Hanser Verlag, München 1999. Edition Akzente. 288 Seiten.
„Man sieht in mir eine Art Guru“, bekannte der italienische Schriftsteller Primo Levi (1919-1987) in einem seiner letzten Interviews. Im gleichen Atemzug distanzierte er sich von dieser Vergötzung. „Ich bin kein starker Mensch“, sagte er, „überhaupt nicht.“ Darüber habe er nur nichts veröffentlicht. Seine Bücher verströmten vielleicht eine Art Weisheit, er selbst besitze diese nicht. Und er fügte hinzu: „Die Propheten sind die Pest unserer Zeit.“ Besser sei es, „auf offenbarte Wahrheiten zu verzichten“ und lieber eigenständig zu Erkenntnissen zu gelangen. Obwohl Primo Levi eher scheu und zurückhaltend war, stellte er sich bereitwillig der Öffentlichkeit in Gesprächen und Interviews. Die vorliegende Auswahl aus den Jahren 1971 bis 1987 vermittelt einen tiefgehenden Eindruck in das Leben und Denken des Schriftstellers. Auschwitz, „die interessanteste Periode meines Lebens“, bezeichnete Levi als sein kleines „Glück“. Das klinge zynisch, er aber meine es ernst. „Es war das Erlebnis des Lagers, das mich zum Schreiben zwang.“ Sein Beruf als Chemiker, der es ihm ermöglichte, Ordnung zu schaffen in seinen Gedanken und in einer unübersichtlichen Welt, hatte ihm das Überleben ermöglicht. Der „typische Häftling“ sei im Lager umgekommen, sagte Levi, die Davongekommenen hatten irgendein Privileg, das sie überleben ließ.
Levi verfaßte seine Bücher zunächst in seiner Freizeit, in den Nächten vor allem, seit 1975 dann hauptberuflich. Bereits 1947 erschien in Italien sein erster Bericht über Auschwitz. Anfang der sechziger Jahre ist das Buch in deutsch unter dem Titel „Ist das ein Mensch?“ herausgekommen. Levi wurde mit diesem Buch weltberühmt. Es ist eine Studie über den Menschen, ein Tatsachenbericht über Würde und Unwürde im Lager, im menschlichen Leben, verstörend klar und nüchtern, unterkühlt und atemberaubend. Levi wurde gefeiert, wurde ausgezeichnet und weltweit gehört. Mit 67 Jahren setzte er seinem Leben ein Ende. Auf diesen bestürzenden Tod bekommt man in diesem Buch keine direkte Antwort. Levis vorliegende Aussagen müssen genügen. Kein Prophet wollte er sein, hatte er kurz vor seinem Tod gesagt. Das Leben mache ihm Angst, es belaste ihn, es sei nicht in Einklang zu bringen mit seinem Verständnis vom Menschen. Er sei im Grunde genommen ein optimistischer Mensch, bekannte Levi mehrfach, ja, er begreife es als „Pflicht, optimistisch zu sein“, sagte er noch 1979. Das „Nachdenken über das Geschehene“ sei die „Pflicht eines jeden“, um eine Wiederkehr des Geschehenen zu verhindern. Doch mit der Zeit nahm sein Optimismus ab. Aus einem seiner letzten Interviews spricht der Überdruß. Das schleichende Gift von Auschwitz wirkte auch bei ihm tödlich.
Da die Auswahl der Gespräche und Interviews thematisch statt chronologisch gegliedert ist, ist die Entwicklung des Schriftstellers schwer zu erkennen. Doch inhaltlich ist es ein hervorragendes Buch. Gerade auch jene, die sich noch nicht mit dem Werk und Weltverständnis des italienischen Schriftstellers Primo Levi befaßt haben, finden hier Anregungen zum Nachdenken und zur vertiefenden Lektüre. Es ist ein Buch voller Ansichten vom Menschen, gültig über den Tag hinaus.
Stefan Berkholz
Jahrgang 7/2000 Seite 207