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Kolb, Stephan / Seithe, Horst / IPPNW (Hg.)

„Medizin und Gewissen“

50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozeß — Kongreßdokumentation. Mabuse Verlag, Frankfurt a. M. 1998. 476 Seiten.

Nürnberg ist die Stadt, in der 1935 die nationalsozialistischen Rassengesetze proklamiert wurden. 1942 wurden in Nürnberg die Ergebnisse der entsetzlichen, menschenverachtenden medizinischen Experimente an einer wissenschaftlichen Konferenz diskutiert. Nach Abschluß des Zweiten Weltkrieges fanden die Nürnberger Prozesse statt. Gleichfalls in Nürnberg tagte vom 25. bis 27. Oktober 1996 der Internationale Kongreß „Medizin und Gewissen. 50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozeß“ (vgl. meinen Bericht „Erweiterndes Erinnern“, FrRu 4[1997]183-191). Das vorliegende Buch dokumentiert einen Querschnitt dieses Kongresses. Eine umfassende Dokumentation des Kongresses soll demnächst im Internet verfügbar sein.

Im ersten Kapitel, In das nationalsozialistische Unrechtssystem verstrickt, geht es um ärztliche Praxis unter den Rassengesetzen von 1935, Euthanasie, das Verhältnis nicht-jüdischer deutscher Ärzte zu ihren jüdischen Kollegen, Psychiatrie, den Wandel des Roten Kreuzes zum Braunen Kreuz und die Bereitschaft der Ärzte zu Anpassung und Widerstand. Unter dem Titel Opfer und Täter in einer Medizin ohne Menschlichkeit werden Zeugnisse von Betroffenen und ihren Nachkommen präsentiert. Darunter finden sich persönliche Schilderungen von zwangssterilisierten Frauen und von Euthanasiegeschädigten, Berichte über die psychischen Folgen für Kinder der NS-Täter und Kinder der Opfer, sowie Zeugnisse der Bitterkeit, welche die zu spät gekommene Wiedergutmachung bei den Nachgeborenen noch heute verursacht. Im dritten Teil, Die Medizin auf der Anklagebank, wird über Menschenversuche und Menschenopfer nachgedacht. Hier wird aber auch Kritik geübt am Nürnberger Ärzteprozeß und am ,Vergessen mit System‘. Auswirkungen der Tabuisierung des Geschehenen durch die deutsche Ärzteschaft und Folgen für die ärztliche Biographik werden dargelegt. Das Kapitel Die immanenten Gefährdungen der modernen Medizin befaßt sich mit berufspolitischen Fragen im Zusammenhang mit Bioethikkonventionen, mit Gendiagnostik und -therapie und pränataler Medizin, mit Transplantationsmedizin, mit Krankheit und Profit etc. Dieser äußerst differenzierte und kritische Brückenschlag von der NS-Medizin zu heutigen Handhabungen bestimmter medizinischer Probleme mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen mündet ein in gehaltvolle Nachbetrachtungen. Der vorliegende Kongreßband stellt eine vielschichtige, informative und teilweise aufwühlende Auseinandersetzung der Autoren mit der Vergangenheit dar. Das lesenswerte Werk enthält einen Anhang mit der Nürnberger Erklärung vom 27.10.1996, dem Moratorium für Gentests, der Resolution zu Sterbehilfe-Richtlinien und Informationen in eigener Sache der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung).

Silvia Käppeli


Jahrgang 6/1999 Seite 212



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