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Gertrud Luckner
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Wollasch, Hans-Josef

„Betrifft: Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg.“

Die Ermittlungsakten der Geheimen Staatspolizei gegen Gertrud Luckner 1942-1944. Universitätsverlag Konstanz 1999. 256 Seiten.

Durch glückliche Umstände sind große Teile der Gestapo-Akten von Gertrud Luckner erhalten geblieben. Hans-Josef Wollasch hat sie in vorbildlicher Weise herausgegeben und ihnen eine eingehende Biographie vorangestellt. Gertrud Luckner war bekanntlich eine einzigartige Persönlichkeit und, wie Leo Baeck einmal schrieb, „eine der edelsten, tapfersten und opferwilligsten Persönlichkeiten, die mir in meinem Leben begegnet sind“. Es ist tragisch, daß sie eine der ganz wenigen war, die sich während der Schoa für Juden eingesetzt hat und dies schließlich büßen mußte, indem sie in das KZ Ravensbrück kam. Nach dem Krieg begründete sie mit Karl Thieme den Freiburger Rundbrief, der auch nach ihrem Tode die wichtigste katholische Zeitschrift auf dem Gebiet des christlich-jüdischen Dialogs ist.

Während des Krieges reiste Gertrud Luckner viel in Deutschland herum, um Juden zu helfen, wobei sie seit dem 20. Januar 1943 überwacht wurde. Auf der Strecke zwischen Offenburg und Karlsruhe wurde sie am 24. März 1943 aus dem Zug geholt und verhaftet. Man wollte nicht nur ihre Hilfe für Juden verhindern, sondern auch eine Handhabe gegen den Freiburger Erzbischof Dr. Conrad Gröber bekommen. Im Haftbefehl heißt es, sie habe in größerem Umfang mit jüdischen Kreisen im gesamten Reichsgebiet Verbindung aufgenommen, finanzielle Unterstützung gewährt und ein Mitarbeiternetz für die Betreuung der Juden aufgebaut. „Es besteht weiter der Verdacht, daß sie Juden beim illegalen Verlassen des Reichsgebietes behilflich gewesen ist.“ Der sogenannte „Schutzhaftbefehl“ vom 26. Mai 1943 lautet:

„Sie gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem sie durch ihre projüdische Betätigung und Verbindungen mit staatsfeindlichen Kreisen befürchten läßt, sie würde sich bei Freilassung weiter zum Schaden des Reiches betätigen.“

Offiziell war Gertrud Luckner bei der Caritas Freiburg angestellt. Im vorliegenden Band werden nun die Akten publiziert, die sie selbst im Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf gefunden hatte. Es ist klar, daß sich das Hauptinteresse der Gestapo gegen die katholische Kirche und insbesondere auch gegen die Caritas richtete, denn in Gertrud Luckner sah man die Exponentin einer vermutlichen Nachrichtenzentrale. Es wurde besonders hervorgehoben, daß sie freien Zugang zu allen Bischöfen habe und mit dem Grafen Luckner verwandt sei, selbst aber den Adelstitel abgelegt habe — was natürlich Unsinn ist. Man glaubte, in Gertrud Luckner eine Schlüsselfigur des katholischen Widerstandes verhaftet zu haben. Daß sie sich der Juden annahm, machte sie zu einer gefährlichen Unperson. Aus den Akten geht hervor, daß sich eine ganze Reihe von Gestapo-Leuten mit ihr befaßten, und ihre Berichte verdeutlichen die ganze Widerlichkeit des NS-Regimes. Es zeigt sich ja auch sonst, daß an Einzelschicksalen die ganze Perfidie dieses Regimes viel klarer hervortritt als durch Gesamtdarstellungen.

Freilich gab es in den Kreisen der Caritas nicht nur Helden, sondern auch Denunzianten. So stellte sich ein im Ruhestand lebender Professor und katholischer Geistlicher zur Verfügung, der Gestapo Berichte über die Stimmung im Caritasverband zu übermitteln und Erzbischof Gröber zu verleumden. Die Akten zeigen, daß dem Fall Gertrud Luckner höchste Bedeutung beigemessen wurde. Die Angelegenheit Luckner wurde Himmler und Bormann gemeldet, „da der Fall für die Beurteilung der Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Staate schwerwiegend sei“.

Arbeitet man die nun vorliegende Wiedergabe der Akten durch, gewinnt man einen hervorragenden Eindruck von der Niederträchtigkeit des Nazistaates und auch einen Einblick in das tiefe Mißtrauen der Nazis gegenüber der katholischen Kirche, die durch die Verhaftung von Gertrud Luckner getroffen werden sollte. Es ist ein großes Verdienst von Hans-Josef Wollasch, die Texte in einer vorbildlichen. Ausgabe bearbeitet zu haben. Die ausführlichen Anmerkungen erleichtern die sonst nicht leichte Lektüre. Wenn einmal eine Gesamtgeschichte der Haltung der katholischen Kirche im NS-Staat geschrieben wird, sollte dieses Werk unbedingt berücksichtigt werden. Es enthält weit mehr als nur das Schicksal von Gertrud Luckner, die als eine der Heldinnen im Kampf gegen das NS-Regime für die von ihrer Kirche geforderte Nächstenliebe eingetreten ist. Hätte es mehr Menschen wie Gertrud Luckner gegeben, wäre vielleicht manches anders geworden, zumindest hätten mehr Juden gerettet werden können. Gerade ihr Eintreten für die Juden zeugt davon, daß sie in dieser Hinsicht ein Einzelfall gewesen ist und daß das Schicksal der Juden vor allem auch durch die Gleichgültigkeit und Angst beider großen Kirchen besiegelt worden ist.

Ernst Ludwig Ehrlich


Jahrgang 7/2000 Seite 297



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