Der Werdegang eines Apostels. Stuttgarter Bibelstudien 171. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1997. 140 Seiten.
Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, daß man nach den neueren monographischen Paulus-Darstellungen von Martin Hengel und Rainer Riesner zum Thema noch erfolgreich und überzeugend die Karten neu mischen kann. Dennoch ist dies dem Verfasser gelungen, da er neben einigen neuen Daten vor allem für die bisher bekannte Materialbasis sorgfältig auf die Schwachstellen der Argumentation und der Auswertung achtet. Einen besonderen Vorzug weist diese kleine Schrift darin auf, daß sie die bisherige Diskussion übersichtlich darstellt und das Für und Wider in ausgewogener Weise darlegt. Haacker vertritt hier eine bisher noch zu wenig beachtete hermeneutische Grundhaltung in der Paulusexegese, die für die Zukunft noch einiges verspricht, nämlich „die Konzeption einer Paulus-Interpretation aus seiner Biographie im Kontext der Zeitgeschichte des frühen Judentums“ (7). Im einzelnen werden die bekannten Topoi der innerjüdischen bzw. vorchristlichen Biographie verhandelt: Familienhintergrund, Sozialisation und Bildungsweg, pharisäisches Engagement und Lebenswende. Viel Mühe verwendet Haacker auf die Entkräftung der Thesen von E. Stegemann, um die historische Plausibilität des römischen Bürgerrechts abzusichern (27-44). Dabei gibt es viel Rechtsgeschichtliches zu lernen. Stärker als bisher wird gegenüber Tarsus in Kilikien der Aufenthalt in Jerusalem als die entscheidende Prägephase auch für die hellenistische Bildung des Paulus ausgewertet, was ja nach der heute weithin anerkannten Präsenz hellenistischer Kultur im jüdischen Mutterland kein Hindernis darstellt. Im Anschluß an Hengel könnte man demnach Paulus „als einen jüdischen Graeco-Palästiner“ (53) bezeichnen. Eine weitere wichtige Neuakzentuierung bietet Haacker mit einer Überprüfung des Pharisäerstatus von Paulus. Einmal sei Gamaliel nicht eigentlich sein Toralehrer gewesen, sondern eher sein Erzieher in der Kindheit. Von daher sei die rigoristisch-aggressive Einstellung zur Toraobservanz eher aus der Schule Schammais als Hillels zu verstehen. Von daher könnte dann auch seine spätere christlich-theologische Auseinandersetzung um die Heilsrelevanz der Tora wichtige Konnotationen gewinnen. Was also noch für Paulus „der Inbegriff jüdischer Frömmigkeit war“ (94), konnte im frührabbinischen Judentum mit seiner größeren Nähe zur hillelitischen Variante ziemlich anders aussehen. An einer Reihe von Beispielen wird illustriert, wie sich das Wissen um eine solche Perspektivierung des jüdischen Selbstverständnisses innerhalb der Paulusbiographie auf die Interpretation theologischer Themen wie Gesetz, Auferstehung, Anthropologie auswirkt (vgl. 66-71). Man darf gespannt sein, wie innerhalb der Paulusforschung die gewiß provozierenden Thesen und Korrekturvorschläge zum bisherigen Paulusbild aufgenommen werden.
Robert Oberforcher
Jahrgang 6/1999 Seite 208