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Görg, Manfred

Nilgans und Heiliger Geist

Bilder der Schöpfung in Israel und Ägypten. Patmos-Verlag, Düsseldorf 1997. 170 Seiten.

Der Alttestamentler und Ägyptologe Manfred Görg setzt sich zum Ziel, den Schöpfergott in Ägypten, dessen Attribut u. a. die Nilgans (97) ist, und die jüdisch-christlichen Schöpfungsaussagen, über „das, was die Menschheit vorher (d. h. vor der Bibel) über den Schöpfergeist gesagt hat“ (30), in Beziehung zum Genesis-Bericht, zum ruach elohim und zum Heiligen Geist in der Bibel zu bringen. Er stellt fest, daß — religionsgeschichtlich gesehen — in der christlichen Schöpfungslehre Unkenntnis herrscht über die Vorgänger im Ägypterreich bis hin zur Gnosis (die die Theologie des Alten Ägypten aufnahm). Görg geht sein Thema — auch sprachlich elegant — in drei Kapiteln an.

So wahr die in den Annäherungen (Kap. 1) beklagte gängige, aber engbrüstige christliche Auffassung vom Heiligen Geist ist und so trefflich Görgs Beobachtungen an existientiell geistbedürftigen Christen sind, die noch nicht der geistigen Schrumpfung anheimgefallen sind (Pfingstsequenz, A. Delp, D. Bonhoeffer, Paulus und Johannesev.): sein größter Erkenntnisgewinn ist im 2. Kapitel ausgebreitet und nachzuvollziehen. „Die Vorstellung vom göttlichen ,Geist‘, der zu Hilfe kommt, wenn man ihn ruft, ist neben ihrer alttestamentlichen Verankerung auch ein Erbstück aus der außerbiblischen Vorvergangenheit, wie uns der Blick auf die Verehrung des ägyptischen ,Geist-Gottes‘ zeigen wird“ (37). Görg sieht in der Bibel die Ur-Gegebenheiten Chaos (Tohuwabohu), Urflut (Tehom) und Wasser/Weltei (Himmel-Erde), über allem das Flattern (merachäpät) des ruach elohim (Geistgottes), als im kosmologisch differenzierten Entstehungsprozeß befindlich. Der Hauptsatz beginnt nach Görg mit Gen 1,3: „Da sprach Gott: Es werde Licht ...“ Im eigentlichen Sinn vollzieht sich das Schaffen Gottes durch Sprechen (45). Genau dieses „prozessuale Vorgehen“ ist schon im Transformationsvorgang in der Kosmologie Ägyptens zu erfassen, der von den vier Urgötterpaaren des Chaos zu den Urhügeln des Ptah und von da zum Re am hellen Mittag führt. Leitend in diesem Prozeß, der auf zahlreichen Bildern und besonders in den Totenbüchern dargestellt wird (67), ist das „Schicksal“ der Schöpfungswelt, näherhin der Sonne bzw. des Sonnenlaufs (Aufgang-Untergang als Zyklus). Die Barke figuriert dabei als „Arche“ (Ort für die Gottheit der Erde, für Mensch und Tier). Der Geist ist dabei die aus der „imaginären Tiefe sich erhebende Gottheit, die den beharrenden Kräften der trägen Urwasser entwächst, um ihrerseits die Erdbarke emporzuheben und so den Weg in eine Zone der räumlichen Ruhe anzuzeigen, so daß überhaupt erst Leben möglich wird“ (72). Die Abfolge Amun-Ptah-Re ist eine trinitarische Konstellation, deren Herkunftsfrage (87) die Frage nach der Zeugung durch den Geistgott nach sich zieht. Es sind „die drei entscheidenden Phasen, die in der Kosmogonie über die Bühne gehen: Amun, in nächster Nähe also zum Chaos, wird zu dem Gott Ptah, der die Welt durch sein schöpferisches Wort verwirklicht ... und noch einen Schritt weiter wird die nächste Transformation vollzogen, die Zeit wird geboren, und dafür steht der Sonnengott Re da als Prinzip des Alls, der Herr des Kosmos“ (80). Amun, der für die Zeugung durch den Geist steht, erscheint im Namen des Pharao Tutanchamun (= lebendiges Bild des Amun). Der Pharao ist „Geist“ und „Bild“ Gottes. Eine schlagende Parallele dazu findet sich in Gen 1,26, wo von dem als Abbild Gottes geschaffenen Menschen die Rede ist. Im dritten Teil mustert Görg die biblischen Bilder/Aussagen vom Lebensgeist bei den verschiedenen Geistträgern, den Richtern/Rettern und den Ekstatikern. Bei den altbundlichen Propheten sieht er durchaus Berührungspunkte, wiewohl dort Geist und Wort nicht identisch figurieren. Im Ezechiel-Buch ist der Prophet als Geistträger unverkennbar präsent. Gerade dieser Abschnitt rechnet die vergessene „weibliche“ Wirklichkeit von Geist im jüdisch-christlichen Raum auf gegenüber einer „Vermännlichung“ Gottes. Dabei würdigt Görg ausdrücklich die Arbeit der feministischen Theologie.

Nicht nur die Vorlesungsmanuskripte der alt- und neutestamentlichen Universitätstheologie, auch der Religionsunterricht, die Predigt und die Bibelarbeit werden sich den Einsichten Görgs nicht verschließen können. „Nilgans und Heiliger Geist“ ist ein weit öffnendes, sehr informatives und streckenweise faszinierendes Buch.

Alwin Renker


Jahrgang 6/1999 Seite 206



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