Die Ursprünge des modernen Zionismus. Belz Athenäum Verlag, Weinheim 1998. 329 Seiten.
Die Gründung des Staates Israel vor 50 Jahren und der Erste Zionistenkongreß vor 100 Jahren wurden 1998 zum Anlaß für die Herausgabe dieses Sammelbandes, dessen Beiträge zwischen diesen beiden Ereignissen einen Bogen spannen wollen. Intendiert ist, sowohl den aktuellen Forschungsstand darzubieten als auch Anregungen zu neuen Forschungen zu geben. Das Themenspektrum des Bandes reicht vom Palästinaforscher Titus Tobler (1806-1877), bearbeitet in dem Aufsatz von Alex Carmel, über den Roman Zionsliebe des aus dem „Ansiedlungsrayon“ stammenden Schriftstellers Abraham Mapu (Verena Dohrn), das „Verhältnis von Orthodoxie und Frühzionismus im Königreich Ungarn während des 19. Jahrhunderts“ (Walter Pietsch) und die Protokolle der Weisen von Zion (Michael Hagemeister) bis zu dem Gegensatz von „weibischen Juden“ und „Muskeljuden“ (Monica Rüthers).
Von grundlegendem Charakter ist der einleitende Aufsatz des Herausgebers über „Zionismus und die Krise jüdischen Selbstverständnisses“. Haumann beginnt mit einem kurzen Abriß der Geschichte der Zionsidee: Mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. entstand die Vorstellung von einer Rückkehr nach Erez Israel und die Sehnsucht nach Zion. Diese Vorstellung wurde verknüpft mit der Erwartung des Erscheinens des Messias. Schon im Mittelalter gab es sodann vereinzelte Versuche, einen „Judenstaat“ zu gründen, doch diese waren kaum religiös motiviert, lag doch nach traditionellem Verständnis die Initiative dafür in den Händen Gottes. Im 18. Jahrhundert allerdings erfolgte eine „aktivistische Wende“ (13). Die Vorstellung gewann Raum, durch das Eingreifen der Menschen könne die Erlösung aktiv herbeigeführt werden. Im 19. Jahrhundert habe schließlich, so Haumann, die Idee eines Judenstaates allgemein „in der Luft gelegen“. Daß der Zionismus speziell in Osteuropa großen Anklang fand, erklärt Haumann zum einen mit dem Verweis auf die dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade die Juden als Mittler im Wirtschaftskreislauf treffende schwere Agrarkrise und zum anderen mit den Pogromen, welche auf die Ermordung von Zar Alexander II. im Jahre 1881 in Rußland folgten. Auf diese Situation habe der Zionismus eine dem nationalen Denken der damaligen Zeit entsprechende Antwort gegeben, wobei im Ostjudentum eher ein eigenständiger Staat für wichtig erachtet wurde, während dieser für die Westjuden sekundär gewesen sei, denn diese befanden sich — aufgrund der rechtlichen Gleichstellung — in einer politisch besseren Situation.
Der Zionismus entwickelte sich zu einer sozialen Bewegung mit Theodor Herzl an der Spitze. Ihm gelang es, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Zionismus — den „synthetischen“ Zionismus, den religiösen, sozialistischen, den Kulturzionismus etc. — zu integrieren, dem Zionismus internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen und diplomatisch auf seine Verwirklichung hin zu wirken. Freilich waren längst nicht alle Juden vom Zionismus überzeugt. Gegner fanden sich sowohl auf der Seite der Orthodoxie als auch unter den assimilierten Juden, welche befürchteten, der Zionismus werde Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber ihrem Heimatland wecken. Rück-blickend gelangt Haumann zu dem kritischen Urteil, daß der Zionismus zwar viele, doch nicht alle seine Ziele erreicht habe: Weder sei es zu der erhofften Erlösung gekommen, noch sei der Antisemitismus mit der Gründung des Staates Israel verschwunden. Angesichts der Schoa sei die Gründung eines Staates der Juden zu einer Notwendigkeit geworden, doch sei es nicht gelungen, viele Juden rechtzeitig vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten zu retten. Gegenwärtig schweiße die Schoa alle Juden zusammen und stifte eine ihnen gemeinsame Identität. Neben diesem ersten Beitrag des Herausgebers sind freilich auch die meisten anderen Aufsätze dieses Bandes — obwohl sie von sehr unterschiedlicher Qualität sind — recht lesenswert.
Johannes Twardella
Jahrgang 7/2000 Seite 302