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Otto Küster

5. a) Das Recht zu sühnen. Rechtsgrundsätzliches zum arabischen Einspruch gegen das Israel-Abkommen

Das Israel-Abkommen wird von arabischer Seite auch vom Rechtsstandpunkt angegriffen. Seine Verteidiger müssen sich hüten, unhaltbare Positionen zu beziehen.

Zwei Dinge insbesondere müssen eingeräumt werden:

Die Bundesrepublik hat dem Staat Israel eine Leistung zugesagt, zu der sie ihm nicht verpflichtet war.

  1. Wenn ein Staat einem kriegführenden Staat Leistungen macht, zu denen er nicht verpflichtet ist und für die er keinen Gegenwert erhält, so ist das eine Kriegshilfe, die mit strikter Neutralität nicht vereinbar ist.

Dennoch ist die deutsche Leistung vor dem Völkerrecht in Ordnung und die arabische Beschwerde unbegründet. Wieso?

In der modernen Rechtsentwicklung ist ein Gedanke erstaunlich in den Hintergrund getreten, der die alten Rechtsordnungen, insbesondere des germanischen Abendlands, aber auch des Morgenlands mächtig und lebendig durchwaltet hatte – der Gedanke der Genugtuung. Verdrängt wurde er von den beiden rationalen Rechtsinstituten der Strafe und des Schadenersatzes. Wer heute etwas begangen hat, muss dem Geschädigten den Schaden ersetzen – dem Geschädigten, niemandem sonst, genau den Schaden, nicht mehr, noch weniger, noch etwas anderes.

Hat er sich dabei so gegen die Rechtsordnung vergangen, dass dieser Frevel als solcher noch der Sühne bedarf, so hat er überdies Strafe zu erdulden. Zu erdulden!, das moderne Recht kennt keine Möglichkeit, aus der die Strafe erwartenden Passivität herauszugelangen zu eigenem sühnenden Handeln. Reue und Einsicht und der Wille, spontan zu sühnen, mögen noch so groß sein, es gibt keine zuvorkommende aktive Sühne, sondern das Erwarten und Erdulden der Strafe – mit anderen Worten: es gibt nicht mehr die Genugtuung.

Für unsere Vorfahren wäre dies unerträglich gewesen. Jäh- und hochgemut, wie ihr führendes Menschenbild war, entsprach ihm ein weiter Bereich unbesonnenen Handelns, so dass nach geschehener und bereuter Tat Genugtuung zu leisten und anzunehmen war. Strafe traf nur den, der verstockt die Genugtuung verweigerte.

Nicht die regierenden Verbrecher, wohl aber das deutsche Volk kann sagen, es habe in Unbesonnenheit gehandelt und zugesehen, als das Grauenhafte geschah; es bitte, zur Genugtuung zugelassen zu werden. Die Sprecher des Volkes Israel haben die Hand zur Genugtuung geboten. Deutschland hat sich mit Recht beeilt, sie anzunehmen. Alle arabischen Vorwürfe behandeln unsere Leistungen an Israel, als wollten sie Schadenersatz sein. Dann hätten sie Recht damit, dass der Staat Israel nicht der Gläubiger einer deutschen Schadensersatzschuld sei; sie hätten ebenso Recht damit, dass unsere Leistung ja die Ansiedlungskosten für eine halbe Million Einwanderer decken solle, und dass dies mit dem Schaden, den wir verursacht haben, durchaus nicht identisch sei. Aber unsere Leistung ist nicht Schadenersatz, sondern Genugtuung. Sie zu empfangen ist der Träger des verfolgten Namens, ist der Staat, der den Entehrten und Entwurzelten wieder Boden unter die Füße, der ihnen Selbstbewusstsein und Lebenssinn gewährt, ist das Haus Israel eindeutig legitimiert.

„Die Genugtuung empfängt das Haus als Ganzes“, lesen wir schon bei Tacitus. Sie, die Genugtuung, nicht etwa als irgendein düsteres Kopfgeld zu errechnen, sondern sie ihrem Zweck und ihrer Höhe nach so zu bestimmen, dass damit eine in die Zukunft weisende, friedliche Aufbauarbeit dem jungen Staat ermöglicht wird, das war der Vorschlag eines schöpferischen Rechtssinns, auf den zu unserem Heil die Phantasie unseres führenden Politikers nachhaltig angesprochen hat. Er hat auch Recht damit, dass es in einer Epoche des sich gefährlich regenden Völkerstrafrechts an der Zeit war, ein Beispiel der Sühne durch Genugtuung zu geben.

Tiefer gesehen ist das arabische Nachspiel nicht zu bedauern; dank seiner kann vollends klar werden, worum es bei dieser denkwürdigen Leistung geht. Und dass uns die Leistung nun noch ein wenig saurer wird, als sie uns bloß im Hinblick auf steuerliche Aufbringung und Transfer geworden wäre, mindert die verbliebenen Zweifel, ob sie dem, was zu sühnen ist, wirklich genugtue. Wer an Söhne und Enkel, wer an die einstigen Erben des deutschen Namens denkt, muss es begrüßen, dass wir um unser Recht, von uns aus zu sühnen, nun erst noch zu kämpfen haben.


FrRu V. Folge 1952/53, Nr. 19/20, Januar 1953, S. 11

 



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