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Berichte Heft 4 Jg 7/2000

Millenniumskonferenz der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden und der Weltvereinigung für progressives Judentum

Vom 23. bis 25. Mai 2000 trafen sich in London die „Vatican Commission for Religious Relations with the Jews“ und die „World Union for Progressive Judaism“ zu einer Tagung über das Thema „Theologie der Teilhaberschaft“ (Theology of Partnership). Die kirchlichen Spitzenvertreter waren Kardinal Edward I. Cassidy und sein Sekretär Dr. Remi Hoeckman. Ihre jüdischen Hauptpartner waren Sir Sigmund Sternberg, Präsident der Reform-Synagogen von Großbritannien, und Rabbiner Richard Bloch, Präsident der „World Union for Progressive Judaism“. Beide Gruppen waren mit führenden Fachkräften vertreten. Die finanzielle und organisatorische Ausrichtung der Tagung ermöglichte hauptsächlich Sir Sigmund Sternberg. Das Dialogteam, dem auch vier Rabbinerinnen und vier katholische Wissenschaftlerinnen angehörten, bestand aus je 22 jüdischen und christlichen Experten und Expertinnen. Alle waren sowohl im Neuen Testament als auch im Talmud und in der Hebräischen Bibel zu Hause.

Die Hauptthemen wurden stets von einem jüdischen und einem christlichen Fachmann vorgetragen und dann von jüdischer und christlicher Seite zusammengefaßt und zur Diskussion gestellt. Folgende Hauptthemen standen zur Debatte: 1) Partnerschaft im Bund; 2) Verständnis von Erwählung; 3) Der Kontext der Partnerschaft; 4) Die Herausforderung seitens der Modernität; 5) Die jüdisch-christliche Partnerschaft zur Ehre Gottes in der heutigen Welt; 6) Werte, die wir für die Partnerschaft von Christen und Juden in der modernen Gesellschaft einbringen; 7) Agenden, die beiden Partnern aufgetragen sind.

Die Konferenz war von einem außerordentlich hohen Diskussionsniveau geprägt. Ich habe noch nie erlebt, daß alle jüdischen Partner und Partnerinnen im Christentum so versiert waren und auch die christlichen Teilnehmer sich im jüdischen Fachbereich so sicher bewegten. Rabbiner Tony Bayfield vom Londoner Sternberg Centre wird demnächst die Diskussionen veröffentlichen und später auch die Referate. Diese Reihenfolge wurde deshalb gewählt, weil die Diskussionen sich durch eine besondere Prägnanz auszeichneten. Die Konferenz stand nicht nur unter dem Eindruck biblischer und talmudischer Texte, sondern auch der Reise des Papstes nach Israel und seiner Aussage über die jüdisch-christliche Bundesgemeinschaft, die er an der Westmauer des Tempels hinterlegt hatte. Die Fragen nach der Bundeszugehörigkeit von Juden und Christen blieben die Schwerpunkte bei allen Gesprächen. Im Hintergrund stand aber auch die Frage, wie und wann das liberale Judentum und die offizielle katholische Kirche deutlichere Gespräche und Beziehungen (wieder) miteinander aufnehmen könnten und sollten. Daß beide Gruppen vor ähnlichen Problemen stehen, wurde im Verlauf der Tagung immer deutlicher. Die Vertreter des Judentums nahmen jeweils an den katholischen Gottesdiensten teil, und die Katholiken ihrerseits beteiligten sich jeden Tag am jüdischen Nachmittagsgebet. So entstand eine eindrucksvolle Gemeinschaft von zwei religiösen Gruppen, die beide um ihre Identität und um ihr Miteinander ringen.

Clemens Thoma


Papst Pius IX. und die Juden

Der Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat am 21. Juli 2000 eine Stellungnahme zur angekündigten Seligsprechung von Papst Pius IX. herausgegeben.

Einen ähnlichen Text sandte auch die Jüdisch-Römisch-Katholische Gesprächskommission der Schweiz (JRKG) als Telegramm an den Vatikan mit Datum vom 10. Juli 2000 im Auftrag der Schweizerischen Bischofskonferenz und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Wir bringen die Stellungnahme des ZdK.

Römische Behörden haben angekündigt, daß am 3. September 2000 die Seligsprechung von Papst Pius IX. zu erwarten ist. Dagegen erheben sich aus der Sicht des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK gewichtige Bedenken. Denn jede Seligsprechung ist nicht nur eine Anerkennung persönlicher Frömmigkeit und Lauterkeit, sondern sie soll zugleich ein Zeichen für die Kirche und die Gesellschaft von heute sein. Welches Signal soll durch die Seligsprechung Pius IX. im Jahre 2000 gegeben werden? Für den Gesprächskreis „Juden und Christen“ kann es sich nur um eine Desavouierung all jener Erklärungen und Verlautbarungen handeln, die Papst Johannes Paul II. und mehrere römische Institutionen in Fortführung der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „Nostra aetate“ (Art. 4) zum Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum gegeben haben.

Denn darüber ist kein Zweifel möglich: Pius IX. war Antisemit — nicht im Sinne jenes primitiven Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten, sondern als Ankläger einer vermeintlichen „Verjudung der Gesellschaft“ in religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Belangen, der es mit allen Mitteln autoritärer Obrigkeit zu begegnen galt.

Wohl ließ Pius IX. während der ersten zwei Jahre seiner Regierung die antijüdischen Zügel lockern, wie mehrere bemerkenswerte Initiativen ausweisen. So gestattete er jenen Juden, deren Häuser in der großen Tiber-Überschwemmung vom Dezember 1846 unbewohnbar geworden waren, vorübergehend außerhalb des jüdischen Gettos zu wohnen. Dann ersparte er den Vorstehern der jüdischen Gemeinde Roms die entehrende, von Papst Clemens IX. 1668 angeordnete, alljährliche Unterwerfungszeremonie am Karnevalsmontag. Außerdem erließ er den Juden der Stadt die verhaßte Zwangspredigt in der Kirche Sant‘ Angelo in Pesceria. Schließlich ordnete er an, daß in der Nacht vom 17. auf den 18. April 1848 die Ummauerung des jüdischen Gettos in der Stadt Rom niedergerissen wurde, um so kund zu tun, daß er dieses jahrhundertealte, steinerne Symbol der Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger ein für alle Mal beseitigen wolle.

Leider sind die Erleichterungen für die Juden nur von kurzer Dauer gewesen. Bereits 1850 leitete der Papst einen radikalen Kurswechsel ein; im wesentlichen kehrte er zu den Verhältnissen des 18. Jahrhunderts zurück. Anders als in allen anderen westeuropäischen Staaten, anders auch als im Königreich Sardinien, wo die Juden bereits die gleichen Rechte wie alle christlichen Mitbürger erhalten hatten, erneuerte Pius IX. im Kirchenstaat die Gettoisierung der Juden. Äußerlich ließ sich das ablesen an der Tatsache, daß er die Mauern des Gettos wieder aufrichten ließ. Damit stieß er die jüdischen Bürger Roms zurück in eine Situation, die es zu seiner Zeit in Europa nur noch im russischen Zarenreich gab. Er erneuerte die alten Unterdrückungen der Juden, verweigerte ihnen wiederum die Ausübung der meisten Handwerksberufe und die Übernahme von Verwaltungsämtern. Erneut wurde ihnen der Besitz von Grund und Boden untersagt. Und erneut wurde der Talmud auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, so daß die Juden des Kirchenstaates nicht einmal freien Zugang zu ihren eigenen heiligen Schriften hatten.

Es gab im Kirchenstaat sogar ein Wiederaufleben der Ritualmordgeschichten des Mittelalters. Große Aufmerksamkeit und Abscheu in ganz Westeuropa wie auch in Amerika erregte die vatikanische Wiederaufnahme der offensiv praktizierten Judenmission. Pius IX. konnte sich ein Zusammenleben mit den Juden letztlich nur vorstellen auf der Basis, daß letztere früher oder später zum katholischen Glauben übertraten. Weil trotzdem die Zahl der jüdischen Konvertiten wie in ganz Europa so auch im Kirchenstaat gering blieb, wurden einzelne Übertritte zum Katholizismus stets öffentlich als Siege der katholischen Kirche über die Unwahrheit gefeiert und durch viele materielle Vergünstigungen der Betroffenen belohnt.

Zwar war es nach kanonischem Recht verboten, Kinder von Juden gegen den Willen ihrer Eltern zu taufen — es sei denn in Todesgefahr, oder ein Elternteil habe das Kind ausgesetzt, oder es sei die oder der Betroffene geistig behindert. Diese Ausnahmebestimmungen öffneten der Willkür Tür und Tor. So galt als Praxis, daß ein einmal getauftes jüdisches Kind nicht mehr länger bei seinen Eltern bleiben durfte, es sei denn, daß auch diese zum Christentum übertraten.

Der schlimmste Fall — nur einer von mehreren, die bekannt geworden sind — war die sogenannte Mortara-Affäre: Am Abend des 23. Juli 1858 drang ein Bologneser Polizeikommando in das Haus des jüdischen Kaufmanns Momolo Mortara ein und verlangte die umgehende Herausgabe seines sechsjährigen Sohnes Edgaro. Der Polizeioffizier erklärte den entsetzten Eltern, daß ihr Sohn seit langem Christ sei, wie sich erst jetzt herausgestellt habe. Dem Vernehmen nach hatte vor Jahren eine christliche Dienstmagd den Knaben heimlich getauft, als dieser krank zu Bett lag. Geltendes Recht verlange deshalb, daß der Junge aus dem jüdischen Haus entfernt und christlich erzogen werde. Man brachte den Jungen in einem Akt obrigkeitlicher Kindesentführung nach Rom und erzog ihn dort in christlichem Sinne. Als dieser Vorgang in ganz Europa einen Aufschrei der Entrüstung hervorrief, tat Pius IX. ein übriges, um seinen Rechtsstandpunkt provokant zu dokumentieren. Er nahm sich des Jungen in besonderer Weise an und adoptierte ihn schließlich, als dieser dreizehn Jahre alt war. Später trat Edgaro als Novize in den Orden der lateranischen Kanoniker ein, wurde Mönch im Kloster San Pietro in Vincoli und nahm zu Ehren seines Adoptivvaters den Namen Pio an. 1873 wurde Pio Mortara zum Priester geweiht und starb hochbetagt im Jahre 1940.

Über die Protestnoten jüdischer Gemeinden Italiens, Englands, Frankreichs, Deutschlands, Amerikas und Roms, auch über die diplomatischen Demarchen aus Großbritannien, Preußen und Rußland, ja selbst über die Mahnungen aus den befreundeten Staaten Frankreich und Österreich hat sich Pius IX. selbstgefällig hinweggesetzt. Solche Haltung kann heute nicht als vorbildlich hingestellt werden.

Nachdem die Juden des ehemaligen Kirchenstaates und der Stadt Rom die formelle rechtliche Gleichstellung mit allen anderen Bürgern des Königreichs Italien erhalten hatten, hat sich Pius IX. in Predigten und Ansprachen zu haßerfüllten Tiraden gegen die Juden hinreißen lassen, die zu wiederholen sich einfach verbietet.

Die Beziehung zwischen Juden und Katholiken in der Welt hat sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stetig zum Guten entwickelt. In den letzten Jahrzehnten hat gerade Papst Johannes Paul II. Wesentliches dazu beigetragen. Eine Seligsprechung von Pius IX. würde das Verhältnis zwischen Juden und Katholiken in einer unerträglichen Weise belasten und insbesondere alles in Frage stellen, was die Kirche in den letzten Jahrzehnten an Positivem erreicht hat. Hier steht die Glaubwürdigkeit des Papstes und seiner Kirche auf dem Spiel. Eine Seligsprechung Pius IX. würde ein Band zerstören, an dem Juden und Katholiken gemeinsam jahrzehntelang mühevoll gearbeitet haben. Frühere Ausschreitungen am jüdischen Volk wurden von Papst Johannes Paul II. am ersten Fastensonntag 2000 öffentlich vor aller Welt bereut. Wie kann man im selben Jahr einen Papst wie Pius IX. seligsprechen, dessen Taten im krassen Widerspruch stehen zum Schuldbekenntnis von Papst Johannes Paul II.?

Für den Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim ZdK:
Prof. Dr. Hanspeter Heinz und Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich.


Jahrgang 7/2000 Seite 313



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