Hg. A. Läpple. Pattloch-Verlag, Augsburg 1997. 544 Seiten.
In 149 Texten ist das Arsenal der nichtbiblischen Qumran-Schriften erschlossen. Es ist eine verdienstliche und finanziell erschwingliche Edition dessen, was aus ehemals wahrscheinlich 800 Schriftrollen übrigblieb. Der durch zahlreiche Publikationen, zumal in der Religionslehrerschaft bekannte Herausgeber Läpple hat selbst einen Beitrag verfaßt (Christliches in Höhle 7?). Wer die drei Taschenbücher von Johann Maier (1995-96) (vgl. FrRu 4[1997]57-59) oder den umfassenden Qumran-Schriftenband (englisch) von F. Garcia Martínez (1994) zur Hand hat, ist gut beraten, gelegentlich einen Blick in diese Parallel-Editionen zu tun. Wenn auch die unübertroffene Edition von Maier den obersten Platz einnimmt, so müssen an dem Patmos-Buch besonders die Einleitungen und Zwischengliederungen zu den Texten gelobt werden. In dieser Ausführlichkeit, in der Sicherheit, wie die Bezüge zur Bibel und zur Zeitgeschichte hergestellt sind, gibt es m. E. noch nichts Vergleichbares. Das Buch wird wohl auf lange Zeit ein Hand- und Nachschlagbuch zum Thema Qumran bleiben.
In der neuen These der Verfasser wird vertreten, die Lobrede auf König Jonatan (4Q 448, Text 106) und besonders der Pescher Nahum (Text 25) sowie das Sektierer-Manifest (Text 94) bewiesen, daß der Gegensatz zwischen Qumran und Jerusalem mit den dort als Könige und Hohepriester regierenden Hasmonäern im Fall von Alexander Jannai (103-76 v. Chr.) nicht bestand. Jedenfalls lieferte Alexander Jannai nicht den Grund zur Abtrennung/Absetzung. Aber: die Abtrennung ist dokumentiert (Text 94,14Q MMT,373), sie weist freilich in eine andere Richtung. Der Grund seien die Pharisäer unter Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) bzw. unter ihren Söhnen in den Wirren des Bürgerkriegs bis zur Besetzung Jerusalems durch die Römer (63 v Chr.). Die Pharisäer wären also die eigentlichen Gegenspieler der Qumran-Leute! Der „Frevelpriester“ (Hyrkan II.) und auch der „Lehrer der Gerechtigkeit“ (lQpHab 5,10 u. 8 f.) würden demnach ins 1. Jh. v. Chr. gehören (49). Die Kittim (Römer) vollziehen das Strafgericht an Efraim; Israel wird übergeben. So 4Qp-Nah Fragm. 3-4, Kol1,12.1
Die neue Sicht der Dinge bräuchte an den bisherigen, zumal theologischen, Einblicken in die Frömmigkeit der Qumran-Leute nichts zu ändern. Sie besitzen einen vom üblichen abweichenden 364-Tage-Kalender, organisieren sich gemäß dem im Pattloch-Buch sogenannten „Grundgesetz einer Sektengemeinschaft“ (säräk ha-jachad Text 5). Ihre Psalmen (hodayot Text 3), worunter Klaus Berger auch Abschnitte aus anderen Texten, z. B. aus der Kriegsrolle (Text 8) faßt, wurden bereits 1994 in einer ansprechenden Übersetzung publiziert (vgl. FrRu 2[1995]214-216). Die Eschatologie von Qumran, u. a. greifbar in Text 8, ist gekennzeichnet durch die Erwartung eines Messias aus Aaron (priesterlich) und eines Messias aus David (königlich). Wie der Anhang zum Grundgesetz, die „Gemeindeordnung für das Israel der Endzeit“ (Text 6) belegt, wird die Ankunft des „Messias von Israel“ aber erst noch erfolgen (1Q 28a II 12). Die eine Übersetzungsvariante von M. Wise, daß Gott den Messias zeugt (163), ist von J. Maier zugunsten der zweiten Variante verworfen worden. Maier übersetzt: „Wenn sich zusammenfindet (nicht: Gott geboren werden läßt) der Gesalbte mit ihnen.“ Die in diesem Zusammenhang noch vor drei Jahren ventilierte These vom tötenden oder getöteten (!) Messias (4Q 285 Text 59), (vgl. FrRu 2[1995]118) ist somit vom Tisch. In der Erläuterung zum Text 59 (Krieg des Messias) liest man, daß „der führende Vertreter der Interpretation vom sterbenden Messias, Robert Eisenman(n), öffentlich widerrufen und erklärt hat, er habe eigentlich nie wirklich daran geglaubt“ (308). Es bleibt dabei, daß der Messias, entsprechend dem Zitat aus Jes 11,4, „den Gewalttäter ... den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes“ tötet (1Q 285 Fragm. 5,4).
Zur Gesamtanlage der Texte kann hier nur ein begrenztes Urteil abgegeben werden. In jedem Fall ist der Bestand an Dokumenten mit den 149 Texten zur praktischen Arbeit erfaßt.2 Es war wohl da und dort ein Ermessensurteil, den einen oder anderen Text, trotz seiner fragmentarischen Gestalt, ins Buch aufzunehmen. So sind z. B. die Loblieder, gerade wenn die 27 Kolumnen durch Fragmente aus 4Q 427-432 ergänzt sind, teilweise verstümmelt. Übrigens ist die Kolumnen-Anordnung der Loblieder im Buch nicht mehr die der Ausgabe von Eduard Lohse (41986), was das Auffinden des Originaltextes erschwert. Eine Synopse der deutschsprachigen Übersetzungen, etwa der Lob-lieder, zeigt, wie weit wir noch von einem Standard-Text entfernt sind.
Die Tempelrolle aus Höhle 11 nimmt in der Übersetzung 32 Seiten ein. Auch Maier hat seine erste Ausgabe der Tempelrolle (1978) jetzt verbessert (Bd. I). Die Umdeutung der Vorschrift über das „ans Holz hängen“ (Dtn 21,22 f.) im Fall des Volksverräters ist festzuhalten (Kol 64,10 f.). Bei der Übersetzung, so gelungen sie im allgemeinen ist, findet sich manchmal der gravierende Mangel, daß die theologisch erforderte Kompetenz z. B. in der Opferterminologie nicht vorhanden ist. Bei dem Opferritual des Versöhnungstages (Lev 16) kommen bei der entsprechenden Stelle in der Tempelrolle unpräzise Ausdrücke vor wie Ziege statt Ziegenbock (Kol 26,11), obwohl der Terminus Ziegenbock in Kol 17,14 richtig verwendet ist. Das „Wedeln“ der Gerstengabe (480, Einl. zu Kol 18) und „Getreideopfer“ (statt Speiseopfer) sind nicht geläufige Termini. Die „Schandtaten“ der Kinder Israels (485) gehen wohl auch auf die nicht fachmännische Übersetzung zurück — es muß „Verschuldungen“ heißen oder „Freveltaten/Sünden“. Die Liste der Korrekturen kann in der Hinsicht noch angereichert werden: Alexander Jannai wird einmal mit Alexander dem Großen (45) verwechselt, es muß Rabbinen, nicht Rabbiner heißen (z. B. 52), das Gesetz lag nicht in der Arche (sic!), sondern in der (Bundes-)Lade (73). Ein Neuling ist ein Novize (140 u. ö.), eine Zeit der Anwartschaft ist besser mit „Noviziat“ übersetzt. Turnus (Turnusse) ist im Deutschen eher als Dienstabteilung (so Maier) zu verstehen (169). Der Wiederaufbau des Tempels war im 6. Jh., nicht im 5. Jh. (197). Daß Jesus von Nazaret Ansprüche auf eine „übermenschliche“ Herkunft von seinen Zeitgenossen abgelehnt hätte, müßte das Vorhandensein der Ansprüche erst beweisen. Der Verweis auf Joh 10,33 kann den Beweis nicht erbringen (286). Salome Alexandra starb nicht 63, sondern 67 v Chr. (332). Text Nr. 48 und Text Nr. 80 sind gleich betitelt. Diese Korrekturen sollen freilich den Glanz dieses Buches nicht trüben.
- Vgl. auch Text 26 sowie die Damaskusschrift (Text 1).
- Die Texte aus Höhle 4 sind bei Maier in einem Extraband mit 741 Seiten untergebracht. Bei dem Dokument 4Q 521 (messianische Apokalypse) Text 122 wurde der Streit, ob das Wort „Messias“ singularisch oder pluralisch zu lesen ist, von den Amerikanern unter sich ausgemacht. Es ist singularisch zu lesen. Vgl. dagegen H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 51996, 50 und J. Maier, die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. II. München 1995, 683 und FrRu 2 [1995] 114-117. Vgl. auch S. 136 f. i. d. Heft.
Alwin Renker
Jahrgang 6/1999 Seite 130