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Kurt R. Grosmann

Die arabischen Flüchtlinge

Als am 29. September 1947 die Vereinigten Nationen der Teilung Palästinas zustimmten, rechnete man mit einem jüdischen Staat mit einer arabischen Minderheit von 397 000, gleich 42,6 Prozent. Die jüdischen Führer des neuen Staates hatten einer solchen Lösung zugestimmt, aber der Ablauf der folgenden Geschehnisse warf diese Berechnungen über den Haufen. 

Bereits am 30. November 1947 wurden 8 Juden in der Nähe von Natanya ermordet, und die Straßen nach Jerusalem wurden blockiert. Während die ausgesprochenen Unruhen sich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat steigerten und sich zu regelrechten Kriegshandlungen entwickelten, appellierten die jüdischen Führer an die arabische Bevölkerung, zur friedlichen Ausübung ihres privaten und beruflichen Lebens zurückzukehren und damit ihren Anteil an der Ausübung gleicher Rechte und Pflichten in dem neuen Staate zu leisten.

Die britische Mandatsmacht hat in zwei Berichten vom 26. und 28. April 1948 – beide von Haifa – erklärt: „Die Juden machen noch immer jede Anstrengung, die arabische Bevölkerung davon zu überzeugen, in ihrer gegenwärtigen Residenz zu bleiben und ihr normales Leben wieder aufzunehmen.“ Es gab keine Anzeichen dafür, dass die Juden die arabische Bevölkerung in irgendeiner Weise behelligten.  Man muss drei Phasen des Auszugs der Araber aus Palästina unterscheiden. Die erste Phase begann im November 1947, als 30 000 begüterte Araber von Jerusalem, Haifa und Jaffa das Land verließen. Die zweite Phase fing im März 1948 an, als 10 000 Araber, die in dem Küstengürtel zwischen Tel Aviv und Hadera lebten, „flüchteten“. Sechstausend Araber verließen ihr Heim in Tiberias (18. April 1948), 60 000 Haifa (22. April 1948) und 65 000 bis 70 000 Jaffa (25. bis 29. April 1948).  Der dritte und dramatischste Auszug begann nach dem 15. Mai 1948, als der Staat Israel proklamiert worden war. Hunderttausende Araber flüchteten, und ihre Flucht wurde nur durch den zeitweiligen Waffenstillstand Mitte Oktober 1948 unterbrochen, aber nach Wiederaufnahme der Feindseligkeiten setzte der Auszug von neuem ein.

War diese Flucht notwendig und durch Ereignisse diktiert, die sich auf dem jetzigen Gebiet von Israel vollzogen? Dass wohlhabende Familien die Territorien der Unruhen verließen, war an sich, besonders in Palästina, nichts Neues. Während der arabischen Aufstände zwischen 1936 und 1939 zum Beispiel verließen 40 000 wohlhabende Araber diese Gebiete. Diesmal aber ging die Flucht weit über das sonst Normale hinaus. Als Gründe kann man die künstlich erzeugte Furchtpsychose und den von den arabischen Führern befohlenen Auszug für entscheidend ansehen.

Die britischen Behörden, die am 14. Mai 1948 Palästina verließen, gaben zu, dass alle Nachrichten von beabsichtigtem jüdischem Terror nicht mit den Tatsachen übereinstimmten. Aus der Unmenge von Nachrichten haben die Engländer „nicht die geringste Spur eines Beweises“ für die Schreckensgeschichten seitens der Araber gefunden. Vielmehr wurde immer klarer, dass die Araber in ihrem Bestreben, Geschichte rückgängig zu machen, die bedauernswerten Flüchtlinge als politischen Spielball betrachteten.

Die arabischen Flüchtlingszahlen erschienen aufgebauscht, was aus verschiedenen Umständen erklärt werden kann, die inzwischen bekannt geworden sind. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass die arabischen Menschen in den verschiedenen Ländern unter ärmlichsten Verhältnissen leben, und viele von ihnen nahmen die Gelegenheit wahr, ihr niedriges Existenzminimum zu verbessern, indem sie sich als Flüchtlinge ausgaben. Der amerikanische Richter beim Obersten Gerichtshof, William O. Douglas, der diese Gebiete im Jahre 1948 bereiste, erzählt in seinem Buche „Strange Lands and Friendly People“ (Seltsame Länder, aber freundliche Menschen) z. B. die Geschichte von 100 Beduinen, die sich immer erneut bei dem damaligen Roten Kreuz als Flüchtlinge meldeten, bis man darauf kam, dass dieses Stück aus „Tausend und eine Nacht“ eine geschickte Täuschung der amerikanischen Sozialarbeiter war (nachzulesen auf S. 254–255 der englischen Ausgabe des obigen Buches).

Die ersten Ziffern der aus Palästina geflüchteten Araber wurden zunächst auf l Million, dann auf 880 000 geschätzt, aber genauere Untersuchungen ergaben, dass etwa 610 000 unterstützungsbedürftige Flüchtlinge vorhanden sind, zugleich weitere 147 000, die sich aus eigenen Mitteln ernähren. Obwohl niemand eine exakte Ziffer nennen kann, glaubt man sagen zu dürfen, dass 774 000 die höchste Ziffer für die arabischen Flüchtlinge gewesen ist.

726 000 Flüchtlinge aus Palästina sind wie folgt verteilt: In dem von Jordanien verwalteten Gebiet Palästinas leben 280 000 Flüchtlinge, in Jordanien selbst 70 000. In dem von Ägypten verwalteten Gaza-Territorium finden wir ungefähr 190 000, in Libanon 100 000, in Syrien 75 000, in Ägypten 7000 und in Irak 4000 arabische Flüchtlinge aus Palästina.

Zwischen bona fide Flüchtlingen und unterstützungsbedürftigen Flüchtlingen zu unterscheiden, ist bis in die Gegenwart ein dauernder Kopfschmerz für die U.N. Relief and Work Agency, welche die Unterstützungsarbeit in diesen Gebieten im Auftrag der Vereinigten Nationen durchführt.

Leider wurde die bedauernswerte Lage der arabischen Flüchtlinge ein Politikum ersten Ranges. Das arabische Hochkomitee war für soziale Lösungen nicht zugänglich, sondern verlangte nicht weniger als die Repatriierung aller dieser Menschen in das enge Gebiet Israels, in das inzwischen Hunderttausende jüdische Flüchtlinge aus Europa strömten, die nach 1945 in Ländern wie Deutschland, Polen, Belgien, Frankreich interimistisch gelebt hatten. Man wird sich erinnern, dass etwa 100 000 jüdische Flüchtlinge polnischer Nationalität, die während des Krieges in Russland lebten, 1946 nach Deutschland kamen mit dem Entschluss, nach Palästina auszuwandern.

Abgesehen von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit für Israel, mehr als 610 000 entwurzelte arabische Flüchtlinge aufzunehmen, nachdem 40 Millionen Araber versucht hatten, die Entscheidung der Vereinigten Nationen durch Gewalt unmöglich zu machen, waren auch militärische Sicherheitsüberlegungen maßgebend, einer solchen „alles oder nichts“ Repatriierungsmaßnahme zuzustimmen.

In verschiedenen arabischen Publikationen wurde die beabsichtigte Repatriierung der arabischen Flüchtlinge unverblümt als die „trojanischer Pferde" charakterisiert, die den jungen Staat von innen her torpedieren sollten (z. B: Al Sayad, 7. Feb. 1949; Al Misri, ein führendes ägyptisches Regierungsblatt, in dem der damalige ägyptische Außenminister die Rückkehr der arabischen Flüchtlinge als „Herren des Landes“ Israel verlangte). In Al Mayat, das von dem früheren syrischen Nazi Kamel Mrouch herausgegeben wird, erschien noch am 25. September 1951 ein Artikel mit der Überschrift „Die Zweite Runde kommt“, in dem die militärische Ausbildung der Flüchtlinge für diese zweite Runde verlangt wird.

Korrespondenten der New York Times und N.Y. Herald Tribune bestätigen die Gefahr, die dem Frieden durch eine wahllose Repatriierung im Nahen Osten entstehen könnte. Darüber hinaus hatten die geheimen Agenten, die über die arabisch-israelische Grenze geschmuggelt wurden, bereits versucht, Sabotage-Akte zu verüben und Morde zu begehen. Soweit die illegal infiltrierenden Araber bona fide Flüchtlinge waren, erhielten 3000 von ihnen die Erlaubnis, dauernd in Israel zu bleiben, während weitere 18 000 im Prozess der Legalisierung sind.

Ein protestantischer Geistlicher, J. Henry Carpenter, Exekutiv-Direktor der Brooklyn-Abteilung des protestantischen Rates von New York, schrieb nach einer langen Studienreise durch diese Gebiete einen Artikel, den er im „Christian Century“ am 28. Juni 1951 in New York veröffentlichte: „Es gibt keine Rückkehr irgendeiner beträchtlichen Anzahl arabischer Flüchtlinge nach Israel. Wer immer eine solche Rückkehr ermutigt, tut diesen Menschen wahrlich keinen Gefallen ... Die beste Hilfe, die man ihnen leisten kann, würde sein, offen und ehrlich auszusprechen, dass die Araber nicht zu ihren alten Wohnstätten zurückkehren können.“Carpenters Gründe werden von vielen anderen objektiven Beobachtern, wie z. B. Clarence Pickett von den Quäkern, bestätigt. Die Heime der Araber sind durch den Krieg zerstört, das Land hat seinen Besitzer gewechselt und hat in diesen vier Jahren ein vollkommen anderes Gesicht erhalten. Es ist unmöglich für ein junges Land, welches mit maßlosen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, dieses große Problem zu lösen, indem es die Masse der verarmten arabischen Flüchtlinge zurücknimmt.

Es darf in dieser Verbindung darauf hingewiesen werden, dass nicht das erste Mal in der Geschichte ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat, und wie schmerzlich derselbe auch immer für die Betroffenen war, hat er zur Beruhigung von latenten Konfliktsherden geführt. Ich darf an den großen Bevölkerungsaustausch nach dem Ersten Weltkrieg von etwa 2 Millionen Menschen erinnern, der die Türkei, Griechenland und Bulgarien betraf. Während des Zweiten Weltkrieges wurden nicht weniger als 52 Volksgruppen mit mehr als 900 000 Menschen ausgetauscht.

Solange Geschichte geschrieben wird, wissen wir, dass bestimmte Ereignisse Menschen dazu trieben, den Wanderstab zu ergreifen, und nur 25 Prozent der Bevölkerung in einer Generation bleibt sesshaft.


FrRu V. Folge 1952/53, Januar 1953, Nr. 19/20, S. 15-16.


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