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Gertrud Luckner
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Knoch, Habbo (Hg.)

Davids Traum

Ein anderes Israel. Bleicher-Verlag, Gerlingen 1998. 452 Seiten mit Abbildungen.

Aus der Flut der „Israel-Veröffentlichungen“, mit denen der Buchmarkt 1998 überschwemmt wurde, ragt der hier vorzustellende Band heraus. Er ist das Werk zumeist junger Autoren, deren Beiträge durch einen anspruchsvollen konzeptuellen Ansatz zusammengehalten werden: Spannend geschriebene essayistische Erörterungen zentraler Probleme der israelischen Gesellschaft werden mit der Beschreibung von Orten im Land verknüpft. Diese Bezugspunkte für das kollektive, historische Bewußtsein werden als ein Potential zur Entschlüsselung sozialer Leitbilder und kollektiver Symbole verstanden und so in beeindruckender Weise zur Annäherung an die Menschen des Landes genutzt.

Neben den unten näher besprochenen Beiträgen beschäftigen sich die Autoren mit den Themen Grenzen, Politik und Gesellschaft in Israel (Habbo Knoch), Israel als Integrations- und Einwanderungsgesellschaft (Uffa Jensen), Die ,Jeckes‘ in Israel (Lothar E. Knoch), Die Begegnung der israelischen Muslime mit der Moderne (Matthias Lehmann), Palästinenser in Israel (Ibrahim Habib), Widersprüche im Reiseland Israel (Matthias Wittrock).

In Erinnerung ohne Ort — Die Shoah und die israelische Gesellschaft beschreibt H. Knoch den Wandel des Gedenkens an den Holocaust in Israel. Wendepunkte in der Entwicklung dieses die Gesellschaft durchdringenden Traumas werden in ihrer Wechselwirkung mit der politischen und sozialen Geschichte des Landes dargestellt, ohne die komplexen Zusammenhänge dabei auf platte Stereotypen von ,politischer Instrumentalisierung‘ zu reduzieren. Festgemacht werden diese Transformationen der Erinnerung und die gegenwärtige Pluralisierung ihrer Formen an der Gestaltung unterschiedlicher Gedenkorte im Land —,künstliche Orte‘ —, die zwischen zerstörten Orten jüdischen Lebens in Europa und der neuen Heimat vermitteln.

Thorsten Wagner präsentiert in seinem Beitrag Umstrittenes Judentum — Israel zwischen Pluralismus und Theokratie ein differenziertes Bild der problematischen Beziehung von Religion und Staat im per definitionem jüdischen und säkularen Israel. Die Vielfalt gegenwärtiger jüdischer Religiosität wird skizziert und in Beziehung zu den politischen und kulturellen Konfliktlinien der Gesellschaft gesetzt. Zugleich wird der ,Kulturkampf‘ um die liberale bzw. halachische Prägung des Staates beschrieben. Obwohl Wagner das Klischee ,orthodoxe Gefahr‘ vermeidet und durchaus Beispiele für fanatische religiös-politische Gewalttaten nennt, erscheint dieser Aspekt unterbewertet. Es wäre darauf hinzuweisen, daß sich die (zumeist organisierten) Verbrecher dabei nicht nur über die Staatsgesetze, sondern auch über die Meinung der meisten halachischen Autoritäten hinwegsetzen.

Achim Detmers zeichnet in Ausgetretene Pfade — Christliche Pilgerreisen auf den Spuren des Gekreuzigten nicht nur die von Entrechtung, Verachtung und Gewalt gekennzeichnete Beziehungsgeschichte von Christen und Juden im ,Heiligen Land‘ im Zeichen des christlichen Antijudaismus nach. Auch die kommerzialisierte Pilgerpraxis der Gegenwart, die Instrumentalisierung ,biblischer‘ Archäologie und der nur mühsam sich vollziehende Verzicht auf Judenmission zugunsten des interreligiösen Gesprächs werden kritisch skizziert. — Leider krankt die Darstellung daran, daß sich der Autor den Stil der Kirchenkritik eines Hamburger Magazins zu eigen macht. Nicht von ungefähr heißt der einzige vom Vf. unwidersprochen zitierte Wissenschaftler G. Lüdemann. Eine Fülle guter Details geht einher mit drastischen Fehlinformationen; die — vielfach berechtigte — Kritik gefällt sich darin, fast alles Positive in der christlichen Geschichte und Gegenwart sowie Negatives in der jüdischen Geschichte zu verschweigen.

Indem das Buch innerisraelische Debatten über gesellschaftliche Ideale und Leitbilder aufnimmt, erscheinen viele idealisierende Vorstellungen in einem ungewohnten und kritischen Licht, ohne ,antiisraelisch‘ zu sein. Vielmehr gelingt es, aus einer engen Bindung an das Land dem Leser die Bruchstellen des israelischen Selbstverständnisses, die widersprüchliche Unübersichtlichkeit und die konflikthafte Vielfalt Israels plastisch und zugleich mit analytischer Schärfe nahezubringen. Das Buch ist sowohl als Vorbereitung für eine Israelreise als auch zur vertiefenden Annäherung an die Geschichte und Gegenwart des Landes sehr zu empfehlen.

Lothar Triebel


Jahrgang 7/2000 Seite 54



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