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Rosmus, Anna Elisabeth

„Out of Passau“

Von einer, die auszog, die Heimat zu finden. Herder/Spektrum, Freiburg 1999. 286 Seiten.

Seit vielen Jahren bemüht sich Anna Elisabeth Rosmus, die auch durch den Kinofilm „Das schreckliche Mädchen“ bekannt geworden ist, die NS-Vergangenheit ihrer Heimatstadt Passau aufzuarbeiten. Im Unterschied zu anderen Städten, in denen Historiker/innen ein ähnliches Unternehmen versucht haben, ist Rosmus auf vehementen Widerstand gestoßen, der schließlich dazu führte, daß sie Passau verließ und nach Washington D. C. zog, unter anderem auch, um die dortigen Archive für ihre Arbeit zu benutzen. Rosmus stammt aus einer katholischen Familie, die trotz der Anfeindungen zu ihrer Tochter hielt. Der Ehemann hingegen ließ sich wegen ihrer Aktivitäten scheiden. Sein Antisemitismus ist evident.

Rosmus möchte die ganze Wahrheit über diese bayrische Stadt herausfinden. Dazu gehört, daß sie dem Schicksal der Juden Passaus nachgeht, wobei sie nicht nur Dokumente, sondern auch „oral history“ verwendet. Es erstaunt nicht, daß die staatlichen und kirchlichen Behörden von Passau Rosmus alle erdenklichen Steine in den Weg legten, um ihr den Zugang zu den Archiven zu erschweren. Diese Haltung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der damalige Herausgeber des Bistumsblattes durchaus für nazistische Anbiederungen offen war, nach 1945 aber so tat, als ob seine Nazifreundlichkeit niemals existiert hätte. Er konnte seine Tätigkeit fortsetzen. Auch betätigten sich zwei Priester als Denunzianten von zwei Juden. Wahrscheinlich sind die beiden Juden umgekommen. Einer der beiden Priester bekam nach 1945 das große Bundesverdienstkreuz, der andere legte ein Gelübde ab, niemals über die Anzeige zu sprechen. Im Jahre 1990 begab sich Rosmus zum ersten Mal in die USA, wo sie versuchte, möglichst viele ehemals verfolgte Juden aus Passau zu treffen. Als sie sich endgültig in Washington niederließ, wurde sie von den Juden freundlich aufgenommen und fühlt sich heute mit ihren zwei Töchtern dort weitgehend integriert.

Die Arbeit von Rosmus beschränkt sich aber keineswegs auf die Verfolgung der Juden. In Passau und Umgebung gab es auch eine Reihe von Lagern für russische Kriegsgefangene, die dort systematisch ermordet wurden — auch ein Grund, warum die Passauer die entsetzlichen Vorgänge unbedingt verdrängen wollten. Einerseits sah sich Rosmus in Passau widerlichen Anfeindungen ausgesetzt, andererseits wurden ihre Leistungen vielfach anerkannt. So erhielt sie in New York den „Sarnat Award“ der Anti-Defamation League (ADL). Bereits zu Anfang ihrer Aktivität bekam sie den Preis des Bundespräsidenten im Schülerwettbewerb für Geschichte, 1984 den „Geschwister-Scholl-Preis“, 1992 den „Holocaust Memorial Award“ und 1996 den „Heinz-Galinski-Preis“. Rosmus ist eine starke Persönlichkeit. Andere hätten längst aufgegeben; sie aber sieht ihren Weg. Am Jom Kippur des Jahres 1992 durfte sie im konservativen „Temple Israel“ in Albany vor 2000 Gemeindemitgliedern eine Rede halten. Mit Recht sah sie darin einen großen Vertrauensbeweis. Die Tatsache, daß amerikanische Juden an ihrem höchsten Feiertag eine Deutsche auffordern, zu ihnen zu reden, ist im Unterschied zu so vielem, was sie erlebte, ein Hoffnungszeichen für eine Welt, in der wahres Verstehen herrscht.

Das Buch von Anna Elisabeth Rosmus stellt nicht nur angenehme Lektüre dar. Es ist aber auch ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung, daß es jüngere deutsche Menschen gibt, die gewillt sind, die Geschichte zu erforschen, damit sie uns in eine bessere Zukunft führt.

Ernst Ludwig Ehrlich


Jahrgang 7/2000 Seite 58



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