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Gottfried Mehnert

Wilhelm Freiherr von Pechmann: Sein Eintreten für die Juden 1933-1945

Der deutsche Widerstand im Dritten Reich war, wie der kanadische Widerstandsforscher Peter Hoffmann in der X. Königswinterer Tagung der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli“ im November 1997 hervorhob (vgl. FrRu 5[1998]230-232), weitgehend von Einzelpersonen getragen. Das erklärt, weshalb neben den bekannten Persönlichkeiten des Widerstands zahlreiche kaum bekannte oder unbekannte Frauen und Männer stehen. Eine dieser Persönichkeiten ist Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859-1948).1

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, war Baron von Pechmann bereits über siebzig Jahre alt. Von Anfang an war er ein entschiedener Gegner des nationalsozialistischen Regimes. Als politisch Konservativer war er vor dem Ersten Weltkrieg Vorsitzender der Deutschen Reichspartei in Bayern. Nach dem Krieg gehörte er kurze Zeit der Bayerischen Volkspartei an und war Abgeordneter des Bayerischen Landtags, trat jedoch schon Mitte 1919 wieder aus, weil er seine „Hoffnung auf fortschreitende Zusammenfasung der volks- und staatserhaltenden Kräfte beider christlicher Bekenntnisse „völlig gescheitert“ sah.2

In den folgenden Jahren hat sich Freiherr von Pechmann, der sich selbst als „entschiedenster Anhänger eines unkonfessionalistischen Luthertums“3 bezeichnet hat, besonders intensiv in der evangelischen Kirche engagiert. Der Synode seiner bayerischen Heimatkirche hatte er schon seit 1901 angehört, 1919-1922 als deren Präsident. Er war maßgeblich an der Schaffung des Deutchen Evangelischen Kirchenbundes beteiligt und hat vor allem dessen Verfassung mitgestaltet. Als Präsident der Deutschen Evangelischen Kirchentage hatte er sich hohes Ansehen erworben und unterhielt Kontakte zur Ökumenichen Bewegung und zum Weltluthertum. Darüber hinaus genoß er in der kaholischen Kirche hohe Achtung; er stand besonders in den Jahren nach 1933 in Kontakt mit Bischof Clemens August Graf von Galen in Münster, mit dem Erzbischof von München-Freising, Michael Kardinal Faulhaber, und dem Regensburger Bischof Michael Buchberger.

Kirchlich wie auch politisch stand Freiherr von Pechmann in bewußter Opposition und entfaltete in den Jahren seit 1933 eine umfangreiche Korrespondenz. An Martin Rade4 (1857-1940), den einstigen Professor für Systematiche Theologie in Marburg und 1886 Mitbegründer sowie Schriftleiter (bis 1932) der liberalprotestantischen Zeitschrift „Die Christliche Welt“, schrieb er am 8. September 1934:

„... wie glücklich wird ein späterer Kirchengeschichtsschreiber über jeden einzelnen von denen sein, die auch vor dem Baal dieser Zeit ihre Knie nicht gebeugt haben.“5

Klaus Scholder6 hat darauf hingewiesen, daß er „wohl überhaupt der erste unter den führenden deutschen Protestanten“ war, „der die Dinge richtig sah. Er sprach von dem ,Meer von Haß und Lüge unserer Tage‘, zu dem die Kirche unter allen Umständen etwas sagen müsse“.7 Das war in der Sitzung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses am 2./3. März 1933, in der der württembergische Kirchenpräsident Theophil Wurm von einer „Eingabe von einer Reihe von Damen“ (genannt wird Agnes von Zahn-Harnack) berichtete, die u. a. darum baten, daß der Kirchenausschuß seine Stimme öffentlich erheben solle gegen den „Kampf gegen unsere jüdischen Volksgenossen, der nicht nur unsere Volksgemeinschaft zerstöre, sondern den man nur als eine fortgesetzte Übertretung des obersten Gebotes des Christentums ansehen könne“.8

Für Wilhelm von Pechmann ging es erstens um die Erhaltung der Struktur des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes und gegen dessen Umgestaltung in eine „Reichskirche“ und, zweitens, um die Korrumpierung des Rechtes und das Unrecht an den Juden in Deutschland. Bereits in der Woche vor dem 1. April 1933, in der der Boykott jüdischer Geschäfte öffentlich angekündigt worden war, wandte sich von Pechmann telefonisch an den Direktor des Bundeskirchenamtes Oberkonsistorialrat Johannes Hosemann und an Präsident Dr. Hermann Kapler, den Vorsitzenden des Bundeskirchenausschusses, mit dem eindringlichen Ersuchen, sich dafür einzusetzen, daß die evangelische Kirche gemeinsam oder parallel mit der katholischen Kirche gegen die Boykottmaßnahmen ein entschiedenes Wort spreche.9 Hier wird schon deutlich, daß Freiherr von Pechmann (wie schon 1918/19) für das gemeinsame Handeln beider Kirchen, für eine „Sammlung aller Gläubigen zur Abwehr des antichristlichen Ansturms“10 eintrat. Am 5. April schrieb er an den Regensburger Bischof Michael Buchberger, daß er bisher das Ansinnen, „einem Schutzbunde für die Juden beizutreten“, abgelehnt habe, weil er meinte, daß die Christen bedürftiger wären als die Juden, daß er aber nun der Überzeugung sei, daß „die christlichen Kirchen etwas von der Funktion übernehmen sollten, die ehedem jener Schutzbund zu erfüllen bemüht war“.11

Für den 25. April war eine außerordentliche Sitzung des Kirchenausschusses in Berlin anberaumt worden, bei der die Selbständigkeit der Kirche und die Judenfrage zur Debatte standen. Wilhelm von Pechmann fühlte sich gedrängt, in einem Brief vom 12. April12 an den Präsidenten des Kirchenausschusses, Kapler, „einer gewissen Sorge Ausdruck zu geben“.

„Ich denke ... an die in wechselnden Formen immer noch fortgehende Bewegung gegen die Juden. Im weitesten Maße richtet sich diese Bewegung gegen Angehörige unserer eigenen Kirche, ... und sie hat über ungezählte Familien, die sich mit vollem Recht christlich nennen, namenloses Leid gebracht. Angstvoll warten diese unsere Kirchenmitglieder von einem Tag zum anderen auf ein Wort ihrer Kirche, welche ihnen, wie sie mit vollem Recht annehmen, schuldig ist, sie zu schützen. Aber darüber hinaus kann und darf die Kirche auch zu dem nicht schweigen, was unter Verletzung christlicher Gerechtigkeit und Liebe gegen jüdische Volksgenossen geschehen ist und geschieht. Auch hier hat die Kirche eine Mission zu erfüllen, der sie sich nicht entziehen kann, ohne sich selbst untreu zu werden: gar nicht zu reden von den ebenso verhängnisvollen wie unausbleiblichen Rückwirkungen, welche ein längeres Schweigen unserer Kirche auf ihre Stellung im Ganzen der ökumenischen Christenheit nach sich ziehen muß.“

In einer Nachschrift erinnert von Pechmann, daß er vierzehn Tage zuvor dringlich gebeten hatte, gemeinsam mit der katholischen Kirche gegen die Judenverfolgung aufzutreten.

Die Sitzung stand unter keinem guten Stern, denn wenige Stunden vorher hatte eine Unterredung Kaplers mit Hitler stattgefunden, in der die Judenfrage „nicht namentlich erwähnt“ wurde. Im Vordergrund stand die Frage der Unabhängigkeit der Kirche. In der Ausschußsitzung am 26. April 1933 hat Wilhelm von Pechmann verzweifelt, aber vergebens, darum gekämpft, seine Erklärung zur Judenfrage durchzusetzen.

  1. Wir bekennen uns ohne Unterschied der Abstammung zu allen Gliedern unserer Kirche, auch und gerade auch zu denen, die ganz oder teilweise jüdischer Abstammung sind. Wir fühlen mit ihnen und wir werden für sie eintreten bis zu den Grenzen des Möglichen.
  2. An die Träger der öffentlichen Gewalt aber richten wir die ernste Mahnung, bei allem, was zur Abstellung von Mißständen geschehen soll, die Grenzen nicht zu überschreiten, die durch die Gebote der Gerechtigkeit und der christlichen Liebe gezogen werden.

Tief enttäuscht hat er daraufhin in einem Brief an Präsident Kapler seinen Austritt aus dem Kirchenausschuß und aus dem Kirchentag erklärt. An Propst Dr. Per Pehrsson in Göteborg schrieb er am 10. Mai 1933, er habe

„... alles aufgeboten, um wenigstens in der Judenfrage ein klares Wort herbeizuführen, mit welchem sich die Kirche zu ihren eigenen Angehörigen jüdischer Abstammung bekennen, aber auch für unsere jüdischen Volksgenossen Gerechtigkeit und christliche Liebe verlangen sollte“.13

Auch nach seinem Austritt versuchte Pechmann weiterhin die Leitung des Kirchenbundes zu einer öffentlichen Äußerung in der Judenfrage zu bewegen. So schrieb er am 7. Juni 1933 an den Direktor des Kirchenbundesamtes Hosemann unter Bezugnahme auf Veröffentlichungen der New York Times, besonders auf eine Petition, die im Namen von 26 Denominationen von 1200 amerikanischen Geistlichen unterschrieben worden ist:

„Das verhängnisvolle Schweigen, das ich in der Sitzung vom 26. April vergeblich bemüht war, zu durchbrechen, wird sich angesichts solcher Schritte der amerikanischen Geistlichen schwerlich mehr aufrecht erhalten lassen. Freilich ist es heute unvergleichlich viel schwerer, das rechte Wort zu finden ... Und doch wird man, wie ich glaube, schlechterdings gezwungen sein, jenes Schweigen nun endlich, endlich zu brechen.“14

In den Jahren 1933 und 1934 bemühte sich Freiherr von Pechmann, bis an die höchsten Stellen des Staates vorzudringen. Nach der Wahl des Königsberger Wehrkreispfarrers und — seit Mai 1933 — Hitlers Kirchenbeauftragten Ludwig Müller zum Reichsbischof (vgl. FrRu 5[1998]221 f.) wandte sich Pechmann am 1. Oktober 1933 mit einem Brief an den neuen Reichsbischof, in dem er um einen Empfang bittet und zugleich seinen Austritt aus der Deutschen Evangelischen Kirche ankündigt. Bei der Unterredung am 17. Oktober las Pechmann ein Memorandum „Zur kirchlichen Lage“15 vor. Eingangs wies er hin auf das Konkordat mit der katholischen Kirche, das „den Ansprüchen und Forderungen der katholischen Kirche vollauf gerecht wird“. Der letzte Absatz der „Verbalnote“ richtete sich mit deutlichen Worten gegen die „ausgesprochene Politisierung“ der Kirche.

Am 2. April 1934 erklärte Pechmann in einem auch in kirchlichen Zeitschriften veröffentlichten Brief an den Reichsbischof seinen Austritt aus der Deutschen Evangelischen Kirche. In der Begründung erwähnt er nicht nur die „Vergewaltigung der Kirche“, sondern auch das Schweigen der Kirche „zu all dem Jammer und Herzeleid, das man ... in ungezählte ,nichtarische‘ Herzen und Häuser, christliche und jüdische, getragen hat“. Es hat ihn offensichtlich schwer belastet, daß er mit dem Antrag zur „Judenfrage“ nicht hatte durchdringen können. Besonders enttäuscht hatte ihn, daß er bei dem liberalprotestantischen Professor Arthur Titius, mit dem ihn „ein besonderes herzliches Verhältnis gegenseitigen Vertrauens verbunden“ hatte, keine Unterstützung fand. Die Niederschrift der Verhandlungen des Kirchenausschusses vom 26. April 1933 erwähnt, daß Titius zwar „der Sache nach“ von Pechmann zustimmte, aber es als „schwierig“ ansah, „einer besonderen Behandlung der Judenchristen das Wort zu reden, da dann der Zustrom zum Christentum in verhängnisvoller Weise verstärkt werden könnte“.16

In einem Brief an Rade geht Pechmann auch auf seine persönliche Stellung zur „Judenfrage“ ein. Er sei „zwar nie, auch nicht zu Stoeckers Zeiten, ausgesprochener Antisemit“ gewesen, „noch weit weniger jedoch Philosemit, und niemand ist wohl allen Übergriffen und Überheblichkeiten der Juden bestimmter entgegengetreten als ich“. Doch dann fährt er fort:

„Aber mit der gleichen Bestimmtheit lehne ich die Art und Weise ab, wie im heutigen Deutschland die Juden und sonstigen Nichtarier behandelt werden ... Die materielle und seelische Not, welcher man die sogenannten Nichtarier ... unterschiedslos preisgibt, ist herzzerreißend. Die Verantwortung der leitenden Kreise ist unausdenkbar schwer und die Mitverantwortung der schweigenden Kirche ... ist erdrückend.“

Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchte Pechmann in zwei Briefen an Landesbischof Hans Meiser das Schweigen der Kirche zu überwinden.“17

„Kann und darf die Kirche schweigen? Nimmermehr! Sie kann und darf es vollends nicht, nachdem sich der Herr Ministerpräsident18 in seiner gestrigen Rede im Zusammenhang mit der ‚Judenfrage‘ ausdrücklich auf die Einsicht der Kirche berufen hat: in einer Form, welche nicht mehr und nicht weniger als die Erwartung, ja das Verlangen erkennen läßt, daß zu der ,gesetzlichen und harten Regelung der Judenfrage‘ die christliche Kirche mitwirke, die endlich das Wort Christi befolgen müsse: ,Mein Reich ist nicht von dieser Welt‘. Diese Rede kann nicht unbeantwortet bleiben.“

Wie früher schon, so drängte auch jetzt wieder Wilhelm von Pechmann darauf, daß „aus solchem Anlaß, in solcher Stunde die beiden christlichen Kirchen in Bayern gemeinsam oder doch so antworten wollten, daß über ihr volles Einvernehmen keinerlei Zweifel aufkommen kann“. Im zweiten Brief wiederholt von Pechmann seine eindringliche Bitte:

„Davon, ob heute die christliche Kirche schweigt oder spricht, hängt nicht zuletzt für die Seele der bis zur Unerträglichkeit schwer geprüften Juden unausdenkbar viel ab.“

Konkreter Anlaß für diese Mahnung war, daß in den „Kampf gegen die Juden“ auch „die katholische Kirche mit ihrem verehrungswürdigen Oberhirten hineingezogen“ worden war. Es könnte, so schrieb er dem bayerischen Landesbischof, zur Quelle reichen Segens werden, wenn

„unsere evangelische Kirche hier in Bayern den zweifachen Entschluß fände, sich erstens gegen die Judenverfolgung zu wenden, die für das deutsche Volk eine kaum wieder gutzumachende Niederlage ohnegleichen bedeutet, zweitens aber auch der katholischen Kirche zur Seite zu stehen, von welcher heute nicht politisiert, wohl aber — denken Sie nur an einen Mann wie Pater Rupert Mayer! — für das uns gemeinsame heilige Kreuz gekämpft wird“.

Im Juli 1937 hatte sich Wilhelm von Pechmann in einem Brief an den Staatssekretär im Reichsjustizministerium Dr. Franz Schlegelberger für den Jesuitenpater Rupert Mayer, für Martin Niemöller und für den Pfarrverweser Richard Dietz eingesetzt und zugleich in aller Deutlichkeit gegen das „Heimtücke-Gesetz“ gewandt.19

Ein letztes Mal beschwor Freiherr von Pechmann im November 1941 den bayerischen Landesbischof, die Kirche solle ihr Schweigen brechen. In seinem Brief vom 8. November 194120 erinnerte er Bischof Meiser an seinen Antrag vom 26. April 1933, den er im Wortlaut zitiert, und fährt dann fort:

„Was wir seitdem erlebt haben und immer von neuem erleben, geht über die Wahrnehmungen, welche mir diesen Antrag zur unabweislichen Pflicht gemacht hatten, weit, weit hinaus. Hemmungslos und ungehemmt wirkt sich eine Verfolgung aus, die immer neue Mittel erfindet, um wehrlose und schuldlose Christen jüdischer Abstammung ganz ebenso wie Juden dergestalt zu quälen, daß sich schon der gesunde Sinn unseres Volkes dagegen empört.“

Wiederum regte er an, daß die evangelische und die katholische Kirche gemeinsam auftreten sollten, und er drückt die Überzeugung aus, daß „vielen der treuesten Glieder unserer Landeskirche ein Stein vom Herzen fiele, wenn es endlich, endlich aus solchem Anlaß zu einem Zusammenwirken der christlichen Kirchen in Bayern käme“. Er war auch davon überzeugt, „daß auf katholischer Seite volle Bereitwilligkeit dazu vorhanden sein würde“, und er bot an, hierfür „Vermittlerdienste“ zu leisten. Eindringlich hielt er dem Landesbischof die Situation vor Augen:

„Es ist geradezu himmelschreiend, wenn man hört und sieht, daß neuerdings sämtlichen Juden ohne Ausnahme die Benützung der Straßenbahn verboten ist, daß aber die in Arbeit stehenden Juden trotzdem angehalten werden, ihre Arbeitszeiten genau einzuhalten. Auch die Sperrung der öffentlichen Anlagen, sogar des Hofgartens und der Maximiliansanlagen u.s.w. für Juden gehört zu den Dingen, die, vom christlichen Standpunkt gar nicht zu reden, schon aus Gründen der Menschlichkeit geeignet sind, nicht weniger den deutschen Namen zu belasten, als die Opfer eines derartigen Sadismus zu Verzweiflung zu treiben. Es fehlt, das sehen wir nur allzu deutlich, keineswegs an ernsten Zeichen, die dafür sprechen, daß die Leute, welche hinter dieser Judenverfolgung stehen, unter Umständen ganz ebenso gegen Christen vorgehen werden wie heute gegen die Juden. Wollen wir es darauf ankommen lassen, daß wir uns dann werden sagen müssen, wir haben es durch unser Schweigen verdient, daß es nun auch uns nicht besser geht?“21

Der Brief an Bischof Meiser schließt mit der „inständigen“ Bitte, „dieser Anregung Folge zu geben“.

Pechmann hatte seit Anfang März 1933 seine evangelische Kirche vergeblich gedrängt und beschworen, gemeinsam mit der katholischen Kirche gegen die Verfolgung der Juden einzutreten. Er hatte das Wesen des „totalen Staates“ als „Tyrannis“ und als Wirken des Antichrist erkannt. Das war für ihn der tiefste Grund, für die Gemeinsamkeit von Evangelischen und Katholiken einzutreten. An Bischof Graf von Galen schrieb er in einem Brief vom 28.2.1936:

„... in allem Gram dieser bösen Zeit ist es eine ganz große Freude meines Alters, daß ich mich mit allen Christgläubigen und wahrlich nicht zuletzt mit ihren Führern in der Katholischen Kirche um so enger und fester verbunden fühle und weiß, je deutlicher in den Erscheinungen der Zeit das Zeichen des Antichrists hervortritt.“22

Schon im Juli 1935 hatte er in einem Brief an den Berliner Bischof Graf von Preysing im Zusammenhang mit dem Kampf um die Erhaltung der Bekenntnisschulen hervorgehoben, daß es für die Kirche um die „Abwehr des ausgesprochenen und des verschleierten Antichristentums“ ginge.

Diese „eschatologische“ Sichtweise bestimmte letztlich auch seine Beurteilung der nationalsozialistischen Partei. In einem Brief an Hans Freiherr von der Goltz vom 1.4.193923 sprach er von der

„Unfehlbarkeit, welche heute eine ,Partei‘ in Anspruch nimmt und mit ,groß Macht und viel List‘ weit über alles hinaus, was ehedem die schlimmste Tyrannis auch nur geplant hätte, durch eine Hierarchie von größeren, kleineren und kleinsten Päpsten zu einer allumfassenden, alldurchdringenden Gewaltherrschaft ausbaut, an die ich ... doch in den bösesten Träumen nie von ferne gedacht hätte!“24

Zutiefst bekümmerte ihn die Blindheit so vieler engster Glaubensgenossen, die den Feind noch immer in der katholischen Kirche sahen und sich von allen seinen Vorhaltungen nicht beirren ließen „in ihren immer neuen Huldigungen für eine Partei“, die „undeutsch“ und „durch und durch widerchristlich“ war. Wo immer ihm in der evangelischen Kirche und besonders bei Theologen Bekundungen der „Loyalität gegen die erfolgreichen Träger der heutigen Staatsgewalt“25 begegnete, hat er offen und freimütig widersprochen. So auch in ei-nem Brief vom 5.6.1936 an Pfarrer Johannes Herz:

„Ich trage namenlos schwer an der Tyrannis von heute, ... aber am schwersten doch vielleicht an der Bereitwilligkeit, mit welcher weite Kreise und führende Männer unseres evangelischen Kirchenwesens jener Tyrannis huldigen, von der doch am Tage liegt, daß sie mit großer Macht und viel List zielbewußt darauf ausgeht, unser Volk, vor allem seine Jugend zu entchristlichen.“26

Wenige Wochen danach trat er der Bekennenden Kirche bei.

Nach allem, was Freiherr Wilhelm von Pechmann im Bemühen, seine lutherische Kirche zum Sprechen zu bewegen, erfahren hat, ist es verständlich, daß sich seine Bindung an seine Kirche zunehmend lockerte und daß er schließlich 1946 in die Kirche seiner Väter, die Katholische Kirche, „heimgekehrt“ ist.27 Doch auf dem Weg dorthin war er das vergeblich mahnende Gewissen seiner evangelischen Kirche, ein leuchtender Stern in dunkler Zeit.

  1. Der in Memmingen geborene Jurist war u. a. Vorstandsmitglied der Bayerischen Handels-bank (1889-1937) und Mitglied des ‚Centralausschusses‘ der Reichsbank. In der Evangelischen Kirche hat er vielfältige führende Positionen innegehabt.
  2. G. Mehnert, Kirche und Politik 1917-1919, Düsseldorf 1959, 166, 172.
  3. F. W. Kantzenbach, Widerstand und Solidarität der Christen in Deutschland 1933-1945. Eine Dokumentation zum Kirchenkampf aus den Papieren des D. Wilhelm Freiherr von Pechmann, Neustadt/Aisch 1971, 222 (folgend zit.: Kantzenbach, Widerstand).
  4. J. Rathje, Die Welt des freien Protestantismus. Ein Beitrag zur deutsch-evangelischen Geistesgeschichte. Dargestellt an Leben und Werk von Martin Rade, Stuttgart 1952.
  5. Kantzenbach, Widerstand, 90.
  6. Klaus Scholder, Die Kapitulation der Evangelischen Kirche vor dem nationalsozialistischen Staat, ZKG 81/1970; ders., Die Kirche und das Dritte Reich. Band 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934, Propyläen Verlag 1977 (folgend zit.: Scholder).
  7. Scholder, 290.
  8. Zit. nach Scholder, 290.
  9. Scholder, 338; auch der württembergische Kirchenpräsident Wurm und der Frankfurter Kirchenrat Johannes Kübel drängten auf eine öffentliche Erklärung; vgl. Scholder, 339 f.
  10. So in einem Brief an Bischof Graf von Galen vom 5.12.1934, zit. bei Kantzenbach, Wider-stand, VII.
  11. Kantzenbach, Widerstand, VII.
  12. a. a. 0.36 f.
  13. a. a. 0. 42.
  14. a. a. 0. 47.
  15. a. a. 0. 64 f.
  16. a. a. 0.297.
  17. a. a. 0.262 ff.
  18. Es handelt sich um den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert.
  19. Kantzenbach, Widerstand, 226 ff.
  20. a. a. 0. 314 f.
  21. Aus den von Kantzenbach edierten Briefen geht nicht hervor, ob von Pechmann von der Deportation der Juden Kenntnis hatte.
  22. a. a. 0.186.
  23. a. a. O. 273; v. d. Goltz war bis 1935 Oberkonsistorialpräsident der Rheinprovinz.
  24. Schon im September hatte v Pechmann in einem Brief an G. Kittel geschrieben. „... wie konnte es überhaupt dazu kommen, daß sich evangelische Theologen in so großer Zahl einer Partei verschrieben haben, welche dem Führer ihres ,totalen Staates‘ jedenfalls praktisch, im Grunde aber auch theoretisch eine Unfehlbarkeit zuschreibt, gegen die das unfehlbare Lehramt des Papstes wie ein blasser Schatten verschwindet.“
  25. a. a. 0. 174 (Brief an die Direktion der Diakonissenanstalt Düsseldorf-Kaiserswerth).
  26. a. a. O. 92.
  27. a. a. O. 326 in seinem Brief an die Theologische Fakultät Erlangen, deren Ehrendoktor er war.

Pastor em. Dr. theol. Gottfried Mehnert, Marburg, war 1958-1990 lutherischer Pfarrer in Kiel und von 1972-1990 geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein. Sein Beitrag wurde von der Redaktion leicht gekürzt.


Jahrgang 6/1999 Seite 241



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