Wichern Verlag, Berlin 1996. 205 Seiten.
Die Autorin, Historikerin aus dem kanadischen Toronto, hatte sich bereits Mitte der achtziger Jahre während eines Studienaufenthaltes in der DDR mit Geschichte und Gegenwart der dortigen jüdischen Gemeinden vertraut zu machen bemüht. Die Interviews von 1988 sind unter dem Titel „Jüdisches Leben in der DDR“ im Jüdischen Verlag Frankfurt/M. erschienen. 1991 interviewt die Autorin erneut einige ihrer früheren Gesprächspartner und -partnerinnen (8-17). Bei den elf Gesprächen interessierte sie vorrangig, wie jene (darunter zwei, die zu DDR-Zeiten Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde waren) die „Wende“, die Zeit des politischen Umbruchs und gesellschaftlichen Wandels, erlebt haben und auf dem Hintergrund ihrer jeweiligen DDR-Biographien betrachten. Ebenso wollte Ostow in Erfahrung bringen, wie und wo sie ihren Platz in der neuen Gesellschaft sehen und wie sie heute ihr Leben in der früheren DDR beurteilen. Die Antworten sind so verschieden wie die Befragten. Aus unterschiedlichen Erfahrungen resultierende Rückblicke auf die DDR stehen da ebenso nebeneinander wie Erlebnisberichte aus der Zeit der „Wende“ und Versuche einer Standortbestimmung im eben vereinigten Deutschland.
Doch es sind nicht allein je individuelle Antworten, die hier gegeben sind, es sind vor allem persönliche und mitunter ins Private reichende Lebenszeugnisse. Heute erwecken sie indessen zuweilen fast den Eindruck, aus einer längst vergangenen Zeit zu sein. In der Summe wollen und können sie keine „Geschichte der Juden oder der jüdischen Gemeinden in der DDR“ sein und auch keinen Abriß einer solchen Geschichte liefern. Gleichwohl gehören sie zu dem, was man „oral history“ zu nennen pflegt. Zukünftige Historiker werden hier Zeugnisse finden, die ihnen, wenn schon keinen Schlüssel zur Deutung, so doch Interpretationshilfen an die Hand geben. Als einen solchen Beitrag zur „oral history“ will die Autorin ihr Buch auch verstanden wissen. Im Nachwort (199-205), geschrieben nach einer erneuten Reise (1995), kommentiert sie nicht nur die Gespräche, sondern versucht ebenso eine nicht durchweg glückliche Wertung und Einordnung in den Gesamtzusammenhang der Geschichte. Neue, zu Literatur verdichtete Gespräche sind aus dem dritten Besuch nicht hervorgegangen, wohl aber kurze „Nachworte“ zu den einzelnen Gesprächen. Ist der Erkenntniszuwachs aus diesem zeitversetzt erschienenen Buch auch sehr gering, so wird es als „oral history“ indessen sicher seine Bedeutung behalten.
Stefan Schreiner
Jahrgang 5/1998 Seite 306