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Briegleb, Klaus

Bei den Wassern Babels

Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 439 Seiten.

Edda Ziegler

Heinrich Heine

Leben — Werk — Wirkung. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 21997. 255 Seiten.

Ernst Pawel

Der Dichter stirbt

Heinrich Heines letzte Jahre in Paris. Aus dem Englischen von Regina Schmidt-Ott. Berlin Verlag, Berlin 1997. 235 Seiten.

Das Heine-Jubiläumsjahr 1997 hat nachhaltig etwas geleistet, womit sich der deutsche Feuilletonbetrieb und die deutsche Literaturwissenschaft lange genug schwergetan haben: Es hat Heine als ein Stück deutscher Kulturgeschichte erfaßt, seine Skepsis, Ironie und Gebrochenheit als frühe Zeichen einer Moderne, der nach Dürrenmatt nur noch die Komödie beikommt.

Eine anhaltende Frage in der deutschen Heine-Forschung bleibt, wie sehr Heines Judentum als Kriterium seines Schreibens beachtet werden soll. Klaus Briegleb ist schon in den achtziger Jahren vehement für Heine als einen der ersten spezifisch deutsch-jüdischen Dichter eingetreten. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob seine Darstellung Heines als den „ewigen Juden“ — ein au fonds antijüdisch grundiertes Bild — in seinem damaligen Buch „Opfer Heine?“ gut gewählt war. Immerhin gelang ihm damit der Blick auf den ganzen Heine-Kontext und nicht bloß auf dessen jüdische Elemente. Brieglebs „Bei den Wassern Babels“ verdeutlicht teilweise die Darstellung Heines als ,jüdischer Schriftsteller in der Moderne‘. Den Erfolg kann man dort buchen, wo Briegleb gegen die bis heute andauernden deutschen und linken Vereinnahmungsversuche des einst befehdeten und geschmähten Dichters anschreibt, dessen „Quellen jüdischer schöpferischer Subjektivität“ er freilegen möchte. Auch ortet er Heines Fremdheit nachvollziehbar in der „Paradoxie seiner Hegelschülerschaft“, die wohl den Mechanismus von dessen Dialektik begreift und anwendet, allerdings nicht in Richtung der Verwirklichung des „Weltgeists“, sondern aus jüdischer Perspektive in die Gegenrichtung. Was den Nachvollzug von Brieglebs etwas verstiegenen Thesen erschwert, ist sein komplizierter, in Andeutungen sich verlierender Duktus. Wer Heine in den Spuren der Kabbala zeigen will — wozu er allenfalls indirekt durch seine Spinoza-Rezeption Zugang hatte —, kann dies nur tun, wenn er diese Spuren deutlich nachzeichnet. Brieglebs diffuser Zugang zu gewissen jüdischen Themen offenbart sich auch im unklaren Gebrauch des Begriffs „Haggada“ im Zusammenhang mit dem „Rabbi von Bacherach“ (241 ff.). Ob hier ausschließlich die Pessach-Haggada gemeint ist, um welche es im „Rabbi“ geht, oder die „Haggada“ als Form der rabbinischen Literatur, wird von Briegleb in einer anscheinend bewußten Unklarheit belassen. Daß Heine sich Jahrzehnte nach der Erstfassung des „Rabbi“ im späten Gedicht „Jehuda ben Halevy“ mit dem grundsätzlichen Gegensatz von Halacha und Haggada auseinandersetzt, würde Erläuterungen statt Vernebelungen fordern. Es ist schade, daß sich Brieglebs Ansätze in einer sprachlichen und begrifflichen Diffusion verheddern.

Eine Heine-Studie mit ganz anderer Ausrichtung ist das Buch von Edda Ziegler über Heines „Leben — Werk — Wirkung“: eine dezente, reichbestückte Bildbiographie mit vielen Auszügen aus Heines Werk, kurzweilig und informativ. Heines Judentum wird hier keineswegs ausgeblendet. Für Ziegler ist es vor allem für seine Jugend und sein Frühwerk und schließlich wieder für seine Wirkungsgeschichte von Interesse. Die Einteilung seines Lebens in Epochen läßt Ziegler die Schwerpunkte anders setzen. Daß ihr die von Briegleb vernachlässigte Trennung der beiden Bedeutungen von „Haggada“ nicht bewußt ist, zeigt sich darin, daß im Zusammenhang mit „Jehuda ben Halevy“ die Pessach-Haggada aus Heines Privatbibliothek abgebildet ist. Ziegler zeigt in Heine bewußt einen guten Deutschen jüdischer Herkunft. Das wird auch klar im Schlußkapitel „Heine und die Folgen“, wo sie deutsche Wege und Irrwege zum „Dichterjuden“ Heine über das Kaiserreich, die Weimarer Republik und das Dritte Reich skizziert, bis hin zur Feststellung, daß die DDR und die Bundesrepublik zwei separate, staatlich geförderte kritische Ausgaben herausgebracht haben. „Angesichts der neuesten politischen Entwicklung wirkt der alte Streit um Heine grotesker denn je. Heines Vaterlandskritik aus Liebe, seine geradezu prophetischen Voraussagen über die leichte Verderblichkeit deutschen Nationalstolzes haben sich mittlerweile ganz unzeitgemäß aktualisiert.“ Das ist gut gesagt und auch wahr, reduziert aber Heine letztlich doch auf das „deutsche Problem“, das er in dieser Ausschließlichkeit nicht war.

Einen sehr privaten Zugang zum sterbenden Heine hat Ernst Pawel gewählt. Dem 1994 verstorbenen Autor, dessen Heine-Buch posthum erschien, ging es in erster Linie um die Lebensumstände Heines und um Personen, die am Ende seines Lebens noch eine Rolle für ihn spielten: seine Frau (über deren Unbildung und sonstige Unzulänglichkeiten Pawel in etwas ermüdender Redundanz sich ausläßt), die Mouche (Heines letzte tiefe Frauenbeziehung), sein problematischer Verleger Julius Campe. Pawel suchte die Umstände, unter welchen Heines letzte Werke entstanden sind, zu verdeutlichen und Licht auf seine finanziellen Verhältnisse zu werfen. Somit ist relativ viel über Heines letzte Jahre zu erfahren, aber nur Oberflächliches über seine Werke. Daß der „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“, in welchem Heine in jungen Jahren kurze Zeit mitwirkte, zur „Gesellschaft für Judaistik“ wird, ist ärgerlich und läßt auf einen Mangel an Seriosität schließen — auch bei der Übersetzerin.

Alfred Bodenheimer


Jahrgang 7/2000 Seite 46



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