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Quinzio, Sergio

Die Niederlage Gottes

Aus dem Italienischen von Ulrich Hausmann. Mit einem Nachwort von Otto Kallscheuer. Rotbuch, Hamburg 1996. 120 Seiten.

Sergio Quinzio (1927-1996), ein theologischer Autodidakt, hat, wie vielleicht kein zweiter moderner Theologe, die Identität von jüdischem und christlichem Glauben durchgehalten. Seine Sicht der Geschichte Gottes mit den Menschen ist in wenigen Sätzen wiederzugeben: Grundlage der hebräischen Bibel sind die „Versprechen Gottes“, daß er denen, die an ihn glauben, eine heile Zukunft schenken wird. Was Abraham versprochen wird, was Hiob als Belohnung erhält, ist ganz und gar konkret und materiell. Nun mußten aber die Frommen erleben, daß die Erfüllung der Versprechen sich immer wieder verzögerte. So wurde — um die Gerechtigkeit Gottes wahren zu können — die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten entwickelt: Das scheinbar siegreiche Unrecht sollte doch nicht das letzte Wort behalten. Die Botschaft von der leiblichen Auferstehung Jesu als seiner Rechtfertigung durch Gott gehört unmittelbar in den Kontext dieser Sehnsucht hinein. Untrennbar zur Auferstehungsbotschaft gehört die Naherwartung, die Hoffnung auf die baldige Auferstehung aller Toten und den Anbruch des Reiches Gottes. In der Verzögerung erkannten die Gläubigen Gottes Schwäche: Gott kann nicht zugleich verstehbar, gütig und allmächtig sein. Also wird seine Allmacht geopfert, um an den beiden wichtigeren Attributen festhalten zu können. Gott befindet sich in einer Auseinandersetzung mit offenem Ausgang; und der Lauf der Geschichte hat gezeigt, daß er diesen Krieg verloren hat. Die Folge der Niederlage Gottes ist ganz offensichtlich: Gott spielt für die Welt keine Rolle mehr. Universale Bedeutung gewinnen dagegen die Pseudo-Messiasse und der Antichrist — heute vielleicht am deutlichsten das Heilsversprechen, das von der Technik auszugehen scheint. Den wenigen Gläubigen bleibt in dieser Situation nur noch „ein Leben über dem Abgrund“ (84) und die Klage über den „Verlust Gottes“, dessen Anwesenheit den Sinn der Welt ausmachen würde.

Quinzio hält an der Kontinuität der messianischen Hoffnungen energisch fest, durch beide Testamente, durch jüdische wie christliche Geschichte hindurch. Es gelingt ihm, christliche Denkfiguren mit jüdischen Vorbildern zu verbinden (so wird der Glaube an die Trinität, als Überzeugung vom Wirken des göttlichen Geistes in den Gläubigen, mit der Schechinah verglichen, die mit Gottes Volk ins Exil gegangen ist); Materialität und Leiblichkeit der Glaubenshoffnung werden — ein jüdisches Erbe — gegen spiritualisierende Tendenzen im Christentum festgehalten. Damit ist freilich auch schon benannt, wogegen sich Quinzio unerbittlich wendet: gegen die hellenisierende, Gottes Reich vergeistigende und verjenseitigende Tradition, gegen jeden Vesuch der Harmonisierung zwischen dem realen Verlauf der Geschichte und der messianischen Utopie. G. W. Fr. Hegel kann so nur als „christlicher Philosoph“ gelten, in Wahrheit formuliert er „die Logik des Antichrist“ (89). Quinzios Buch ist höchst verdienstvoll und formuliert jedenfalls eine äußerst drängende Anfrage an die Theologie, die sich allzu bequem einrichtet in dem, was ist. Ob man die radikale Absage an die Philosophie mitmachen kann und will, bleibe jedem einzelnen überlassen. Mir scheint symptomatisch, wie souverän sich Quinzio über die historisch-kritische Exegese als unnütze Erbsenzählerei hinwegsetzt. Mag es noch mit einem Lächeln zu quittieren sein, daß er Differenzen zwischen den Paulusbriefen und dem 1. Timotheusbrief als eine Entwicklung in Paulus deutet (28) — die lakonische Kürze, mit der er der „Textkritik“ unterstellt, sie erhebe sich rationalistisch über die Bibel und werte nach eigenen Vernunftgesichtspunkten innerhalb ihrer Überlieferung (80), ist ein ärgerlicher Unfug. Otto Kallscheuer hat ein schönes und erhellendes Nachwort geschrieben.

Horst Gorbauch


Jahrgang 6/1999 Seite 145



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