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Rashke, Richard

Flucht aus Sobibor

Aus dem Amerikanischen von Anna Kaiser. Bleicher-Verlag, Gerlingen 1998. 444 Seiten.

Ein Buch ist nur dann ein gutes Buch, wenn es das gefrorene Meer in uns zum Tauen bringt. Richard Rashke hat mit diesem authentischen Bericht Gletscher zum Schmelzen gebracht. Basierend auf Interviews mit achtzehn Überlebenden von 300 Frauen und Männern, denen die Flucht aus einem der grausamsten aller Vernichtungslager gelang, wird vom schrecklichen Alltag im Angesicht des Todes berichtet, aber auch von den außergewöhnlichen Leistungen, zu denen die geschwächten Menschen noch fähig waren. Das Buch erweckt tiefe Scham und Trauer, aber auch Bewunderung, daß trotz strengster Bewachung dieser akribisch vorbereitete größte Häftlingsausbruch in der Geschichte des jüdischen Widerstands möglich war. Dachau, Auschwitz und Theresienstadt sind der Welt ein Begriff. Sobibor dagegen ist kaum dokumentiert. Aber es gibt Zeugen, Überlebende. Und die wollten, daß ihre Erinnerungen für die (Nach-)Welt, die vielleicht eines Tages nicht mehr begreifen will und wird, festgehalten werden. „Die Flucht aus Sobibor“ wurde auch verfilmt. Im Grunde aber kann kein Film zeigen, wie groß die Angst vor dem Alltag — stets im Angesicht des Todes — war, wie unbeschreiblich die Foltern und Qualen und wie übermächtig die Hoffnung auf ein (Über-)Leben. Aus dieser Hoffnung wagten die Menschen das Unmögliche: die Flucht aus dem hermetisch abgeriegelten Lager, Lebens-Hoffnung gegen Gewehre, Fäuste gegen Fußtritte und Foltern. Mordechai Goldfarb malte ein Porträt seines in Sobibor umgekommenen kleinen Bruders (202): Ein kleiner Junge geht durch eine Gasse von Stacheldraht, von der Außenwelt total abgegrenzt. Da ist kein Baum, kein Strauch, nichts Menschliches, nichts Lebendiges. Nur Grau und Schwarz. Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit. Und aller Schmerz dieser Welt ist in diesen Kinderaugen zu sehen.

Maria Stiefl-Cermak


Jahrgang 7/2000 Seite 57



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