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Henryk Muszyński

Die Kreuze von Auschwitz

Erzbischof Henryk Muszyński, Metropolit von Gnesen und Träger der diesjährigen Buber-Rosenzweig-Medaille (vgl. S. 225f in d. H.), hat bereits am 7. August 1998 eine deutliche Erklärung zu den umstrittenen Kreuzen vor dem KZ Auschwitz abgegeben. Weil er im jüdisch-christlichen Dialog und in der Seelsorge engagiert ist, redet er Klartext: Christen und Christinnen können das Kreuz Christi nicht beiseite schieben, weil es für sie das Leid, den Tod und die Auferstehung Christi und der Menschheit symbolisiert. Ebensowenig dürfen sie es zum Zeichen der Judenfeindschaft machen. Wir hoffen, daß Juden und Christen ihre jeweilige Form der Erinnerung finden, die in beiden Glaubensgemeinschaften akzeptiert werden kann.

Ich bin wegen der „Aktion: Kreuze“ auf dem Gelände der Kiesgrube am KZ Auschwitz tief besorgt. Deshalb möchte ich die folgende Erklärung abgeben. Von Anfang an war das Kreuz Christi für das Christentum ein Heils- und Widerstandszeichen zugleich. Für den Hl. Paulus, der den Auferstandenen getroffen hat, wurde das Kreuz zum „Ruhm“ (Gal 6,14); für diejenigen, die wie der Hl. Paulus — „Juden sowie Heiden“ — an den Auferstandenen geglaubt haben, wurde es zu „Gottes Kraft“ und zur höchsten „Weisheit“ (1 Kor 1,25). Derselbe gekreuzigte Christus, der das Zentrum und die Fülle des vom Hl. Paulus verkündigten Evangeliums war, wurde „für die Juden ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit“ (1 Kor 1,24). Die scharfe Auseinandersetzung wegen der Kreuze, die auf der Kiesgrube in der Nähe vom KZ Auschwitz aufgestellt wurden, macht deutlich, daß das Ärgernis des Kreuzes weiterhin existiert. Für uns Christen bleibt das Kreuz das höchste Heiligtum, ein Heilszeichen und ein Symbol der höchsten Liebe, das freiwillig für die Erlösung der Welt angenommen wurde. Von den Anfängen der polnischen Geschichte ist das Kreuz so stark mit unserer Heimat verbunden, daß man „das polnische Volk nicht verstehen kann ohne Christus, ohne Kreuz und ohne Auferstehung, deren Symbol, Bedingung und Zeichen das Kreuz ist“ (Johannes Paul II. in Warschau am 2.6.1979 und in Kurytyba am 5.7.1980). Ein so verstandenes Zeichen muß immer und überall verteidigt werden, denn es ist das wichtigste Symbol und Zeichen des Christentums. Wir wissen über die Menschen Bescheid, die in der Vergangenheit als Christen ihr Leben für das Kreuz geopfert haben. Und das verpflichtet uns — als Nachfolger Christi und Bekenner des Gekreuzigten — mehr als andere Menschen. Wir erwarten auch, daß unsere christliche Identität, in der das Kreuz einen wichtigen Bestandteil darstellt, geachtet wird. Es gibt nämlich kein Christentum ohne Christus, d. h. ohne das Kreuz, durch welches — wie wir glauben — die Welt erlöst wurde. Man darf aber nicht vergessen, daß unsere jüdischen Brüder mit dem Kreuz einen ganz unterschiedlichen Inhalt verbinden. Sie erwarten die gleiche Beachtung ihrer Anschauung, wie wir Christen. Diese unterschiedlichen Inhalte lassen sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Der Mißbrauch des Symbols des Kreuzes und seines christlichen Inhalts für den Kampf mit anderen bedeutet dabei die Verleugnung des Christentums und des Kreuzes.

Das Kreuz ist ein Zeichen der Liebe. Die Verteidigung des Kreuzes muß ihren Ausdruck in der Haltung der Jünger finden, dem Ruf Christi entsprechend: „Wer mein Jünger sein will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24). Das drückt sich in uns — den Jüngern Christi — im Absterben des Egoismus (auch des kollektiven Egoismus) und des Hasses und in der Nachahmung der Liebe Christi gegenüber den Nächsten aus. Nur auf diese Weise können wir der Welt „die Kraft und die Weisheit des Kreuzes“ durch eigenes Beispiel zeigen; dazu wurden wir als Jünger des Gekreuzigten berufen. Diejenigen, die sich des Kreuzes zum Kampf bedienen, handeln faktisch „als Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18).

Diejenigen, die sich auf die Worte des Papstes in Zakopane berufen („verteidigt das Kreuz“), um die „Aktion der Kreuze“ auf der Kiesgrube zu rechtfertigen, mißbrauchen und entstellen die eigentliche Intention des Papstes. Das betrifft auch das Instrumentalisieren des Kreuzes, das man zum Werkzeug eigener Interessen macht, die gegen die Kirche, gegen unsere Heimat und gegen den christlich-jüdischen Dialog gerichtet sind. Die Worte des Papstes: „Verteidigt das Kreuz — laßt nicht zu, daß der Name Gottes beleidigt wird“, zeigen deutlich auf das Kreuz als Symbol der höchsten Liebe zu den Menschen, „die im Kreuz ihren tiefsten Ausdruck gefunden hat“ (Johannes Paul II., Zakopane 6.6.1997). Nur jemand, dem das Realitätsgefühl fehlt, kann behaupten, daß der Heilige Vater die Verteidigung des Kreuzes zum Kampf gegen andere gebrauchen will. Und wen die Worte des Papstes nicht überzeugen, der sollte dessen Leben und Haltung gegenüber den Juden nachahmen, die von Offenheit, Demut und Liebe gekennzeichnet sind.

Das Kreuz kann nur durch ein solches Zeugnis zum Zeichen der Kraft und des Sieges über Schwäche, Sünde und Haß und über all das, was ein Widerspruch zur wahren Liebe und zum Christentum darstellt, werden.


Übersetzt aus dem Polnischen von A. Kozyra


Jahrgang 6/1999 Seite 198



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