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Childs, Brevard S.

Die Theologie der einen Bibel

Band 2. Aus dem Englischen von Christiane und Manfred Oeming. Herder, Freiburg 1996. 495 Seiten.

In seiner Summe biblischer Theologie wendet sich Childs den Themen einer ganzheitlichen christlichen Theologie der einen Bibel zu. Die Identität Gottes, so Childs, deckt ein breites und in sich widersprüchliches Spektrum menschlicher Erfahrungen ab, die aber alle diese Identität zu wahren versuchen. Die Erwählung Israels wird innerhalb des Nachdenkens über die Identität Gottes als Manifestation der Freiheit Gottes in Liebe interpretiert (Dtn 7,6 ff.). Die Frage nach Gottes Leiden und Leidensfähigkeit Jes 63,9) ist die systematische Verbindung vom Ersten zum Neuen Testament über das rabbinische Judentum, vor allem für den Bereich der christologischen Bekenntnisformulierung. Die Aufgabe einer biblischen Theologie besteht laut Childs darin, das Glaubenszeugnis beider Testamente in ihrer theologischen Spannung zu reflektieren. Der eine Gott der Bibel ist demnach kein theologisches Konzept, sondern Wirklichkeit, Ereignis konkreter Gottesoffenbarung. Gottes Schöpfung ist deshalb auch keine sich selbst genügende Handlung, sondern zielt auf Befreiung, auf Erlösung des Kreatürlichen. Christologisch wird dieser Vorgang im Symbol der Neuschöpfung gedeutet. Beim Thema Bund, Erwählung, Volk Gottes geht es darum, Israels religiöses Wachstum in seinem authentischen historischen Wachstum zu rekonstruieren. Weil Gott sein Volk liebt, erwählt er es. Damit wird die Tendenz der Schöpfung verbunden, Erlösung für die ganze kreatürliche Welt zu bringen.

Das Neue Testament interpretiert Erwählung unter der universalen Perspektive, die Heiden in das Gottesvolk zu integrieren. Es entstand ein Volk Gottes mit zwei Teilen, mit einer je eigenen Berufung und Berufungsgeschichte. Nach Childs ist die Christologie (Kap. IV) das Kernstück der biblischen Theologie. Der ersttestamentliche Messianismus wird christologisch interpretiert und die Verheißung an die Davidsdynastie aktualisiert. Gott hat mit Israel einen Bund geschlossen, der nie gekündigt wurde, er bewegt sich immer noch um der Erlösung willen auf Israel zu. Versöhnung mit Gott (V) legt Childs sehr weiträumig aus: Sühne, Opfer, Vergebung, Erlösung, Rechtfertigung, Gerechtigkeit als gemeinschaftstreues Verhalten, aber über institutionalisierte Beziehungen hinausgehend. Der ersttestamentliche Begriff der Gerechtigkeit wird neutestamentlich um die Konnotation Gerechtigkeit als Gabe und als Forderung zugleich erweitert. Childs Definition von Gesetz (VI) umfaßt Strukturelemente der geschaffenen Ordnung des Kosmos, aber auch die Erfahrungswirklichkeit menschlicher Existenz. Im Ersten Testament ist der Gehorsam gegenüber der Weisung zu beachten, um den Bund zu bewahren, wobei das Gesetz zur Grundlage für die Identität Israels als dem einen Volk wurde. Im rabbinischen Judentum werden Bund, Weisung und Weisungsgehorsam unauflöslich miteinander verbunden, so daß Glaube nicht unabhängig von der Weisung existieren kann. Zum Thema Der alte und der neue Mensch (VII) entwickelt die Anthropologie der beiden Testamente kein neues Vokabular, jedoch wird in beiden Bibelteilen die Wirklichkeit des sündigen Menschen herausgestellt. Dessen Gottebenbildlichkeit geht auch durch den ,Sündenfall‘ nicht verloren. Menschsein heißt deswegen auch, Verantwortung vor Gott zu übernehmen. Glaube (VIII) gründet im Ersten Testament immer auf vergangenen Heilsereignissen, die jedoch Gottes zukünftige Zuwendung erwarten. Im rabbinischen Judentum ist Glaube die Treue zu Gott und das Vertrauen auf die Tora als Lebensweisung. Nach Paulus besteht Glaube in der Annahme des Evangeliums und in der Vereinigung mit dem lebendigen Christus. In Kap. IX, Die Königsherrschaft Gottes, arbeitet Childs die Spannung zwischen der Institution Kirche und der biblischen Verkündigung kontrastreich heraus, was folgerichtig zur Gestaltung des gehorsamen Lebens (X) führt (Ethik). Der Bibeltext wird zu einem Impuls für die christliche Lebensgestaltung, der die alttestamentlichen Lebensweisungen integriert. Childs setzt sich auch mit einer ganzheitlichen Lesart der christlichen Bibel auseinander, wobei das NT keine lineare Fortsetzung des Alten Testaments darstelle und das Alte nicht zum Neuen hin tendiere: die Einheit der beiden Testamente ist nicht literarisch, sondern theologisch zu suchen. In seiner Argumentation und in seiner Offenheit fordert Childs auf, an dieser noch zu entwickelnden Art biblischer Theologie weiterzuarbeiten. Das Buch stellt ein unentbehrliches Mittel im innerchristlichen und jüdisch-christlichen Diskurs dar.

Wilhelm Schwendemann


Jahrgang 6/1999 Seite 288



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