Jüdische Stimmen als Herausforderung an den Logos christlicher Theologie. Lit Verlag, Münster 1996. xii und 251 Seiten.
Die Arbeit will herausfinden, „wie eine heutige christliche Gottesrede bestimmt sein muß, wenn sie den ... antijüdischen Triumphalismus nicht ... reformulieren will“ (2). Dazu vergegenwärtigt sie zunächst die jüdische Denktradition, die zwangsläufig immer schon von der Auseinandersetzung mit dem Christentum bestimmt ist. In einem ersten Teil werden jüdische Darstellungen Jesu und der Entwicklung des Urchristentums vorgestellt: Joseph Klausners Jesus von Nazareth und Von Jesus zu Paulus, David Flussers Studien zu Jesus, Martin Bubers Unterscheidung zwischen jüdischer (und jesuanischer) Emuna und (paulinisch-christlicher) Pistis sowie Schalom Ben-Chorins Überlegungen zu Jesus und Paulus. Der zweite Teil versucht, anhand jüdischer Philosophen des 20. Jahrhunderts (Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Emmanuel Lévinas) die Denkfigur des jüdischen Logos genauer zu konturieren. In einem kontrastierenden Vorspann werden die antijüdische Selbstkonstitution des Christentums kurz beschrieben und moderne christliche Autoren (Pannenberg, Kasper und Kessler) auf die Fortexistenz antijüdischer Klischees hin untersucht. Der letzte Teil möchte aufzeigen, wie eine christliche Theologie aussehen könnte, die das Gespräch mit dem Judentum selbstkritisch und produktiv aufgenommen hat. Es werden drei Ansätze skizziert: die transzendentalphilosophisch orientierte Theologie Thomas Pröppers, eine Analogie zwischen jüdischer und christlicher Theologie mit Hilfe des Vergleichs zwischen Tora und inkarniertem Logos und, drittens, die anamnetische Vernunft im Sinne von Johann B. Metz. Als Ergebnis wird festgehalten: christliche Theologie habe Israel als unaufhebbar Erstberufenen, den jüdischen Glauben als gleichberechtigten Weg zum Heil zu respektieren; ihnen gegenüber sei ein Missionsanspruch unsinnig.
Das zentrale Anliegen des Buches ist es, die „bleibende Angewiesenheit christlicher Theologie auf die jüdische Tradition“ herauszustellen, ohne „sie als ,Ergänzung‘, als Akzidens zur Vervollständigung christlicher Identität zu vereinnahmen“ (229). Grunden fordert eine „grundlegende Falsifikation und Revision christlicher Theologie“ (93). Was aber bleibt übrig, wenn man etwas „grundlegend falsifiziert“ hat? Ist der Autorin hier ein Lapsus unterlaufen, oder ist ihr letztlich die christliche Theologie insgesamt in ihrer Existenzberechtigung fraglich? Man muß dem jüdischen wie dem christlichen Dialogpartner das Recht auf die Überzeugung von der Gültigkeit des eigenen Glaubens einräumen. Wenn man dies anerkennt, wird man auf Rechthabenwollen, gar missionieren, leicht verzichten können. Emphatisch beharrt Grunden auf der Einmaligkeit „der Stimme Israels in der gesamten Geistesgeschichte“ (228 u. ö.). Schwierig wird diese Aussage, wenn sie exklusiv gedacht ist und andere Religionen zur negativen Kontrastfolie werden. Einen abrahamitischen Absolutismus, wie er aus manchen Formulierungen Grundens wohl erschlossen werden kann, darf es aber nicht geben.
Horst Gorbauch
Jahrgang 6/1999 Seite 294