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Leib Perez, Isaak

Leben sollst du

Ostjüdische Erzählungen mit Bildern von Marc Chagall. Hg. von Annette Weber. Edition Herder Band 10, Freiburg 31995. 120 Seiten.

Leib Perez, Isaak / Alejchem, Scholem

Ein Lied der Liebe

Ostjüdische Erzählungen mit Bildern von Marc Chagall. Edition Herder Band 17, Freiburg 1995. 120 Seiten.

Sie leben in Osteuropa, sind Lastenträger oder Kürschner, Musiker oder Rabbiner, glückliche oder unglückliche Eheleute. Aber eines ist den Gestalten von Isaak Leib Perez (1852-1915) gemeinsam: Sie sind tiefgläubige Juden. In diesem Glauben nehmen sie das Leben an, vertrauen auf eine bessere Zukunft, auch wenn es ihnen schlecht geht. „Leben sollst du“ beschreibt eindrucksvoll in sieben Erzählungen das jüdische Leben auf den Dörfern des Ostens anfangs dieses Jahrhunderts. Die Geschichten erzählen vom Eheglück des Lastenträgers Chaim, der seine Frau so sehr liebt, daß er — entgegen rabbinischer Lehre — nicht will, daß sie ihm im Paradies als Schemel dient. Wir lernen den demütigen Bonze Schweig kennen, der auf Erden verachtet, im Himmel belohnt wird, sich aber auch dort trotz Ruhm und Ehre seine Bescheidenheit bewahrt. Dann begegnen wir auf frostiger Straße dem Sendboten Schmarje, der über seine verstorbene Gattin nachdenkt — eine boshafte, aber doch liebenswerte Frau — und dann selbst, erschöpft in der Erfüllung seiner Pflicht, den Geist aufgibt. Wie ein Lied durch die jüdische Welt geht und dabei immer wieder seinen Charakter verändert, schildert die Geschichte von Berl Kolbas, dem stolzen Streimelmacher, der überzeugt ist, durch seine Arbeit das Schicksal der Menschen zu bestimmen. Dann sind da die unglückliche Sore Riwke und ihr Gemahl Chaim Boruch, denen die türkische Tabakpfeife des Rebbe zu Glück und Geld verhilft. Am Ende steht die Geschichte vom glückseligen Tod des Talmudschülers Lemech, der nach mehrtägigem Fasten der Herrlichkeit himmlischer Melodien gewahr wird und dann in die Ewigkeit eintritt. Teils lustig, teils besinnlich sind die Geschichten. Liebevoll zeigen sie auch allzu menschliche Schwächen auf, und immer wieder wird deutlich, daß es letztlich doch Gott ist, der des Menschen Leben in der Hand hat.

Wie fremd die Welt der Juden aus Osteuropa für die Menschen im Westen ist, wird augenfällig deutlich in „Ein Lied der Liebe“, ebenfalls illustriert mit Bildern von Marc Chagall. Wir lesen von der geheimnisvollen Heiratsvermittlerin Ssore bas-Tewim und machen die Bekanntschaft mit dem Aufschneider Schimek, der mit kindlichem Gemüt um die kleine Busla wirbt. Dann taucht der Milchmann Tevje auf, der seiner Tochter Zeitel zu dem richtigen Ehemann verhelfen will und dazu auf originelle Weise seine Frau hinters Licht führt.

Von dem Holzhändler Schmuel ist die Rede, dem der Baal-Schem-Tov über Umwege zum wahren Glück verhilft. Und schließlich lernen wir den Asketen Chelmer Melamed kennen, der der verbannten Fleischeslust zur Rückkehr in die Welt verhilft, auf daß die Menschen wieder fruchtbar sind und sich mehren. Es sind Geschichten, die Freude machen, weil sie von der Lebenskunst von Menschen Zeugnis geben, die nicht auf der Sonnenseite des Daseins stehen und doch das Leben mit Humor und Gottvertrauen meistern. Deutlich wird in diesen liebevollen Erzählungen allemal, daß eine solche Haltung ein Königsweg zu einem gelungenen Leben ist.

Raymund Fobes


Jahrgang 6/1999 Seite 144



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