Neue Einsichten und neue Aufgaben. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1998. 154 Seiten.
Rolf Rendtorff, emeritierter Professor für Alttestamentliche Theologie in Heidelberg, gehört zu den führenden evangelischen Theologen, die sich seit Jahrzehnten um ein besseres Verständnis des Judentums bemühen. Sein großes Engagement und seine gleichermaßen hohe Sachkompetenz hat er in zahlreichen Publikationen und in vielen Vorträgen unter Beweis gestellt. Der vorliegende schmale Band enthält insgesamt zehn Vorträge, die zwischen 1986 und 1997 auf Kirchentagen, beim Elie-Wiesel-Symposium 1995 oder in evangelischen und katholischen Akademien gehalten wurden. In den Beiträgen geht es um grundlegende Fragen, die heute zu bedenken sind, wenn Christen über das Judentum und mit Juden sprechen. Wenn Rendtorff z. B. fragt, ob ein christlich-jüdisches Gespräch nach der Schoa möglich ist, so kommt er zu dem Ergebnis, daß ein Dialog nur dann zustande kommen kann, wenn Christen ihr Selbstverständnis ändern und ihr Verhältnis zum jüdischen Volk neu bestimmen. Der umfangreichste Artikel, der aus drei Vorträgen besteht, thematisiert Rendtorffs ureigenstes Fachgebiet, wenn er fragt, wie Christen heute das „Alte“ Testament lesen sollen. Alte und neue theologische Formen der Enteignung werden scharf zurückgewiesen und für eine Wiedergewinnung der jüdischen „Schrift“ plädiert, die wir nicht haben können, wenn wir dem Judentum nicht belassen, was ihm gehört. Drei wichtige Arbeiten befassen sich mit Elie Wiesel. Sie versuchen (1) eine Annäherung an sein Werk, fragen (2) nach Elie Wiesels Botschaft für Christen nach der Schoa und denken (3) über das Wort Wiesels nach: „Der nachdenkliche Christ weiß, daß in Auschwitz nicht das jüdische Volk, sondern das Christentum gestorben ist.“ Am interessantesten und vielleicht noch am weitesten von „Einsichten“ entfernt ist die letzte Arbeit, die danach fragt, ob Christologie ein Thema zwischen Christen und Juden sei. Hier werden wichtige Fragen aufgeworfen, ohne daß schon Antworten parat wären. Ganz gewiß zählt gerade dieses Thema zu den neuen Aufgaben, die im Untertitel angesprochen sind und die die Schmerzensgrenze des Christentums noch stark tangieren werden. Ansprechend ist, daß die Arbeiten nicht in einem schwer zugänglichen Fachjargon abgefaßt sind, sondern in einer wohltuend klaren und präzisen Sprache, die gewiß auch einem breiteren Leserkreis, also Pfarrern, Religionslehrer/innen und interessierten Laien, zugänglich ist.
Werner Trutwin
Jahrgang 7/2000 Seite 306