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Silbermann, Alphons / Stoffels, Manfred

Auschwitz: Nie davon gehört?

Erinnern und Vergessen in Deutschland. Rowohlt, Berlin 2000. 237 Seiten.

Wieviorka, Annette

Mama, was ist Auschwitz?

Ullstein Verlag, München 2000. 90 Seiten.

Stéphane Bruchfeld / Levine, Paul A.

Erzählt es euren Kindern.

C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München 2/2000 (1/1998). 159 Seiten.

Im Mai 1997 wurden im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 2197 Personen von 14 Jahren an aufwärts 23 Fragen zum Thema „Was bedeutet ,Auschwitz‘ der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration?“ vorgelegt. Das Resultat zeigte, vor allem bei den Jüngeren, eine große Unkenntnis. Silbermann und Stoffels dokumentieren den Fragebogen und kommentieren ausgewählte minuziöse Tabellen mit den Befragungsergebnissen. In sieben Kapiteln gehen sie der Frage nach, wie es zu diesem Ergebnis hat kommen können. Damit werden so ziemlich alle Fragen, die sich ein Soziologe zu dem Komplex stellen kann, behandelt. Daß Silbermann einen leichten Stil, bis hin zum Saloppen, pflegt, ist der Sache durchaus angemessen, verträgt sich aber schlecht mit der aufklärerischen Absicht des Buches. Manches bleibt auch unverständlich, etwa im Unterkapitel „Mythos Auschwitz“. Weder wird der Mythoscharakter von Auschwitz präzise beschrieben, noch wird der Zusammenhang mit dem Kontext deutlich. Daß beide Autoren wiederholt den Ausdruck Holocaust verwenden — die Vernichtung von Menschen ist kein Gott wohlgefälliges Opfer —, muß man ihnen übelnehmen. Auch in den beiden anderen hier vorgestellten Büchern wird dieser Terminus, trotz zugegebener besserer Einsicht, benützt. Über Fremdenfeindlichkeit zu reden — wenn auch nur knapp abgehandelt —, ist im Zusammenhang des Buches nötig, weil die pädagogische These des Buches so formuliert werden kann: Den Mechanismus, der Auschwitz ermöglicht hat, muß man kennen, und Fremdenfeindlichkeit — in der konkreten Form des Antisemitismus — ist ein Glied dieses Mechanismus. Aber genau diese Formulierung halten die Verfasser für das grundlegende Übel, denn sie beraubt Auschwitz seiner Konkretheit und macht es zum Symbol. Daß Auschwitz zum Symbol hat verkommen können, dafür nennen die Autoren den Grund: Die Vernichtung des Judentums hat sich außerhalb von Deutschland und damit unter Ausschluß der Öffentlichkeit ereignet.

Das Buch ist intelligent und klug verfaßt. Ob es nützlich ist, ist fraglich. Das liegt daran, daß es auf seine Weise der political correctness gehorcht: Man muß unbedingt über Auschwitz Bescheid wissen, aber selbstverständlich darf die deutsche Bevölkerung der zweiten und dritten Generation nicht zu Schuldigen gemacht werden. Mit einem solchen einleuchtenden Allgemeinplatz stellt man aber seine ganze Mühe des Denkens wieder in Frage. Zu vermuten ist, daß die Befragten danach ausgesucht worden sind, daß sich ihr „Deutschtum“ bis in den Anfang dieses Jahrhunderts zurückverfolgen läßt. Wie steht es mit deutschen Staatsbürgern der zweiten und dritten Generation, die nicht deutschstämmig sind? Es ist sicher nicht zu bezweifeln, daß die Schoa zu den bleibenden Ereignissen der deutschen Geschichte gehört. Es wäre aber, um den Befürwortern des Vergessens ihre Argumentation noch mehr zu erschweren, eine Klärung dienlich gewesen, was denn nun, auch konkret, geschichtliche Ereignisse sind, die zum ewigen Gedächtnis eines Volkes gehören müssen. Es fehlt auch ein weiterer und sehr wesentlicher Gesichtspunkt gegen die Befürworter des Vergessens: Wer die eigene Geschichte kennt, kann nicht überrascht werden, wenn sie ihm von anderer Seite vorgehalten wird.

Im Buch von Annette Wieviorka klärt eine Mutter — Historikerin, Französin jüdisch-polnischer Herkunft — die Tochter auf, was es mit der Nummer auf dem Arm ihrer Freundin auf sich habe. Daß die Erklärung als Frage- und Antwortspiel aufgezogen ist, verschafft ihm die Peinlichkeit, daß die Mutter wiederholt weitschweifig an der Frage der Tochter vorbei antwortet. Auch der Anlaß für die Frage der Tochter ist nicht ganz glaubwürdig, da die Schoa Dauerthema in der Familie gewesen ist. Trotzdem ist es ein respektables Buch, das kindgemäß — leider fehlt eine Angabe, für Kinder welchen Alters — über die Schoa aufklärt. Hinzu kommen 14 ganzseitige bunte Bilder.

Ausgangspunkt ist eine Razzia auf Pariser Juden 1942, bei der die Freundin der Mutter festgenommen worden ist. Zur Sprache kommen Themen wie Abtransport in die Lager, Konzentrationslager und Vernichtungslager, was Juden sind, Judenemanzipation und Antisemitismus, das System des Dritten Reiches, nationalsozialistische Judenpolitik, Vernichtung der Zigeuner, Verfolgung weiterer Gruppen, jüdischer und nichtjüdischer Widerstand, aber auch Kollaboration — da betonter die polnische als die französische — und das fehlende Engagement der späteren Siegermächte. Neben der Hauptschuld der Deutschen wird auch über die Mitschuld der übrigen Welt geredet. Aufgabe des Buches ist, Wissen zu vermitteln, Zusammenhänge aufzuzeigen und, altersgemäß nur ansatzweise, zu erklären, wie es zur Schoa kommen konnte, aber auch, durch Verstehen neue Vorurteile zu vermeiden. Das gesteckte Ziel wird im Prinzip erreicht. Die Autorin bemüht sich auch weitgehend erfolgreich um Sachlichkeit. Auf S. 88 wäre der massive französische Antisemitismus zu erwähnen gewesen. (Hat es im französichen Original einen Hinweis gegeben?) Fatal ist die Argumentation, daß man nur unschuldig sein kann, wenn man Widerstand geleistet hat und dafür verfolgt worden ist (S. 84).

Das Buch „Erzählt es euren Kindern“ ist verfaßt worden, um den hohen Anteil schwedischer Schüler, die den Schrecken der Schoa nicht wahrhaben wollen, angemessen aufzuklären. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war am 07.03.2000 zu lesen, das Buch habe zur Folge gehabt, daß die Schüler der deutschen Schule in Stockholm als Judenmörder beschimpft worden seien. Offensichtlich haben die Autoren ihr aufklärerisches Ziel doch nicht ganz erreicht. Da das Buch mit der gleichen, auf Versöhnung ausgerichteten Tendenz Themen wie A. Wieviorka behandelt, wäre an sich das ganze Spektrum dessen, was man von der Schoa wissen muß, vorhanden. Das Buch hat auch eine für Jugendliche angemessene Sprache. Daß es als Lesebuch angelegt ist, in einer Mischung aus eigener Darstellung, Wiedergabe authentischer Berichte, Tabellen, Fotos, Karten und Grafiken, mit geschickter Abwechslung in den Schrifttypen, entspricht ebenfalls jugendlichen Lesern. Nur, das Bemühen, das Thema jugendgerecht aufzuarbeiten, führt zu einer bedenklichen Oberflächlichkeit.

Axel Peuster


Jahrgang 7/2000 Seite 308



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