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Görg, Manfred

Der un-heile Gott

Die Bibel im Bann der Gewalt. Patmos Verlag, Düsseldorf 1995. 192 Seiten.

Dietrich, Walter / Link, Christian

Die dunklen Seiten Gottes

Willkür und Gewalt. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn, 2. erg. Aufl. 1997. 238 Seiten.

Die Thematik gewaltbesetzter Züge im biblischen Gottesbild hat seit einiger Zeit Konjunktur. Die hier vorgestellten Werke greifen diese Problematik in großem Rahmen auf und verbinden exegetische Fachkompetenz mit allgemeinverständlicher Darstellung und einem ausgeprägten Engagement für die Verständnisschwierigkeiten heutiger Leser und Leserinnen. Während Görg sich auf die eigentliche Gewaltthematik konzentriert, suchen Dietrich/Link die ganze Bandbreite gewaltträchtiger Vorstellungen unter dem Doppelaspekt vom „willkürlichen und gewalttätigen Gott“ in den Blick zu bekommen. Dabei gilt es, angesichts der Erfahrungsrealität des Menschen, eine biblische Grundüberzeugung auszuwerten: „Kein Bereich unserer Wirklichkeit muß und darf von Gott abgetrennt werden“ (14). Freilich setzt gerade hier die hermeneutische Herausforderung ein: wie kann und darf Gott mit der gewaltträchtigen Realität in Beziehung gebracht werden. Dabei fällt in den oftmals eindringlichen und schönen Darlegungen doch auf, daß zu wenig scharf und genau zwischen der angezielten Sachaussage und einer aus der Bibel übernommenen Rhetorik und Metaphorik (die weiterhin vom „gewalttätigen“ oder gar, wie Görg, „vom schlagenden Gott“ spricht, wobei dessen indikativ formulierter Buchtitel, da er eben nicht so gemeint sein kann, besonders unangenehm berührt!) differenziert wird.

Auf der theologischen Interpretationsebene darf die gewaltbesetzte Ausdrucksweise der Bibel (nicht deren Botschaft!) nur als deutungs- und übersetzungsbedürftige Sprache verwendet werden, denn theologisch und „eigentlich“ ist Gott keinesfalls gewalttätig, sprich: sündig. Vielmehr zielt der Offenbarungsanspruch der Bibel gerade umgekehrt auf den Einsatz für das Leben und die Überwindung von Lebensbedrohung für alle Menschen. Also muß biblische Gewaltsprache auf ihre jeweilige Funktionalität befragt werden. Man gewinnt allerdings den Eindruck, daß sich Görg (wohl auf dem Hintergrund bibelpastoraler Arbeit) allzu sehr von der heute gängigen Rhetorik beeinflussen läßt, die Gewaltzüge auf Gott überträgt — wie es auch die Sprache der Bibel tut, die jedoch mit deren Botschaft nicht deckungsgleich ist. Görg konzipiert seine Darstellung in zwei Hauptbereichen. Im 1. Teil „Die Bibel spricht die Sprache der Gewalt“ (23-85) werden die Gewaltaspekte der Landnahme einerseits und der Schöpfungsdarstellung andererseits behandelt. Görg betont den Doppelschritt der Aufdeckung von Gewalt (die er „Offenbarung von unten“ nennt) und der Überwindung von Gewalt. Der 2. Teil „Die Bibel — Leben mit dem gewalttätigen Gott“ (87-183) behandelt der Reihe nach die bekannten Problemtexte, von der Flutgeschichte (leider ist die priesterschriftliche Idee der Ursünde als chamas/Gewalttat Gen 6,11 f. nicht ausgewertet) über die Tötung der Erstgeburt bis zum „Schöpfer von Finsternis und Unheil“ (Jes 45,7). Die Sacherklärung erschließt die literarische Eigenart der Texte, ihre altorientalische Sprachmentalität und ihre jeweilige Situiertheit. Dabei trifft man immer wieder auf wertvolle und informationsreiche Ausführungen zur religionsgeschichtlichen Umwelt. Allzu knapp empfindet man die Ausführungen zur Unheilsprophetie, zur Gerichtsvorstellung und zur Apokalyptik.

Dietrich/Link gehen einen anderen Weg in der Bewältigung der Gewaltdiktion der Bibel. Während der Alttestamentler Dietrich mit den Mitteln der historisch-kritischen und der literarischen Textanalyse die Stoßrichtung der bibeltheologischen Aussage herausstellt, skizziert der Systematiker Link zu jedem Thema die christliche Wirkungsgeschichte und ihre theologische Reflexion bis in unsere Zeit herauf. Die stärker fachwissenschaftliche Darstellung mit detailliertem Anmerkungsapparat gliedert sich ebenfalls in zwei Teile: „Der willkürliche Gott“, wo es um die Erwählung bzw. Verwerfung/Verstockung Israels geht, und „Der gewalttätige Gott“ (mit den Attributen Eifersucht, Rache, Kampf und Bann). Es ist spannend zu sehen, wie der Systematiker mit diesen Problemfeldern zurechtkommt, deren Intentionen innerhalb des Christentums in andere Themenbereiche transformiert werden (der verborgene Gott, Toleranz, Strafpädagogik). Daß bei letzterem (im Unterschied zu Görg) moderne Gewalttheorien wie jene von René Girard nicht einbezogen werden, verwundert freilich doch.

Obwohl die Gewaltfrage für die ganze Bibel gilt, werden die entsprechenden neutestamentlichen Passagen nicht wirklich einbezogen (mit Ausnahme des Foltertodes Jesu), was doch ein nicht unbedenkliches Ungleichgewicht im Sinne traditioneller Klischees darstellt. Anderseits ist den Werken die ökumenische Dimension durchaus präsent bis hin zur antijüdischen Gewaltgeschichte im christlichen Antisemitismus. Eine wichtige Bereicherung wäre diesbezüglich eine analoge jüdische bzw. judaistische Darstellung, wie das Judentum jene Problemtexte interpretiert und in seiner nachbiblischen Geschichte rezipiert hat. (Man denke nur an die Aqedatradition zu Gen 22; Gottes Verbot an die Engel, wegen der umgekommenen Ägypter beim Exodus Hymnen zu singen; das solidarische Exil der Schechina; aber auch an kurzschließende religionspolitische Aktualisierungen biblischer Eroberungsbilder wie „von Dan bis Beerscheba“.)

Wenigstens angesprochen (und sehr empfohlen) sei das dritte neuere Werk, das sich nochmals anders dieser Thematik annähert: Walter Groß/Karl-Josef Kuschel, „Ich schaffe Finsternis und Unheil!“ Ist Gott verantwortlich für das Übel? Grünewald Verlag, Mainz 1992, wo der Alttestamentler Groß drei exemplarische Problemtexte (Jes 6; Jes 45,7; Ps 88) darstellt und der Systematiker, der mit seinem zweiten Standbein als Literaturwissenschaftler einen höchst anregenden Teil „Literarische Perspektiven“ (Reinhold Schneider, Wolfgang Hildesheimer, Elie Wiesel und Hartmut Lange) bietet. In wohltuend kritischer Weise wird das heute so beliebte „Theorem vom leidenden, schwachen und ohnmächtigen Gott“ (209) als Lösungsansatz gegenüber dem „gewalttätigen Gott“ hinterfragt. Allen Werken merkt man an, daß die Hermeneutik der Gewalttexte der Bibel sowohl exegetisch als auch systematisch trotz allem noch relativ wenig entwickelt ist und noch großer interdisziplinärer Anstrengung innerhalb der Theologie bedarf.

Robert Oberforcher


Jahrgang 5/1998 Seite 299



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