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Paul Gerhard Schoenborn

Kaj Munk: Dänischer Pfarrer, Dichter und Märtyrer (1898-1944)

„Tödliche“ Protestpredigt

Am 5. Dezember 1943 fand im Kopenhagener Dom ein Protestgottesdienst statt. Die Predigt hielt Kaj Munk. Er handelte gegen das ausdrückliche Verbot der Behörden. Seine Predigt über Mt 25,1-13 war politisch brisant:

„Nur eins will ich sagen: Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi, die Barmherzigkeit, und das ist verabscheuungswürdig für jedes freie nordische Denken. Und die Kirche muß weitergehen, ohne sich beirren zu lassen. Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen. Denn ein christliches Volk, das tatenlos zusieht, wenn seine Ideale mit Füßen getreten werden, gibt dem tödlichen Keim der Verwesung Einlaß in seinen Sinn, und Gottes Zorn wird es treffen.“

Kaj-Munk-Denkmal
Kaj-Munk-Denkmal in Vederø
Foto: Paul Gerhard Schoenborn

Genau einen Monat später, am 5. Januar 1944, fand man bei Horbylunde Bakke Munks Leiche. Ein SS-Kommando hatte ihn am Abend zuvor in seinem Pfarrhaus in Vedersø verhaftet, abtransportiert und erschossen. Zurück blieben seine Frau und seine fünf kleinen Kinder.

Zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung lebten in Dänemark rund 8000 Juden, ungefähr 4500 davon waren Flüchtlinge aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Die dänische evangelische Kirche leistete humanitäre Hilfe während ihres Aufenthaltes und bei der Weiterreise. Der Plan der Deutschen, im Oktober 1943 auch Dänemark endlich „judenrein“ zu machen und die dänischen Juden der „Endlösung“ zuzuführen, hatte den Widerstand zu einer Sache weiter Kreise der dänischen Bevölkerung gemacht.1 Munks Predigt in Kopenhagen2 drückte aus, was viele empfanden: Was man mit unseren jüdischen Mitbürgern machen will, werden wir Dänen nicht hinnehmen.

Im Dänemark der dreißiger Jahre gab es nur vereinzelt antisemitische Äußerungen. Als Reaktion auf die Reichspogromnacht verabschiedete das dänische Parlament im Jahre 1939 eine Ergänzung zum dänischen Strafgesetzbuch. Danach wird jeder mit Gefängnis bestraft, der gegen irgendeinen Teil der dänischen Bevölkerung wegen dessen Religion, Abstammung oder Herkunft durch übles Nachreden oder falsche Behauptungen Hetze betreibt.

Dänemark und seine Juden unter deutscher Besatzung

Unter Bruch eines im Jahr zuvor geschlossenen Nichtangriffspaktes überfielen am 9. April 1940 deutsche Truppen das Land. Die dänische Regierung befahl — nach kurzem militärischen Widerstand — die Einstellung von Kampfhandlungen und arrangierte sich mit dem Aggressor. Dänemark erhielt daher zunächst einen Sonderstatus: König und Regierung blieben im Amt, ebenso alle Behörden, Armee und Polizei. Ein befriedetes Dänemark war für die deutsche Kriegswirtschaft wichtig: das Agrarland als Nahrungsmittellieferant, die Werften als Reparaturstätten für die deutsche Flotte, schwedisches Erz für die Rüstungsindustrie. Die Dänen sprechen heute von dieser Phase (9. April 1940 bis August 1943) als „Verhandlungszeit“, kritische Dänen von Kollaboration. Schikanierung oder Verfolgungen der dänischen Juden durch die Deutschen unterblieben. Sie hätten zum Rücktritt der Regierung, zu Un-ruhen im Lande und zur Gefährdung der Lieferungen nach Deutschland geführt. So unterblieb 1941 auch die Durchführung der Judensternverordnung.‘ Selbst der Führer der dänischen NS, Frits Clausen, riet davon ab.

Nach einer Welle von Sabotageakten der Freiheitskämpfer wurde am 29. August 1943 der militärische Ausnahmezustand über Dänemark verhängt, die Armee und die Polizei entwaffnet und interniert. Daraufhin trat die dänische Regierung zurück. Die Flotte entzog sich der Übergabe an die Deutschen durch Selbstversenkung. Kaj Munk bezeichnete in einer Predigt am 29. August 1943 diesen Tag als einen stolzen Tag für Dänemark. Die Phase der Kollaboration war vorbei.

Die deutsche Staatsführung und der zeitweilig entmachtete Bevollmächtigte des Deutschen Reiches in Dänemark, Werner Best,4wollten diese Situation für die bislang aufgeschobene Eliminierung der dänischen Judenschaft nutzen. Dänemark sollte endlich mit Gewalt „judenfrei“ gemacht werden. Nach Bests Vorschlag sollten die dänischen Juden über die Ostsee in die Vernichtungslager des Ostens abtransportiert werden. Als Termin der Aktion wurde die Nacht vom 1. zum 2. Oktober 1943 festgesetzt. Die Führung der deutschen Besatzungsarmee in Dänemark riet aber wegen der zu erwartenden Unruhen grundsätzlich ab und verweigerte im Vorfeld jegliche Hilfe zu diesem Unternehmen. Mit Wissen Bests verriet der Marinesachverständige der deutschen Botschaft in Kopenhagen, Georg Ferdinand Duckwitz,5 den Termin der Aktion an dänische Politiker und Repräsentanten der Freiheitsbewegung. Fast alle dänischen Juden wurden versteckt und größtenteils bei Nacht und Nebel und unter abenteuerlichen Verhältnissen über die Ostsee nach Schweden gebracht.

Tausende von Dänen beteiligten sich an diesen Untergrundaktionen. Voll Spott gegenüber dem Lebensmittelexport der Kollaborateure sprach man vom „Judenexport“. Die schwedische Regierung hatte sich dank der Bemühungen des dänisch-jüdischen Atomphysikers Niels Bohr, aber auch der Verhandlungen von Duckwitz — mit Wissen Bests — zur Aufnahme sämtlicher Flüchtlinge bereit erklärt. Best hat sich nach 1945 vor Gericht in Kopenhagen damit in ein gutes Licht gesetzt, daß er erklärte, er habe das Leben der dänischen Juden retten wollen. Tatsächlich hat er 1943, als die Verhaftung der Juden in der Beurteilung der deutschen Führung in Berlin als großer Fehlschlag gewertet wurde, einem Beamten des Auswärtigen Amtes erklärt, die Aktion sei im Endeffekt sehr erfolgreich gewesen, denn Dänemark sei jetzt völlig „entjudet“.6

Engagierter Protest der lutherischen Kirche und des Freiheitsrates

Die Empörung über die Durchführung der „Judenaktion“ markierte den Übergang von passivem zu aktivem Widerstand. Am 29. September 1943 ließen die Bischöfe der Dänischen Lutherischen Staatskirche durch die Regierung den Vertretern der Besatzungsmacht folgende Erklärung übergeben:

„Wenn eine Verfolgung von Juden aus rassischen oder religiösen Gründen er-folgt, ist es die Pflicht der christlichen Kirche, dagegen zu protestieren.

Erstens: Weil wir niemals vergessen dürfen, daß der Herr der Kirche, Jesus Christus, in Bethlehem von der Jungfrau Maria geboren wurde gemäß der Verheißungen Gottes an sein auserwähltes Volk Israel. Die Geschichte des jüdischen Volkes bis zur Geburt Christi enthält die Vorbereitung auf das Heil in sich, das Gott für die ganze Menschheit in Christus bereitet hat. Das wird durch die Tatsache verdeutlicht, daß das Alte Testament Teil unserer Bibel ist.

Zweitens: Weil eine Verfolgung von Juden in krassem Gegensatz zu den Werten der Humanität und der Nächstenliebe steht, die sich aus der Botschaft herleiten, die die Kirche Jesu Christi zu verkündigen hat. Es gilt kein Ansehen der Person vor Christus, und Er hat uns zu sehen gelehrt, daß jedes einzelne menschliche Leben vor Gottes Angesicht wertvoll ist (Galater 3,28).

Drittens: Weil es gegen das Rechtsbewußtsein verstößt, das im dänischen Volk gilt und das fest eingewurzelt wurde in den Jahrhunderten dänisch-christlicher Kultur. Auf Grund dessen wird in der Verfassung festgestellt, daß alle dänischen Bürger die gleichen Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben sowie eine garantierte Religionsfreiheit als das Recht, Gott zu verehren entsprechend ihrer Berufung und ihres Gewissens. Diese (Religions-) Freiheit garantiert, daß Rasse und Religion als solche niemals der Grund sein dürfen für die Beraubung der Bürgerrechte, der Freiheit oder des Eigentums. Trotz divergierender religiöser Anschauungen werden wir für unsere jüdischen Brüder und Schwestern kämpfen, daß sie dieselbe Freiheit behalten, die wir höher schätzen als das Leben.

Wir Leiter der dänischen Kirche besitzen ein klares Verständnis unserer Verpflichtung, gesetzestreue Bürger zu sein, die sich nicht unbedacht gegen die erheben, die die Macht über uns ausüben. Aber zur selben Zeit sind wir in unserm Gewissen gebunden, Gerechtigkeit zu verlangen und zu protestieren gegen jegliche Verletzung der bürgerlichen Rechte. Deswegen, sollte der Augenblick der Entscheidung kommen, werden wir unzweideutig das Wort befolgen, daß wir Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen.“

Im Namen der Bischöfe: H. Fuglsang-Damgaard7

Diese Protesterklärung war von einer Gruppierung politisch bewußter, kritischer Pfarrer zusammen mit Bischof Fuglsang-Damgaard erarbeitet worden. Sie wurde von den sieben Bischöfen der lutherischen Staatskirche an alle Pfarrer gesandt und am 3. Oktober von allen 1200 Kanzeln als Hirtenbrief verlesen — auch in der Kirche von Vedersø durch Kaj Munk. Am 4. Oktober 1943 verbreitete der dänische Freiheitsrat, der sich am 16. September 1943 konstituiert hatte, folgende öffentliche Erklärung aus dem Untergrund:

„Der dänische Freiheitsrat verurteilt scharf die Pogrome, die die Deutschen gegen die Juden in unserem Land in Gang gesetzt haben. Die Juden bilden innerhalb unserer dänischen Bevölkerung nicht eine abgesonderte, spezielle Kaste, sondern sie sind genau so dänische Bürger wie alle anderen. Mit den anti-jüdischen Pogromen beginnen die Deutschen somit, den dänischen Rechtsstaat und die dänische Rechtsordnung systematisch zu zerstören. Deswegen muß ab jetzt jeder Kontakt zwischen dänischen und deutschen Aktivitäten abgebrochen werden. Daher fordern wir hiermit jedes Mitglied der dänischen Verwaltung oder Polizei auf, alle Kooperation mit den Deutschen abzulehnen, und alle dänischen Arbeiter, jegliche Arbeiten für die Besatzungsmacht einzustellen oder zu verweigern.

Der Freiheitsrat stellt fest, daß die Deutschen wie üblich die Juden beschuldigen, hinter den Sabotageanschlägen und dem Aufruhr in Dänemark zu stehen, aber noch nicht einmal versucht haben, auch nur den geringsten Beweis für diese Behauptung zu erbringen. Wir Dänen wissen, daß die ganze Bevölkerung hinter dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer steht. Der Freiheitsrat ruft die dänische Bevölkerung auf, auf jede nur möglichen Weise den jüdischen Mitbürgern zu helfen, die noch nicht ins Ausland flüchten konnten. Jeder Däne, der es unternimmt, den Deutschen bei ihrer Menschenjagd zu hel-fen, ist ein Vaterlandsverräter und wird als solcher bestraft, wenn Deutschland niedergerungen ist.“8

Das deutsche Militär begünstigte größtenteils die dänischen Rettungsaktionen, obwohl auch von Brutalitäten der deutschen Einsatzkommandos berichtet wird. Als die Polizeiaktion begann, hatten die deutschen Einsatzgruppen den Befehl, nur einmal an jüdischen Wohnungstüren zu klingeln und nicht mit Gewalt in die Wohnungen einzudringen. So wurden statt der ungefähr 8000 dänischen Juden nur an die 600 verhaftet, meist alte, gebrechliche oder mittellose Leute, von denen wiederum ein Teil entkommen konnte. Wegen der Proteste der Bevölkerung wurden die restlichen 481 in deutscher Hand befindlichen dänischen Juden nicht in die Vernichtungslager im Osten, sondern 454 von ihnen zunächst nach Theresienstadt gebracht. Dort wurden sie mehrfach von Delegationen des Internationalen Roten Kreuzes besucht. Ungefähr 20 dänische Juden wurden nach Ravensbrück und Sachsenhausen abtransportiert; drei jungen Männern gelang unterwegs die Flucht.

Aufgrund massiver dänischer Proteste reiste Adolf Eichmann am 2. November 1943 nach Kopenhagen und sagte Best zu, daß dänische Juden über 60 Jahren nicht mehr festgenommen würden, Halbjuden und Juden in Mischehen nach Dänemark zurückkehren und daß die dänischen Juden in Theresienstadt bleiben könnten und nicht „in den Osten“ weiter transportiert würden. Noch 1960 vor Gericht in Jerusalem ärgerte er sich: „Dänemark hat uns mehr Schwierigkeiten bereitet als jedes andere Land.“ Von den verschleppten dänischen Juden überlebten 431. Die im KZ starben, erlagen normalen Krankheiten. Als Fazit bleibt: Fast die gesamte dänische Judenschaft — ungefähr 7500 Menschen — entkam dem Holocaust, weil sich die Dänen vor ihre jüdischen Volksgenossen stellten.

Ein in seiner Bedeutung bisher unzureichend herausgestellter Faktor bei der Sensibilisierung der dänischen Öffentlichkeit stellt die prophetische Botschaft des Pfarrers und Dichters Kaj Munk dar. Unermüdlich protestierte er gegen die ideologische Verherrlichung der nordischen Rasse, gegen die Judenverfolgungen im deutschen Machtbereich seit 1933 und dagegen, daß im deutschen Protestantismus die Einsicht weithin fehlte, daß Jesus von Nazaret ein Jude war und die Judenverfolgungen sich also gegen die Geschwister Jesu richteten.

Leben und Werk Kaj Munks

Kaj Munk wurde am 13. Januar 1898 in Maribo auf Lolland geboren. Beide Eltern starben kurz hintereinander als Kaj noch sehr jung war. Er wurde von kinderlosen Verwandten, Kleinbauern in Opager bei Maribo, adoptiert. Die Freude an Gottes Wort und die standfeste Gläubigkeit seiner neuen Eltern prägten ihn entscheidend. Sein Lehrer in der Volksschule, Mart Wested, und ein junger Pastor in der Gemeinde, Oscar Geismar, erkannten seine Begabung und förderten sein literarisches Talent. Ihnen verdankt er die Ehrfurcht vor den christlichen Werten und die Freude an Menschheitsgeschichte und Literatur. Schon als junger Mensch verfaßte Kaj Munk beachtliche Texte: Balladen, Gedichtzyklen, Dramen. Von Januar 1924 bis zu seiner Ermordung im Januar 1944 lebte und arbeitete er hingebungsvoll als Pfarrer in Vedersø bei Ulfborg, einer kleinen Landgemeinde direkt an der Nordsee. Bis heute erzählt man sich dort Geschichten, die man mit Pastor Munk erlebte. Aber er führte auch in der Abgeschiedenheit der kargen Dünenlandschaft seine literarischen Arbeiten weiter. Im Jahre 1928 spielte das Königliche Theater in Kopenhagen erstmals sein Bühnenstück „Ein Idealist“ über Herodes den Großen. Zwei weitere Schauspiele begründeten seinen Ruhm als Dramatiker in ganz Skandinavien: „Das Wort“, das vom unfaßbaren, frühen Sterben, vom Glauben an das Wunder der Auferweckung, von Vernunft und Wahnsinn handelt, und „Han sidder ved Smeltediglen“ — „Er sitzt am Schmelztiegel“ (1938), das die menschenverachtende Verfolgung der deutschen Juden zum Thema hat. Der „Schmelztiegel“ zeigt den hoffnungslosen Versuch nationalsozialistischer Gelehrter, nachzuweisen, Jesus von Nazaret sei ein reinrassiger Arier gewesen. Kaj Munk stellte das Stück in zahlreichen öffentlichen Lesungen zur Diskussion. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs hatten mehr als 160 000 Dänen den „Schmelztiegel“ gesehen.

Der Konflikt des Theaterstücks besteht darin, daß eine antike jüdische Tonskulptur eindeutig als die früheste Abbildung Jesu, des Juden aus Nazaret, identifiziert wird — und das von der deutsch-jüdischen Archäologin Sarah Levi, die unter falscher Identität als Fräulein Schmidt an der Berliner Universität arbeitet. Sarah, als das leidende Israel, hält dem antisemitischen Archäologieprofessor Mensch vor: „Ich habe gegen die ganze Welt vier Jahrtausende ausgehalten. Schleppt mich nach Golgota, so oft ihr wollt. Ich erhebe mich vom Tode und stehe wieder auf zu neuem Leben. Denn Jehova ist der Gott des Lebens.“ Zuletzt zerstört der Professor das tönerne Bildnis des Juden Jesus vor den Augen Hitlers und gibt bekannt, daß er — dem Führer und den Nürnberger Rassengesetzen zum Trotz — die Jüdin Sarah Levi heiraten wird. Ein überaus wirkungsvoller, überraschender Schluß.9

Bekenntnis zum jüdischen Jesus

In den dreißiger Jahren war Kaj Munk ein viel gelesener Kolumnist in den großen dänischen Tageszeitungen. Hitler sah er von Anfang an kritisch wegen der Terrorisierung der Juden. Das Rassedenken erschien ihm absurd. In den theologischen Äußerungen der „Deutschen Christen“ sah er nichts als Häresien. Am 29. November 1936 veröffentlichte er unter dem Titel „Das christenfeindliche Deutschland“ eine ironische Auseinandersetzung mit dem Buch des deutschen Erfolgsautors Gustav Frenssen:10 „Der Glaube der Nordmark“.

Darin rechnet er mit dem Versuch Frenssens ab, die unauflösliche Verbindung zwischen Israel und den Christen, zwischen dem christlichen Gottesglauben und dem Juden Jesus von Nazaret wegzuinterpretieren.

Munks Bekenntnis zu Jesus, dem Juden, war Kern und Stern seines Glaubens, seiner Predigten, seiner politischen Kommentare und seiner Dichtkunst. Als die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“ 1936 gegen Munk polemisierte, sein „Geschmiere stünde jüdischen Schmierereien nicht nach“, schrieb er sarkastisch an das Kirchenministerium in Kopenhagen, das von ihm eine Stellungnahme dazu erbat:

„Nun aber wird mir also aus Deutschland mitgeteilt, daß der munksche Geist jüdischer Asphaltliteratur gleichkomme, von diesem Deutschland, das sich — mit Herrn Streicher an der Spitze — in Ausdrücken gefällt, für die „Lokusschmierereien“ noch ein zahmer Ausdruck ist. Von einem gewissen Zimmermann — Gott verzeih ihm, er war nur ein Jude! — habe ich das Asphalt-Auftreten gelernt, und weiter, ... daß man sowohl von denen mißverstanden werden kann, denen Gott das Verständnis verwehrt hat, wie auch von denen, die der Teufel mit gutem Willen zum Mißverständnis ausgestattet hat.“

Am 17. November 1938, eine Woche nach der Reichspogromnacht, erschien in der „Jyllands-Posten“ Munks offener Brief an Mussolini. Darin bat er ihn, Hitler von den Judenverfolgungen abzubringen und sich an die Spitze einer weltweiten Bewegung zu stellen, den Juden in Palästina zu einem eigenen Staat zu verhelfen. Der eigentliche Adressat des Textes war natürlich die dänische Öffentlichkeit.

Kaj Munks mutige politische Predigten und seine unmißverständlichen Aufrufe zum Sturz Hitlers waren einem großen Leserkreis zugänglich. Zahlreiche Exemplare seiner Predigtsammlungen gelangten auch nach Norwegen, sogar bis in die Zellen der politischen Gefangenen im Osloer Gestapo-Gefängnis Grini, und ermutigten die dortigen Christen im Widerstand. Daß er sich durch seine Predigten in Lebensgefahr brachte, war Kaj Munk wohl bewußt. Munk liebte das Leben, aber er konnte die Wahrheit auch nicht verschweigen.

„Die Kirche ist der Ort, wo das Unrecht in den Bann getan, die Lüge entlarvt, die giftige Bosheit angeprangert werden muß — der Ort, wo Barmherzigkeit geübt werden soll als Quelle des Lebens, als Herzschlag der Menschheit.“

Im dänischen Volk ist er als christlicher Märtyrer des politischen Widerstands unvergessen. Im deutschsprachigen Raum — mit Ausnahme der Schweiz — blieb Kaj Munk weithin unbekannt.

  1. Zum Thema „Rettung der dänischen Juden“ vgl.: Jurgen Glenthoj, The Little Dunkerque: The Danish Rescue of the Jews in Oct. 1943, in: Michael D. Ryon (Ed.), Human Responses to the Holocaust: Perpetrators and Victims, Bystanders and Resisters, Papers of the 1979 Bernhard E. Olson Scholars‘ Conference on the Church Struggle and the Holocaust, The Edwin Mellem Press, New York and Toronto 1980, 93-119; sowie Königlich Dänisches Ministerium des Äußeren und das Museum des dänischen Widerstandes 1940-1945 (Hg.), Oktober 1943: Die dänischen Juden – Rettung vor der Vernichtung, Kopenhagen 1993.
  2. Zu Person, Lebenswerk und Märtyrertod Kaj Munks vgl. das Kapitel „Kaj Munk – Märtyrer um des offenen Wortes willen“ in: Paul Gerhard Schoenborn, Alphabete der Nachfolge — Märtyrer des politischen Christus, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1996, 48-78.
  3. Daß König Christian X. androhte, auch er und die Minister seiner Regierung würden den Judenstern tragen, falls die entsprechende Verordnung nicht zurückgenommen werde, ist wohl nur eine im Kern richtige Legende. Das Diktum läßt sich nicht belegen; vgl.: Jergen Glenthaj, a. a. O. 98. Es war aber bekannt, daß sich König Christian X. eindeutig vor die dänischen Juden stellte. Kurz vor der deutschen Judenaktion am 1./2. Oktober 1943 richtete der König ein scharfes Schreiben über den Reichsbevollmächtigten Best an den deutschen Außenminister Ribbentrop. Darin heißt es: „Nachdem mir bekannt geworden ist, wonach man deutscherseits beabsichtigt, Schritte gegen die Juden in Dänemark zu unternehmen, ist es mir, nicht nur aus menschlicher Sorge für die Bürger meines Landes, sondern auch aus Furcht vor den weiteren Konsequenzen in den künftigen Beziehungen zwischen Dänemark und Deutschland, sehr daran gelegen, Ihnen gegenüber hervorzuheben, daß Sondermaßnahmen gegen eine Gruppe von Menschen, die seit mehr als 100 Jahren die vollen bürgerlichen Rechte in Dänemark genießen, die schwersten Folgen haben könnten.“
  4. Zur Rolle von Best vgl.: Ulrich Herbert, Best – Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn, 2. Auflage 1996, besonders 323-434; ferner: Siegfried Matlok (Hg.), Dänemark in Hitlers Hand. Der Bericht des Reichsbevollmächtigten Werner Best über seine Besatzungspolitik in Dänemark, Husum-Verlag, Husum 1988; sowie: FrRu 4(1997)285-286.
  5. Zu Duckwitz vgl.: Johannes Dose, Georg Ferdinand Duckwitz in Dänemark 1943-1945, 2. erweiterte Auflage, Reihe: Berichte und Dokumentationen, hg. vom Auswärtigen Amt, Bonn 1992.
  6. Ulrich Herbert, Best, Kapitel „Forschung und Legenden“, 368-373, besonders 370, Aktennotiz von F.-A. Six über ein Gespräch mit Best vom 25.10.1943.
  7. In: Jergen Glenthej, Kirkelige Dokumenter fra Besaettelsestiden, Selbstverlag des Herausgebers 1985, 10 f.; zur Vorgeschichte: Henrik Fossing, Die Haltung der dänischen Kirche gegenüber der Obrigkeit während der deutschen Besetzung (1940-1945), in: Ulrich Duchrow (Hg.), Zwei Reiche und Regimente: Ideologie oder evangelische Orientierung? Internationale Fallbeispiele zur Theorie und Praxis lutherischer Kirchen im 20. Jahrhundert, Gütersloh 1977, 97-118, bes. 108-113.
  8. Jørgen Glenthøj, The Little Dunkerque, 109 f.
  9. Kaj Munks Schauspiel „Er sitzt am Schmelztiegel“ wurde am 9. November 1996 erstmalig in Essen in einer deutschen Inszenierung aufgeführt und seitdem in vielen west- und süddeutschen Städten, meist in Kirchengemeinden oder Gesellschaften für den Christlich-Jüdischen Dialog. Interessenten für weitere Aufführungen können sich wenden an: Isabel K. Sandig, Bochumer Str. 9-11, 45276 Essen, Tel./Fax: (0201) 5 14 66 30.
  10. Zu Frenssen: Rainer Lächele, Germanisiertes Christentum – Der Bestseller-Autor Gustav Frenssen, in: Evangelische Kommentare, Stuttgart 2/1997,107-109.

Paul Gerhard Schoenborn, Bochum, ist evangelischer Theologe und Autor zahlreicher Sachbücher und Medienpakete zu Themen der politischen Theologie. Er ist Mitglied der dänischen Kaj-Munk-Gesellschaft und hat mehrere Dramen Munks ins Deutsche übersetzt. Der Artikel, hier leicht gestrafft, erschien in: impressum, Heft 7 (1997), 259-269.


Jahrgang 6/1999 Seite 250



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