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Gertrud Luckner
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Die Botschaft des Bruderrats der bekennenden Kirche

Der Bruderrat der bekennenden Kirche erließ ein Wort zur Judenfrage im Anschluss an das Evangelium von der Trauer Jesu über das Volk Israel, das am 1.8.1948, am 10. Sonntag nach Trinitatis (nach dem Kirchenjahr der lutherischen Kirche) verlesen wurde:
  1. Indem Gottes Sohn als Jude geboren wurde, hat die Erwählung und Bestimmung Israels ihre Erfüllung gefunden. Einem anderen Verständnis Israels muss die Kirche grundsätzlich widerstehen und damit auch dem Selbstverständnis des Judentums, als sei es Träger oder Künder einer allgemeinen Menschheitsidee oder gar der Heiland der Welt.
  2. Indem Israel den Messias kreuzigte, hat es seine Erwählung und Bestimmung verworfen. Darin ist zugleich der Widerspruch aller Menschen und Völker gegen den Christus Gottes Ereignis geworden. Wir sind alle am Kreuz Christi mitschuldig. Darum ist es der Kirche verwehrt, den Juden als den allein am Kreuze Christi schuldigen zu brandmarken.
  3. Die Erwählung Israels ist durch und seit Christus auf die Kirche aus allen Völkern, aus Juden und Heiden, übergegangen. Die Christen aus Juden und Heiden sind Glieder des Leibes Christi und untereinander Brüder. Es ist der Kirche verwehrt, Judenchristen und Heidenchristen voneinander zu scheiden. Zugleich wartet die Gemeinde aber darauf, dass die irrenden Kinder Israels den ihnen von Gott vorenthaltenen Platz wieder einnehmen.
  4. Gottes Treue lässt Israel auch in seiner Untreue und in seiner Verwerfung nicht los. Christus ist auch für das Volk Israel gekreuzigt und auferstanden. Das ist die Hoffnung für Israel nach Golgatha. Dass Gottes Gericht in der Verwerfung bis heute nachfolgt, ist Zeichen seiner Langmut. Die Kirche macht sich schuldig, wenn sie die Bezeugung dieser Langmut Gottes gegen Israel – aus welchen Gründen auch immer – unterlässt oder sich verbieten lässt.
  5. Israel unter dem Gericht ist die unaufhörliche Bestätigung der Wahrheit, Wirklichkeit des göttlichen Wortes und die stete Warnung Gottes an seine Gemeinde. Dass Gott mit sich nicht spotten lässt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung, ob sie sich nicht bekehren möchten zu dem, bei dem allein auch ihr Heil steht.
  6. Weil die Kirche im Juden den irrenden und doch für Christus bestimmten Bruder erkennt, den sie liebt und ruft, ist es ihr verwehrt, die Judenfrage als ein rassisches oder völkisches Problem zu sehen und ihre Haltung gegenüber dem Volk Israel wie gegenüber den einzelnen Juden von daher bestimmen zu lassen. Darüber hinaus muss die Kirche der Welt bezeugen, dass sie irrt, wenn sie das Judenproblem nach jenen Gesichtspunkten glaubt erfassen und erledigen zu können.

„Es war ein verhängnisvoller Irrtum“, so heißt es weiter in dem Wort, „als Kirchen und Gemeinden der Neuzeit für die Judenfrage durchweg keine anderen als die säkularen Gesichtspunkte der bloßen Humanität, der Emanzipation und des Antisemitismus kannten und anwandten. Bitter musste es sich rächen, dass nicht nur im Raume des Volkes, das immerhin unter christlichen Zeichen zu stehen schien, nicht nur in den Geistesströmungen der Bildungsschicht und in den Kreisen der Machthaber und des Militärs sich der Antisemitismus regte und mehrte, sondern dass auch die Stimmen führender Christen in diesem Chor nicht fehlten. Und a1s endlich der radikale, rassisch begründete Antisemitismus von innen unser Volk und unsere Gemeinden zersetzte und sie von außen in seine brutale Gewalt zwang, war die Kraft des Widerstandes nicht vorhanden, weil die Erkenntnis über Israel und die Liebe zu ihm in den Gemeinden verdrängt und erloschen war. In christlichen Kreisen entzog man sich der Verantwortung und rechtfertigte sich dafür mit dem über Israel verhängten Fluch. Man wollte die Fortdauer der Verheißung über Israel nicht mehr glauben, verkündigen und im Verhalten zu den Juden erweisen. Damit haben wir Christen die Hand geboten zu all dem Unrecht und dem Leid, das unter uns an Israel geschah.

Indem Gottes Wort uns solches lehrt, erkennen wir mit Scham und Trauer, wie sehr wir uns an Israel verfehlt haben und wieviel wir ihm schuldig geblieben sind. Wir haben es unterlassen, als Kirche das rettende Zeugnis für Israel zu sein. Nun treffen uns die Gerichte Gottes, die eines nach dem anderen über uns ergehen, auf dass wir uns in wahrhaftiger Buße als Kirche und als Volk unter die gewaltige Hand Gottes beugen.“



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