Leben und Werk des Marcus Lombardus, eines Grenzgängers zwischen Judentum und Christentum im Zeitalter des deutschen Humanismus. Bibliotheca Germanica 33. Francke Verlag, Tübingen 1997. X, 490 Seiten.
Ausgangspunkt dieser großen Arbeit war die kritische Edition einer Münchener Handschrift mit dem Titel „Ein schöne kurtzweilige unnd vast nutzliche disputation zwischenn ainem Juden und Christen ... durch Marcum Lombar-dum Hailiger Hebraischer sprach interpretem, und professorem“ (24-94). Doch nun enthält das Buch viel mehr als diese Edition mit einem Kommentar (95-166): es ist eine Art Kompendium zur Disputationsliteratur zwischen Christen und Juden im Mittelalter und in der Renaissance geworden.
Dem abenteuerlichen Leben des Konvertiten Marcus Lombardus, geboren als Sohn des Abramo da Conegliano zwischen 1510 und 1530 in Verona, widmet Knoch-Mund eine auf Archiv-Studien basierende, akribisch recherchierte Biographie (317-393). Sie geht aus von einem 1573 in Basel gedruckten, mit autobiographischen Elementen versehenen Text des Lombardus: „Gründtlicher Bericht Und Erklärung von der Juden Handlungen und Ceremonien.“ Die „Disputation“, nach 1540 geschrieben, ist wahrscheinlich von Lombardus aus dem Hebräischen übersetzt worden. Wo diese stattgefunden hat, wer das Original verfaßt hat und wer die Übersetzung in Auftrag gegeben hat, ist nicht bekannt. Da die „Disputation“ aber in weiten Teilen Übereinstimmungen und Parallelen zu Sebastian Münsters Einleitung zum „Evangelium secundum Matthaeum in lingua hebraica“ (1537) und zu dem von Paul Fagius (1504-1549) herausgegebenen „Liber fidei“ (1542) enthält, werden die möglichen Beziehungen zwischen Münster, Fagius und Lombardus, der von 1572-1574 in Basel weilte, minutiös untersucht (166-189). Die Disputation zu lesen ist spannend, endet sie doch damit, daß der Jude dem Christen rät, „den falschen christlichen Glauben zu verlassen und einmal den jüdischen Glauben anzunehmen“.
Über Lombardus, sein Leben und seine Schriften geht der Mittelteil der Arbeit weit hinaus: „Disputation“ (190-316). Die „Bibliographie“ (420-478) [sic] ist weitgehend diesem Mittelteil zuzuordnen. Dieser Teil ist untergliedert: 1) Der Gattungsbegriff „Disputation“. 2) Geschichte der Disputation vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert (200-217). In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Disputationen (mehr als 150 Namen werden chronologisch aufgelistet) zwischen Juden und Christen aufgereiht, die Forschungsliteratur wird angemerkt. 3) Forschungsgeschichtlicher Überblick (218-248), unterteilt in: „Zum Stand der Forschung“ und „Darstellung wichtiger Disputationen in der neueren Forschungsliteratur“. 4) Die Disputation als Kommunikationsmodell (249-278). 5) Die Disputation als Aussageform mittelalterlicher (religiöser) Denkweise (279-316).
Dieser Abschnitt der „Disputation“ mit seinen wichtigen Hinweisen auf den Forschungsstand und auf die Fülle der Forschungsliteratur macht das Buch für jeden Forscher, der über Disputationen, Dialoge und Religionsgespräche arbeitet, unentbehrlich. Um den Standard dieser Arbeit zu würdigen, vergleiche man sie einmal mit den Artikeln „Religionsgespräche“ in Band VII des „Lexikon des Mittelalters“ (1995). Knoch-Mund hat mit ihrem forschungsgeschichtlichen Überblick auf 30 Seiten mit 100 Anmerkungen diese völlig überholt gemacht. Als Ergänzung sei auch verwiesen auf den von Jeremy Cohen herausgegebenen Sammelband „From Witness to Witchcraft. Jews and Judaism in Medieval Christian Thought“, Wolfenbütteler Mittelalter-Studien Bd. 11, Harrassowitz, Wiesbaden 1996.
Trotz aller Bewunderung für das Buch: die „antijüdische Polemik“ im Titel stört etwas. Nicht alle Disputationen des Mittelalters (muslimisch-jüdische und muslimisch-christliche grenzt das Buch bewußt aus) sind antijüdisch, sie können auch antichristlich sein, z. B. die des Jehuda Hallevi („Kuzari“) oder des Isaak Troki („Befestigung im Glauben“). Mir will sogar scheinen, daß die Religionsgespräche der Juden mit den Christen polemischer sind als die der Christen mit den Juden. Trotzdem: die „Disputationsliteratur“ stellt nicht nur einen bis jetzt völlig unbekannten Dialog und seinen Autor vor, es wird auch als Handbuch zu dieser Literaturgattung gelesen werden müssen.
Friedrich Niewöhner
Jahrgang 5/1998 Seite 287