit dem späten 19. Jahrhundert bis zum Beginn der Sowjetherrschaft ein unablässiger Emigrantenstrom nach Erez Israel. Die Perestroika führte einerseits zu einer Wiederbelebung der jüdischen Kultur. Andererseits könnte die derzeitige Abwanderung aus den von ethnischen Konflikten erschütterten Gebieten auch das Ende von über zweitausend Jahren jüdischer Geschichte bedeuten.
Jahrgang 5/1998 Seite 226