Entwicklung und Begründung ihres Selbstverständnisses. TVG Brunnen Ver-lag, Gießen/Basel 1995. 125 Seiten.
„Mit Kreuz und Davidstern“ lautete der Titel eines Films von Klaus Wölfle, 1997 im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Die erst zehn Jahre alte „Kehillat HaMashiach“ (Messias-Gemeinde) in der Christ Church in Jerusalem stand im Mittelpunkt. Der mit jüdischen und christlichen Symbolen verzierte Innenraum betont den charismatisch-evangelikalen Charakter dieser messianischen Gemeinde. Sie ist eine von etwa vierzig Gemeinden in Israel. Über 4000 Anhänger soll die Bewegung inzwischen haben. Jüdische Einwanderer aus der Ex-Sowjetunion fühlen sich besonders angezogen. „Jews for Jesus“ heißt die bekannteste amerikanische judenmissionarische Organisation. In der israelischen Zeitung „Ha‘aretz“ erschienen mehrfach ganzseitige Annoncen, die mit Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament Jesus als den Messias Israels „auswiesen“. Die Furcht vor Mission ist in der israelischen Bevölkerung tief verwurzelt, denn Mission wird als „Angriff auf jüdische Identität“ verstanden. Mission unter jüdischen Einwanderern betreiben seit einigen Jahren auch verschiedene Gruppen messianischer Juden in deutschen Großstädten, um ihnen zu einer „vollendeten messianisch-jüdischen Identität“ zu verhelfen.
Vor diesem brisanten Hintergrund ist das Buch von Andreas Hornung zu lesen: Ausführlich und gut verständlich analysiert er die „Wiederbelebung eines Phänomens“ (44), das es schon einmal, und zwar an den Ursprüngen des Christentums, gab. Hornung beteuert, daß durch diese Bewegung, zu der weltweit über 350 000 Anhänger zählen, das Judentum nicht ausgelöscht oder ignoriert wird, sondern als lebendige Kraftquelle weiterhin erkennbar bleibt. Im Gegensatz zur neutestamentlichen Zeit aber kann das Bekenntnis zu Jesus heute nicht in Kontinuität mit der jüdischen Identität gelebt werden. So stellt sich die Frage, wie sich Kirchengeschichte entwickelt hätte, wenn es neben den zahlreichen heidenchristlichen Gemeinden in der Kirche auch judenchristliche Kreise gegeben hätte, die mit ihrem Volk und der alten jüdischen Glaubenswelt verbunden geblieben wären.
Die seit dem zweiten Jahrhundert n. Chr. zunehmend heidenchristlich geprägten Gemeinden boten keine Möglichkeit mehr eines jüdischen Lebens im „Schoß der Kirche“ (Pierre Lenhardt). Nach dem gescheiterten Aufstand gegen Rom (66-70 n. Chr.) können sich Juden keine Sondergruppen mehr leisten. Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr. verlieren sich die Spuren der Judenchristen im Norden Syriens. Obwohl es sie nur in kleiner Zahl durch die Jahrhunderte gegeben hat, erleben sie heute eine Renaissance. Derzeit gibt es viele, die sich zu Jesus bekennen und sich zugleich Juden nennen. Nach ihrer Verfolgung im Dritten Reich — zusammen mit den Juden — beginnt ein neues Kapitel der sich nun „messianische Juden“ nennenden Gemeinschaft. Hornung stützt sich in seiner Arbeit auf das „Messianische Manifest“ des in Israel lebenden messianischen Juden David Stern (1988) sowie auf das Buch des führenden amerikanischen Judenchristen Daniel Ruster „Jewish Roots“ (1986). Manches, was die Missionstheologien seit dem 19. Jahrhundert geprägt hat, kommt hier pointiert zur Sprache, alte Klischees kommen wieder zum Vorschein. Nach Hornung „war“ das jüdische Volk „nach dem Alten Testament von Gott berufen, sein Offenbarungsträger zu sein“ (15). Der Tora als Heilsweg (30, 31, 33, 96) wird das Leben „im Geist“ gegenübergestellt. An einem speziellen „Sendungsbewußtsein gegenüber dem jüdischen Volk“ (33, 42, 90, 98) wird nach wie vor festgehalten. Hornung läßt seine wahre Einstellung erkennen, wenn er sagt: „Weder der Holocaust noch die Fehler der Kirche in der Vergangenheit dürfen diese dazu bringen, den Juden das Beste vorzuenthalten: Das Evangelium von der Versöhnung mit Gott ...“ (105). Reichlich spät mahnt er an: „Das christliche Zeugnis für Israel sollte immer von einer Haltung der Buße bestimmt sein“ (111), und es „sollte bestrebt sein, die Fehler der Kirche in der Vergangenheit wiedergutzumachen“. Von einer längst überholten Ekklesiologie und Soteriologie zeugt die Aussage: Auch Juden „brauchen das Opfer Christi für ihre Rechtfertigung“ (61). Christlicher Triumphalismus scheint neu ins Kraut zu schießen, wenn Hornung aus dem „Thailand Report on Jewish People“ (1980) zitiert „daß Errettung alleine in Christus gefunden wird“, und anschließend mit David Stern zur Evangelisierung der Juden aufruft (59). Hans Joachim Iwand hat nach der Schoa „Bußfertigkeit und Selbstkritik“ der Christen angemahnt. Er sprach von fehlender Scham und beobachtete nach wie vor eine christliche Hybris dem jüdischen Volk gegenüber. Es reicht nicht aus, die alte Substitutionstheologie zu verwerfen (19 ff.), denn damit sind die Gefahren, das historisch gewachsene und gegenwärtige Judentum als defizitär und depraviert hinzustellen, noch längst nicht gebannt. Sensibel gilt es dagegen die „Angst des rabbinischen Judentums“ wahrzunehmen. Akzente der noch zu formulierenden Theologie messianischer Juden sind auf jeden Fall von den Kirchen ernst(er) zu nehmen. Wie heikel die Frage nach den Ansätzen und Praktiken herkömmlicher „Judenmission“ erscheint, liegt bei jeder Seite dieses Buches auf der Hand.
Dieter Krabbe
Jahrgang 6/1999 Seite 211